München in den 70ern: Knastsuppe und Kommunisten
Erinnerungen einer zugereisten Jugendlichen – so könnte der Untertitel dieser Geschichte lauten. Denn Anfang der 70er Jahre war man erst mit 21 "erwachsen" und volljährig.
Ich war 20, als ich das erste Mal nach München kam. Im Sommer 1970 lernte ich in einem Sommercamp der Gewerkschaftsjugend Druck und Papier meine späteren Münchner Freunde kennen. In einem Vorort von Essen geboren, kam ich mir da wie ein Landei vor. Die Münchner waren alle irgendwie cooler und erwachsener, wie mir schien.
Silvesterfreuden
Silvester 1971/72 verbrachte ich dann zum ersten Mal in München. Und ich lernte eine ganz neue Welt kennen. Die Gewerkschaftsjugend – auch in Essen – war schon immer politisch engagiert. Aber hier traf ich nun auf waschechte Genossen.
Das schillernde, schrille München war auf der einen Seite, wir auf der anderen. Statt in Diskotheken gingen wir in alternative Kneipen und Lokale. Im Peseta Loca aßen wir Knastsuppe: in Bambusschälchen servierte wässrige weiße Bohnensuppe mit Brot. Und diskutierten. Im Muttibräu tranken wir unsere Halbe. Und diskutierten. Eigentlich wurde fast immer und überall diskutiert.
Aber es gab auch für Genossen Unterhaltung und Zerstreuung. Das Spectaculum in der Georgenstraße zum Beispiel. Und natürlich – unvergessen – das "theater k" von Wolfgang Anraths in der Kurfürstenstraße: Politisches Theater, Lesungen und Diskussionen. Natürlich.
Rotes verkaufen
Einmal ging es um den Verkauf der "U Z" (Unsere Zeit), die Zeitung der Kommunisten. Weil jemand ausgefallen war, sollte ich mich beim Karstadt am Nordbad zum Verkauf hinstellen. Okay, dachte ich, es kennt mich ja keiner, bin ja nur zu Besuch da. Auch hier lernte ich wieder die große Weltstadt kennen. Unbedarft und doch noch sehr naiv musste ich mich den Fragen und oft bösartigen Anschuldigungen stellen.
"Rotes Gesocks" war noch das Harmloseste. Immerhin habe ich einige Exemplare verkauft, aber das war nicht so mein Ding, das wusste ich nun.
1975 zog ich dann ganz nach München und lernte viele neue Leute kennen. Hauptsächlich aus Anzeigen im "Blatt", einem alternativen Blättchen mit kostenlosen Kleinanzeigen, die auch eifrig genutzt wurden.
Sicher erinnert sich noch der Eine oder Andere an die teilweise sehr witzigen Formulierungen wie zum Beispiel "Wer hält im Kino meine Hand?" – oder – "Suche Dich, nicht nur für 9 ½ Wochen". Oder der Kleppermantel, der über ein halbes Jahr inserierte und einen Kleiderhaken suchte.
Der Horror-Charlie
Ja, und dann war da noch der Horror-Charlie. Damals ein Schwabinger Original, über den auch immer mal in der AZ berichtet wurde.
Einmal nahm mich ein neuer Bekannter mit zu einem Happening im Schwabingerbräu (heute Karstadt an der Münchner Freiheit). Den Schwabingerbräu mochte ich schon immer wegen der künstlerischen Faschingsbälle. Hier hatte nun der Charlie seinen großen Auftritt. Er feierte mit Publikum einen runden Geburtstag. Auf der Bühne ließ er es ordentlich rundgehen. In einem schwarzen Anzug stieg er mit Musikbegleitung und zwei nackerten Mädels in den Sarg. Ausgelassene Stimmung war Programm.
Und damit komme ich noch mal zum Münchner Fasching.
Die weißen Feste in der Max-Emanuel-Brauerei waren ein etwas anderer Fasching als im Rheinland. Man hatte einfach nur Spaß. Ganz in Weiß. Und das Gute: Es gibt sie noch heute – obwohl die heißen Mitternachtsshows heute inzwischen nur noch Legende sind.
Und was haben Sie erlebt? Schreiben Sie an die AZ!
Die AZ wird Sie in diesen Sommertagen unterhalten mit Geschichten aus den Zeiten, in denen München doch noch münchnerischer war als heute. Als Stenze durch die Stadt strawanzten – und Striezis und Schandis aneinandergeraten sind.
Haben Sie selbst auch solche Münchner Gschichten erlebt?
Schreiben Sie sie auf – und schicken sie diese, gern mit Fotos (falls vorhanden) – an leserforum@az-muenchen.de
Oder per Post an:
Abendzeitung
Kennwort: Gschichten
Garmischer Straße 35
81373 München
Die AZ wird ausgewählte Gschichten veröffentlichen.
Lesen Sie hier Teil 4 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "An Zwickl-Fünfer mit de kurzn Kartn"
Lesen Sie hier Teil 6 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "Ich war nie ein Striezi oder ein Stenz"
Lesen Sie hier Teil 9 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "Rainer Weiss - ein Unikum und Urgestein"
Lesen Sie hier Teil 11 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "Münchner Freiheit, die ich meinte"
Lesen Sie hier Teil 19 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "Ein Jahr Milchkännchen"
Lesen Sie hier Teil 23 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "In Schwabing war jeder Tag ein Erlebnis"
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