Münchner Gschichten: Erst ein Ohnmachts-, dann ein Tobsuchtsanfall
Mofa, Luftgewehr und heimliche Liebeleien: Man darf schon mal viel Schmarrn machen als junger Münchner – auch wenn es den Eltern nicht immer gefällt. Bernhard Link erinnert sich.
München - Heute beginnt die neue AZ-Serie – für Münchner und von Münchnern: Geschichten von Striezis, Stenzen und wirklich l(i)ebenswerten Jahren. Man muss wirklich kein Ewiggestriger sein, um manchmal von Wehmut erfasst zu werden – und von Gedanken an frühere Zeiten, in denen gewiss nicht alles besser war, aber doch irgendwie: leichter, lässiger, münchnerischer.
Zeiten, in denen ein Helmut Fischer als Monaco Franze über Jahre stilprägend war. Als junge Münchner noch nicht allesamt hochdeutsch sprachen und der Streifenpolizist, wenn er bei der Kontrolle eine Bierfahne roch, Gnade vor Recht ergehen ließ. Als München noch München war – und nicht vorrangig geprägt von Mietwahnsinn und Zuzugsdruck.
Aus dieser Zeit will die AZ in den kommenden Wochen erzählen. Oder besser: erzählen lassen. Wir geben echten Münchnern die Gelegenheit, aus ihren Erinnerungen zu berichten.
Zum Auftakt lassen wir den Münchner (Lebens-)Künstler Bernhard Linck zu Wort kommen – über seine Jugendzeit im wilden Münchner Westen. Viel Spaß beim Lesen. Und beim Mitmachen und -schreiben.
Meine braven Allacher Freunde waren der Morgenberger Max, der Herzthaler Bernd und der Kayser Theo, dem ich heute noch manchmal begegne. Wir besuchten die neunte Klasse der Hauptschule in München-Allach, ein Jahr zuvor wurde der qualifizierende Hauptschulabschluss eingeführt, den ich aber ignorierte, denn das Wetter war so schön. . .
In unserer Freizeit hingen wir oft beim Herzthaler Bernd herum, vergnügten uns mit irgendwelchen Mädels und hatten lustige Einfälle.
Zum Beispiel rasten wir auf seinem Garelli-Mofa in voller Ledermontur mit Höchstgeschwindigkeit auf der Straße an seiner Einfahrt vorbei, in der die anderen mit angelegtem Luftgewehr lauerten, um dem Vorbeifahrenden in dem winzigen Zeitfenster der Hofeinfahrt eins auf den Pelz zu brennen. Das brannte tatsächlich wie Sau.
Oder wir fesselten unsere Feinde an Bäume im Wald, schmierten ihnen Nasenpopel ins Gesicht und ließen sie dort trocknen. Erst wenn sie trocken waren und so richtig schön klebten, wurden sie wieder freigelassen.
Der Lenz Rudi war auch ab und zu dabei und nahm Sprengungen vor. Chinaböller waren das Mindeste, gerne im Bündel. Wir sprengten alles: eiserne Baueimer oder ungeliebte Briefkästen zum Beispiel. Wir schafften es, einen eisernen Baueimer zwei Stockwerke hoch fliegen zu lassen.
Das Motto lautetet: "A boar Wadschn ham no koam gschod"
Auch unsere Fahrräder wurden hochgesprengt, anfangs noch ohne, später dann mit einem Brett unter dem Reifen, damit es nicht immer den Reifen zerriss. Erst wenn das Fahrrad einen kompletten Salto vollführte, waren wir zufrieden.
Irgendwann beim Experimentieren mit Unkraut-Ex und Zucker riss es dem Rudi dann den Mittelfinger von der Hand.
Vom Morgenberger Max habe ich noch in Erinnerung, als wir zusammen mit der anderen neunten Klasse im Schullandheim waren und er gerade mit der Meier Uschi ging, steckten sich die beiden während eines Ausflugs am Starnberger See in ihrem jugendlichen Leichtsinn vor Uschis Lehrer die Zungen in den Hals und Herr Jablonski, nicht gerade der Pädagoge vor dem Herrn, wusste nichts Besseres, als dem Max vor der versammelten Klasse derart eine ins Gesicht zu knallen, dass es ihm den Schädel hinterriss und er hochrot anlief.

