"Münchner Gschichten": "An Zwickl-Fünfer mit de kurzn Kartn"
In unserer Mittagspause gingen Stefan und ich öfter ins Allee-Café, um den großen, bösen Buben dort beim Zocken zuzuschauen.
Das Allee-Café, keine 500 Meter entfernt von Müllers Werkstatt auf der Alten Allee, war ein illustrer Treffpunkt der Halbwelt des Münchner Westens, die fast alle auch zu Müllers Kunden zählten. Es gehörte dem Schreiner Kurt, einem schwergewichtigen ehemaligen Metzger, der in den sechziger Jahren Münchens Nachtleben verunsichert hatte. Mittlerweile war Karl die obercoole Institution in seiner kleinen Kneipe.
Er saß auf seinem Platz am Stammtisch im Schaufenster des kleinen Cafés und spielte mit dem Bertl, dem Braun Hansi, dem Hartmann Adi, dem Gruber oder dem Bappe Schafkopfen.
Der Bappe hieß eigentlich anders, weil aber seiner Mutter die Pappschachtel am Pasinger Marienplatz gehörte, das spätere "Confetti", nannte ihn jeder einfach nur Bappe.
Der Braun Hansi, ein stets braun gebrannter Lebemann, Bauunternehmer, Schrotthändler, Bankrotteur und Stehaufmännchen, hatte Ende der sechziger Jahre seine Baufirma an die Wand gefahren. Darauf entschloss er sich, mit Schrott zu handeln. Er kaufte sich einen Citroën DS, dieses futuristische Fahrzeug, das schon Fantomas gut fand. Es musste ein DS sein, um Schorschs kriminelle Energie in die Tat umzusetzen.
Im Kofferraum hatte das Schlitzohr eine schwere Eisenplatte
Der DS war Citroëns erstes Fahrzeug mit einer hydro-pneumatischen Federung. Mit dieser kann man das Fahrzeug bei laufendem Motor etwa 20 Zentimeter rauf- und runterpumpen, um zum Beispiel ganz oben einen holprigen Feldweg entlang zu fahren oder ganz tief unten auf der Autobahn dahinzugleiten.
Der Braun Hansi schleppte nun mit seinem Hänger alte, schrottreife Fahrzeuge und fuhr sie zur Firma Schuster nach Pasing. Damals gab es für ein Schrottauto noch richtig viel Geld, je nach Gewicht etwa 100 Mark. Im Kofferraum seines hydro-pneumatisch gefederten DS hatte das alte Schlitzohr eine 200 Kilogramm schwere Eisenplatte liegen und fuhr mit dem Anhänger immer so auf die Waage, dass das Bugrad des Hängers gerade noch über der Waage zum Stehen kam. Bevor er nun ausstieg, ließ er den DS mit seiner Hydraulik ganz herunter, so dass die 200 Kilo der Eisenplatte direkt über das tief heruntergekurbelte Bugrad auf die Waage drückten.
Jedes Mal beschiss er auf diese Weise den Schuster, seinen späteren Partner, um 200 Kilo. Ich bin mir sicher, dass sich die beiden, nachdem sie erfolgreiche Partner geworden waren, über Hansis kriminelle Energie noch lange schlappgelacht haben.
Die beiden Dobermänner suchten sogleich die Katze
Der Bertl, ein goldbehängter Puffbesitzer, kam immer zu Müllers in die Werkstatt, um seinen metallicblauen, tiefergelegten 500er Mercedes SL mit den überbreiten Niederquerschnittreifen und den Cromleisten an den Radhäusern von Clemens Müller reparieren und warten zu lassen.
Seine beiden Dobermänner Brutus und Cäsar schlichen währenddessen über den Hof und suchten nach Müllers Katze, die sie aber nie erwischten, ganz einfach, weil sie zu dämlich dafür waren.
