AZ-Serie "Münchner Gschichten": Nur 100 Meter Fahrprüfung
Weil ich gerne zum Baden ging und mir die Floriansmühle oder die Nacktzone des Ungererbades auf die Dauer zu langweilig wurden, beschloss ich, den Führerschein zu machen. Zwölf Stunden mussten reichen, mehr Geld hatte ich nicht, ich hatte mir bei Quelle gerade eine Anbauwand auf Raten bestellt, und fürs Rauchen ging auch eine Menge Geld drauf.
Die Prüfung war in der Faschingswoche, und ich hatte derart viel Angst davor, dass ich am Vortag gar nicht erst ins Bett ging. Und das war gut so, denn am Morgen war ich so kaputt und müde, dass es mir völlig egal war, ob ich den Schein nun schaffte oder nicht.
Ich wusste, ich war eine sehr gute Rückwärtsfahrerin, und so bot ich dem Prüfer an, ihm mal gleich etwas Schwieriges vorzufahren, damit die Prüfung nicht so lange dauern musste. Der gähnte nur müde und sagte, dann sollte ich mal losfahren. Nach hinten.
Mit einem ordentlichen Fußtritt aufs Pedal nagelte ich ihn und die beiden Mitschüler auf dem Rücksitz in die Polster. Nach 100 Metern ließ er mich anhalten und aussteigen. Oh weia, fürchtete ich. "Der Nächste", sagte er dann und grinste mich an. Ich hatte meine Prüfung bestanden. Nachdem man mir das Fahrrad geklaut hatte und ich jetzt einen Führerschein besaß, musste auch ein Auto her. Ich wollte von dem ständigen Betteln um eine Mitfahrgelegenheit befreit sein und außerdem auch dorthin fahren, wohin ich wollte.
Ich hatte eine Patentante – die machte es möglich. Sie schenkte mir die Anzahlung und versprach, mir auch bei den Raten zu helfen. Auf der Gebrauchtwagenseite fand ich ein äußerst günstiges, schnuckeliges lila Fiat Spider Cabrio. Ein netter junger Mann hatte sich einen Farben-Fauxpas geleistet und wollte es schnell wieder loswerden. In der nächsten Zeit arbeitete ich dann zusätzlich abends als Bedienung in der Nachteule. Fünf Mark pro Stunde, das war ein gutes Geld.
Als meine Freundin unbedingt ans Meer wollte, überließ ich meinem damaligen besten Freund mein schnuckeliges Cabrio, das gerade mal angezahlt war.
Das Fahrzeug war vorne so flach, dass er es schaffte, es auf der Leopoldstraße mal richtig fest unter einen Lastwagen zu fahren. Ich habe den Schaden nie gesehen, mein Freund hatte einen Freund und der hatte einen Freund und alle miteinander haben sie das Fahrzeug wieder so hinbekommen, dass ich nichts gemerkt hätte. Jedenfalls nicht bis zur Herabstufung bei der Versicherung.
Ab und zu ins Domicile – das musste einfach sein
Vieles Ausgehen war für mich wie auch die meisten anderen finanziell nicht drin. Aber ab und zu ins Domicile – das musste einfach sein. Die Musik der Beatles oder der Rolling Stones, die gerade die Hitparaden anführten, interessierte mich nicht besonders, ich hatte mich in den Jazz verliebt, und den konnte man nirgends so genießen wie im Domicile.
Dann saß ich reglos und meist mit geschlossenen Augen auf einem Stuhl und hielt mich den Abend über an einem Getränk fest, bis der Wirt rote Augen bekam.
Ab dem Frühjahr war dann abends auch draußen richtig was los. Der tägliche Rennweg vom Hertie-Hochhaus bis zum Siegestor wurde damit bei schönem Wetter obligatorisch. Unzählige Künstler hatten ihre Plätze eingenommen und stellten mehr oder weniger gewöhnungsbedürftige Bilder in grellsten Farben oder mit wirren Motiven oder sonstige selbstgefertigte Kunstwerke aus.
Zwischen den Malern saßen Musiker, die einzeln oder in kleiner Gruppe für Unterhaltung sorgten, und Schmuck wurde von auffallend künstlerisch gestylten im Schneidersitz auf Decken am Boden Kauernden angeboten. Das Material dafür hatten sie sich bei Einkaufsreisen in Indien beschafft.
Während man auf dem breiten Trottoir der mit Pappeln gesäumten Prachtstraße auf und ab schlenderte, konnte man so nebenbei auch lernen, Zigarettengeruch von anderen ähnlichen Gerüchen zu unterscheiden.
Einmal wollte mich ein Typ als Model haben. Sagte er. Ich saß im Café Rialto, hatte die Beine überschlagen und wartete auf meine Freundin. Gut, ich war ein flotter Zahn, wie man damals sagte und manch ein Mann sägte ordentlich an mich hin. Aber ein Model für Beine? Meine Beine waren ja nicht schlecht, aber wie sollte das jemand sehen, wenn ich doch saß?