Selbstverständlich bekam er auch noch einen Verweis deswegen. Der Max. Die Uschi nicht. Der Jablonski auch nicht. Wohlgemerkt, das war 1972, nicht etwa 1932.
Mit dem Spruch "A boar Wadschn ham no koam gschod" versuchten damals Erziehungsberechtigte, sich ihre körperlichen Angriffe auf Kinder und Jugendliche schönzureden, immer wenn ihnen das Erziehungstalent ausging.
Noch in der siebten und achten Klasse hatten wir Schläge bekommen und wurden an den Haaren gezogen, da überm Ohr, wo es so gemein wehtut. Und mein Vater lebte ja sowieso in seiner biblischen Parallelwelt, wo geschrieben steht: "Wer seinen Sohn liebt, der züchtigt ihn." Mir HAT das geschadet.
Was zu beweisen war.
Wenn ich zu Hause meinem Vater von den pädagogischen Glanzleistungen meiner Lehrer erzählte, erwähnte er gerne mal seinen Vater, der – nachdem er sich über die Schläge seines Lehrherrn bei ihm beschwert hatte – den Gürtel aus der Hose gezogen und ihn damit weiter verdroschen hatte. Das war jedoch wirklich 1932.
100 Mark – damit fuhr ich hochmotiviert zum Einkaufen in die Stadt
Nachdem ich mich aber noch ziemlich genau an die Schläge meines Vaters mit dem Ochsenfiesel (das war ein etwa achtzig Zentimeter langer getrockneter Ochsenschwanz) erinnern konnte, war mir eigentlich schon klar, dass von dieser Seite auch kein Verständnis zu erwarten war. Wie gesagt, mir hat das geschadet.
Ich begann, Musik zu hören, hatte für mein Fahrrad eine Rennverkleidung aus Metall gebaut und meinen Kassettenrekorder integriert. Mungo Jerry, Slade, The Small Faces (die Band, in der Rod Stewart Sänger war, bevor er seine Solokarriere begann), The Beatles, Rolling Stones und Deep Purple waren meine Favoriten. Zum 15. Geburtstag bekam ich von meiner Mutter 100 Mark in die Hand gedrückt und den Auftrag, in die "Stadt" zu fahren, um mir eine neue Hose und neue Schuhe zu kaufen. Eine Woche zuvor war ich im Circus Krone auf meinem ersten Konzert gewesen, und das war Slade. Slade war eine schrill-skurrile typische Siebziger-Jahre-Band – und genau so kleideten sie sich.
Ich werde nie vergessen, wie Noddy Holder, der Sänger von Slade, in seinen 20 Zentimeter hohen grünen Plateau-Stiefeletten und der kanariengelben Hose mit mindestens 30 Zentimetern Schlag direkt vor mir auf der Bühne stand.
Ich hatte die ganze Zeit diese giftgrünen Wahnsinnstreter vor der Nase, und so fuhr ich hochmotiviert zum Einkaufen in die "Stadt". Selbstverständlich fand ich eine kanariengelbe Schlaghose und giftgrüne Plateau-Stiefeletten, zog sie gleich an und fuhr stolz wieder nach Hause, wo meine arme Mutter einen Ohnmachts- und, als sie wieder zu Kräften kam, einen Tobsuchtsanfall erlitt. Aber es half nichts, das war mein neues Outfit.
Außerdem ließ ich mich dann kurze Zeit später tätowieren, einen Schmetterling mitten auf die Brust – und da war die Hose schnell vergessen.
Der Film "Papillon" mit Steve McQueen und Dustin Hoffmann hatte mich derart nachhaltig beeindruckt, dass ich mir kurze Zeit später während einer Party vom Schmid Rudi einen Schmetterling auf die Brust tätowieren ließ. Papillons unbedingten Willen zur Freiheit hatte ich zu dieser Zeit aufgrund meines übergestrengen Vaters derart verinnerlicht, dass ich mit dem Rudi quasi die Szene, in der Steve McQueen dem Indiohäuptling den Schmetterling auf die Brust tätowiert, mit mir – als Indio auf dem Küchentisch liegend – nachspielte.
Den Schmetterling trage ich heute noch mit Stolz und freudiger Erinnerung an diese Zeit.
Im zweiten Teil der Serie lesen Sie: Gedanken ans Willi-Wien-Stüberl – und ans (unfreiwillige) erste Mal auf der Wache in der Ettstraße.
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