Ich seh sie noch vor mir, wie sie eines Tages wieder mal hinter ihr her die Hofeinfahrt hinaus hetzten. Bertl brüllte ihnen, das Unglück ahnend, noch hinterher, sie sollten gefälligst stehen bleiben, aber in ihrem Wahn waren die beiden natürlich blind und taub.
Die Katze bog am Gehweg ab, flitzte unter meinen Camaro, um sich zu verstecken, die beiden Dämlinge konnten nicht mehr bremsen, und Cäsar knallte voll mit dem Kopf in die Fahrertür eines vorbeifahrenden Pkws und fiel um wie eine Bahnschranke.
Bertl stand neben mir und meinte nur kopfschüttelnd: "Ezz isa aa no hi, der Depp."
War er aber nicht, er lag einfach nur ein bisschen benommen herum, strampelte ein wenig mit den Pfoten, und als wir auf die Straße liefen, schnüffelte sein Kollege noch ein wenig an ihm, als er wieder auf die Beine kam.
Er schüttelte sich kräftig, die beiden schnupperten noch ein wenig am Camaro, aber als sie dann das Bein hoben, um an die Reifen zu pinkeln, bekamen sie von Bertl einen Arschtritt mit Anschiss und trollten sich.
Eines Nachmittags kam ich ins Allee-Café, als mir Carl etwas nervös schon auf dem Gehweg entgegenkam. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Was denn los wäre, fragte ich ihn, und er sagte: "Ja, Scheiße, ezz bin i fuffzge hintn, und ezz muasi schnell a Rundn Auto fahrn, damit i mi wieder beruhig." Als ich ins Lokal kam, wurde mir langsam klar, was das bedeutete: Der Bertl und der Bappe standen am Tresen, und erzählten mir, dass ihnen langweilig gewesen war, und so hatten sie sich die Würfelbecher geschnappt und spielten ein wenig Seven Eleven. So kam es, dass Karl 50 000 in den Miesen war (Mark, versteht sich).
Als er zurückkam, hatte er sich offensichtlich beruhigt und nahm den beiden seine fünfzig Miesen und nochmal 30 000 ab, schnell mal am Nachmittag, als ich aus der Arbeit kam.
Der Hartmann Adi und ich versuchten mal eine Zeitlang Gartenbau, als ich jedoch bemerkte, dass der einzige, der tatsächlich arbeitete, ich war, beendete ich diese unsägliche Geschäftsbeziehung wieder.
Adi hatte, genauso wie die restliche halbseidene Bagaasch, eine schwere goldene Kette um den Hals, die goldene Rolex am Arm und das obligatorische goldene Dupont-Feuerzeug in der einen, trug sein Geld mit einer goldenen Klammer zusammengehalten in der anderen Hosentasche.
Sie spielten Pfennigfuchsen – aber mit Geldscheinen
Selbstverständlich rauchte er Marlboro, hatte einen Brilli im Ohr und fuhr einen metallicblauen 500er Mercedes SEL mit Alufelgen, Niederquerschnitt-reifen und chromverzierten Radläufen.
Aufgrund seines aufwendigen, arbeitsarmen Lebensstils entwickelte er zusehends kriminelle Energie. Er engagierte ein paar tumbe Schergen, die für ihn auf Diebestour gingen und bevorzugt Alufelgen mit Niederquerschnittreifen klauten, die er weiter verscherbelte.
Eines Abends trafen sich Adi und der Bappe im "Shao Lin", einer kleinen, mit Samt und Plüsch übersäten Kellerdisco in Pasing, um sich nach einem arbeitsreichen Tag ein paar Wodka-Cola zu genehmigen.
"Du woasd scho, dass dei SEC letzte Nacht, wo du hinter der Pappschachtel parkt host, scho auf d’Zieglschdoana gschdandn is", begann Adi das Gespräch.