Ja, sagte er, ihm sei aufgefallen, dass die Falte, die sich bei meiner Sitzposition im Knie ergäbe, unglaublich fotogen sei. Das habe er noch bei keiner Frau so gesehen. Ob er mich fotografieren dürfe. "In Ihrem Studio?", fragte ich. Er nickte und gab mir seine Karte. Da stand glatt Fotograf drauf. Ich deutete auf die Karte und sagte nur: "Für selbstgemacht ganz gut gelungen!" Er sah mich an, ich grinste. Dann grinste er auch, stand auf und ging.
Wie ein Amerikaner seine Frau daheim im Schrank hatte
Beim Zigarettenschnorren vor dem Automaten in unserem Haus lernte ich einen Typen kennen, der im gleichen Haus wohnte, den ich aber noch nie dort gesehen hatte. Ein Amerikaner. Älter schon, fast ein Papa für mich. Irgendwann erzählte er mir, er würde mir mal seine Frau vorstellen. Sie sei jetzt bei ihm.
Nun ja, also, dachte ich und ging zu ihm in die Wohnung. Er öffnete seinen Schrank und nahm eine Blechdose heraus. "Hier", sagte er. "Hier ist sie drin!" Er hatte nicht gelogen: Wie ich später erfuhr, stimmte es, dass er die Urne seiner Frau in seinem Schrank aufbewahrte. Aber ich drehte auf dem Absatz um. Ich wollte seine Frau nicht mehr sehen.
"Anfang der 70er Jahre kam ich dann endlich in feste Hände": Julia Fischer, damals schick mit Haarteil. Foto: privat
Das Stellenangebot einer bekannten Versicherung sprach mich an. Mein Chef war ein älterer Mann, und ich schätzte ihn sehr wegen seiner Höflichkeit, seiner Nachsicht und seinem Verständnis auch für Menschen, die nicht auf seinem Niveau zugange waren.
Ausgerechnet dieser Mann, der die schlimmste Nacht in Dresden überlebt hatte, wurde von aufstiegsgeilen Mitarbeitern derart gemobbt, dass er diese Gemeinheiten nicht länger hinnehmen wollte.
Zuerst brachte er seine Familie um und Tage danach dann auch sich selbst.
Die Mobber hatten polizeibewacht einige sehr unruhige Nächte, bis man ihn endlich tot im Wald auffand. Die Geschichte ging mir nach, und bei der Versicherung gefiel es mir dann überhaupt nicht mehr.
Mein nächster Arbeitgeber war eine neu gegründete Baufirma. Es war ein lustiger Haufen, der da zusammengekommen war und sich erst einmal aneinander gewöhnen musste.
Als einige Kollegen aber während eines Firmenbesuchs auf dem Oktoberfest darüber spöttelten, dass ich noch nie in meinem Leben auf einem Pferd gesessen hatte, wurde es mir zu wohl – und ich stieg aufs Pferd.
Ich hatte nicht erwartet, mich dabei so hoch oben wiederzufinden, als ob ich vom sechsten Stock eines Hochhauses runterschauen würde. Das hat aber zum Glück niemand gemerkt.
Die Kollegen dort waren alle im heiratsfähigen Alter
Trotz meines ziemlich erfolgreichen Engagements im Verkauf von Eigentumswohnungen musste die Firma nach drei Jahren Insolvenz anmelden. Schade, da hätte es mir noch länger gut gefallen, denn ich war immer noch ein "Fräulein" und die Kollegen dort wären alle im heiratsfähigen Alter gewesen.
Anfang der 70er Jahre kam ich dann endlich in feste Hände, und wir zogen um an den Stadtrand. Den von München natürlich. Sowohl die Zeit, mich mit "Fräulein" zu betiteln, als auch weitere Begegnungen mit schrägen Typen waren damit dann endgültig vorüber.
Und was haben Sie erlebt? Schreiben Sie an die AZ!
Die AZ wird Sie in diesen Sommertagen unterhalten mit Geschichten aus den Zeiten, in denen München doch noch münchnerischer war als heute. Als Stenze durch die Stadt strawanzten – und Striezis und Schandis aneinandergeraten sind.
Haben Sie selbst auch solche Münchner Gschichten erlebt?
Schreiben Sie sie auf – und schicken sie diese, gern mit Fotos (falls vorhanden) – an leserforum@az-muenchen.de
Oder per Post an:
Abendzeitung
Kennwort: Gschichten
Garmischer Straße 35
81373 München
Die AZ wird ausgewählte Gschichten veröffentlichen.
Lesen Sie hier Teil 4 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "An Zwickl-Fünfer mit de kurzn Kartn"
Lesen Sie hier Teil 6 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "Ich war nie ein Striezi oder ein Stenz"
Lesen Sie hier Teil 9 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "Rainer Weiss - ein Unikum und Urgestein"
Lesen Sie hier Teil 11 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "Münchner Freiheit, die ich meinte"
Lesen Sie hier Teil 19 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "Ein Jahr Milchkännchen"
Lesen Sie hier Teil 23 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "In Schwabing war jeder Tag ein Erlebnis"
Lesen Sie hier Teil 24 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "Rainer und der Anruf aus der Badewanne"
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