Bappe fuhr einen metallicblauen 500er SEC mit allem Schnickschnack, wusste um Adis kriminelle Aktivitäten, und verstand sofort, was er meinte: Als Adis Diebe ihm am Vortag die neuesten Felgen nach Hause gebracht und ganz stolz erzählt hatten, dass die von einem metallic-blauen 500er SEC stammten, der hinter der Pappschachtel geparkt war und jetzt auf Ziegelsteinen stehe, und dies doch besonders lobenswert sei, weil sich gegenüber auch noch das Pasinger Polizeirevier befand, schickte Adi seine Jungs eiskalt zurück. Sie mussten die Felgen wieder hinschrauben, da er genau wusste, wem der metallic-blaue 500er SEC hinter der Pappschachtel gehörte.
Bappe meinte nur, obercool wie immer: "Hob i goa ned gmerkt. Ezz gähst naus und schaust, ob ses wieder gscheid festgschraubt ham. Und dann gibsd an Wodka-Cola aus!"
Der Bappe hatte von seiner viel zu früh gestorbenen Mutter sechs Millionen Mark geerbt, als er gerade mal 20 Jahre alt war, und hatte viel zu viele Freunde. Als ich ihn kennenlernte, war schon nicht mehr viel davon übrig, denn Bappe und seine Freunde hatten sich große Mühe gegeben, sein Geld auszugeben. So spielten sie zum Beispiel, wenn ihnen langweilig war, Pfenningfuchsen, aber eben nicht mit Pfennigen, sondern mit zusammengeknüllten Hundertern.
Ein Riesenspaß – bis dann die Batterie leer war
Auch Bappe war im üblichen Maß mit Lametta behängt, hatte ein goldenes Dupont-Feuerzeug und hatte seine Rolex noch mit Brillanten besetzen lassen, was sonst.
Ich hatte ein paar weiße Stiefeletten von Bartu, die kosteten damals schlappe 130 Mark, was viel Geld für mich war. Bappe hatte zehn Paar, und wenn eines einen Kratzer hatte, schmiss er es weg. Als einziger von der ganzen Allee-Café-Clique jedoch kiffte er, Bappe war weder geizig noch überheblich, und so freundeten wir uns an.
Ich weiß noch gut, wie wir vorm "Shao Lin" in seinem metallicblauen 500er SEC saßen und völlig bekifft stundenlang uns selbst mit der Sitzverstellung rauf und runter und vor und zurückfuhren. Einen Riesenspaß hatten wir – bis die Batterien leer war.
Wie bereits erwähnt, sie spielten Schafkopfen: "An Zwickl-Fünfer mit de kurzn Kartn." Im Klartext hieß das, ein normales Spiel kostete fünf Mark, ein Laufender oder Schneider kosteten je zwei Mark, dazu konnte jeder der Mitspieler auf seine ersten Karten klopfen, das heißt pro Spieler, der klopfte, verdoppelte sich der Spielpreis nochmal.
Wenn dann auch noch gespritzt wurde, kostete ein Spiel schnell mal 200, 300 Mark, manchmal noch viel mehr, wenn die Richtigen zusammen saßen und den Tarif erhöhten.
Wir Jungspunde saßen daneben und schauten ehrfürchtig zu, wie die Jungs sich die Hunderter hin und her schoben.
Bevorzugt saß ich neben dem Karl, denn er spielte sensationell und souverän, sortierte noch nicht mal seine Karten und spielte jeden "Hund" also schlechte Spiele, wusste jede bereits gefallene Karte und gewann sehr oft.
Wir spielten auch Karten, aber natürlich zu anderen Tarifen, mussten wir unser Geld doch ganz normal verdienen. Sie nannten uns junge Hüpfer, die ganz normal in die Arbeit gingen und mit Autos handelten, die "Braven". Oder gleich die "gaaanz Braven".
Der Autor

Auf dem linken Bild ist er 18: Ein kleines bisserl hat sich der Münchner Bernhard Linck, Jahrgang 1957, schon verändert, oder?
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