AZ-Serie "Münchner Gschichten" Teil 8: Einsatz am Max-II-Denkmal
Teil 8 mit zwei Geschichten von AZ-Lesern: Hannes Heindl reparierte 1954 das lädierte Monument, worauf es zunächst zu tumultartigen Szenen kommt. Marianne Beckmann erinnert sich an ihre Kindheit 1953 in der Kazmairstraße gleich hinter der Bavaria.
Hannes Heindl: Einsatz am Max-II-Denkmal
Zur AZ-Serie "Münchner Gschichten" steuere ich gerne ein paar Zeilen bei, nämlich aus dem Jahre 1954. Das hätte im Wesentlichen jederzeit auch heute passiert sein können.
In einer renommierten Kunst- und Erzgießerei erlernte ich das Ziseleur-Kunsthandwerk, wobei es zweierlei Ziseleure gibt: den Gussziseleur, der den aus der Grube gehobenen Guss nach dessen Abkühlung bearbeitet, und den Treibziseleur, der etwa Beschläge von Messbüchern macht.
Der Bavaria versuchten wir mit Bleischnüren beizukommen
Gerade in den 50er Jahren machten wir viele Restaurierungen und Ergänzungen, insbesondere an von im Krieg angeschlagenen Denkmälern. So etwa waren wir wochenlang auf bzw. in der Bavaria tätig. Wir versuchten ihr mit Bleischnüren zur Verdichtung beizukommen. Diese sollten die Risse verdichten, die durch die Bomben-Detonationen herrührten, die auch die Ruhmeshalle beschädigt hatten.
Auch Fürst Wrede aus der Feldherrnhalle oder ein Prinzregentenstandbild hatten wir in der Mache – und eben auch das Max-II-Denkmal. Hier fehlten ein paar Buchstaben.
Voll gepackt mit den nachgemachten Buchstaben fuhren wir zur Maximilianstraße und machten uns daran, diese dort zu montieren. Plötzlich stand eine große Menge um uns herum, die uns wüst zu beschimpfen begann und die Polizei alarmierte. Zunächst dachten wir, es sei die Neugierde der Leute, die sie antrieb, uns zuzuschauen. Plötzlich aber waren alle sehr grantig. Man verdächtigte uns – am helllichten Tag – die Buchstaben vom Denkmal zu stehlen! Zwei Funkstreifen kamen. "Nehmen Sie die mit", riefen die Leute. Es bedurfte einige Zeit, die Polizisten davon zu überzeugen, wer wir waren und was wir taten. Als sich der Irrtum aufklärte, gab’s viel Gelächter.
Zu Mutters Glück gab es die Frau Hochhäusl, eine Frau Bäcker Bauer und eine Frau Katznleitner. Wir hatten nämlich das unverschämte Glück, in einem Haus zu wohnen, in dem es im Erdgeschoss ein Milchgeschäft, eine Bäckerei und einen Kramerladen gab. Drei Geschäfte in einem Haus – fast wie im Schlaraffenland.
Im Kramerladen von Frau Hochhäusl standen jede Menge Jutesäcke herum. Sie waren prall gefüllt mit Zucker, Zwiebeln, Kartoffeln und dergleichen. Von den Holzregalen lachten herrliche Köstlichkeiten herunter. Prächtige Pralinenschachteln der Marke Waldbaur, Trumpf-Pralinetten und die Schokoladen mit dem Sarotti-Mohr. Sehnsüchtige Blicke warfen wir hinauf, aber da blieb uns der Schnabel sauber.
Aus den geheimnisvollen Tiefen der vielen, vielen Schubladen zauberte Frau Hochhäusl alles Mögliche hervor: Bodengelb zum Scheuern der Parkettböden, Erbswurst, Maggis feine Brühwürfel und, und, und. Sie verkaufte Chicorée als Kaffee-Ersatz: Linde’s Kaffee, den mit den blauen Punkten. Daneben Schuhcreme, Nudeln, Schnürsenkel und all den anderen Kram.
Kamen wir zum Einkaufen, sagte sie: "Geh, frag doch die Mama, ob sie wieder ein Steigerl Obst mag!" Keinen Pfennig verlangte sie dafür, meinte nur: "Lassn’S guad sein, Frau Staudt, ich hab schon wieder was zum Nähen."
An der Ecke Angler- /Kazmairstraße befand sich der Bäckerladen vom "Bäcker Bauer". Frau Bauer war ebenfalls eine kreuzbrave Frau. Die "Bäcker Bauers" waren auch die Besitzer des Hauses, in dem wir wohnten. Am Ende des Monats ging Mutter mit dem Mietbuch, einem kleinen schwarzen Heftchen, in das Geschäft. Sie legte das Geld für die Miete auf die Ladentheke und bekam das Datum in das Mietbuch eingetragen mit dem Vermerk "bezahlt!".
Auch die Bäckersfrau steckte Mutter immer wieder mal etwas zu. Absichtlich vergaß sie dann häufig, etwas in Rechnung zu stellen – und das, obwohl Irmi, trotz Mutters strengstem Verbot, Herrn Bäcker Bauer, dem sämtliche Haare auf dem Kopf fehlten, bei jeder Gelegenheit hinterherrief: "Plattata Semmegeist vo neinzehnhundertneinerdreißg."
Beim Hinabsteigen empfing uns süßer Duft von Gebäck
Der gemütliche Bäcker nahm Irmis Geplapper nie krumm, im Gegenteil! Wir Kinder durften in seiner Backstube ein- und ausgehen. Sie lag tief unten im Keller. Im Krieg hatte dieser katakombenartige Keller als Luftschutzraum gedient. Bei jedem Bombenalarm hatten die Hausbewohner dort unten Zuflucht gefunden, während über ihnen die Bomben einschlugen. Manche Hausbewohner mieden jetzt den Keller.
Für Bibi, Robbi und mich, für uns Geschwister, die wir den Krieg nur noch vom Hörensagen kannten, war der ehemalige Luftschutzraum jetzt ein Stück Himmel geworden.
Beim Hinabsteigen über die alte, ausgetretene Steintreppe empfing uns der süße Duft von Gebäck und Plätzchen, von Sauerteig und duftenden Semmeln. Wann immer wir wollten, durften wir beim Backen zusehen, und immer fiel dabei etwas für uns ab.
Der Ort, an dem während der Luftangriffe die Hausbewohner um ihr Leben bangten, wurde für uns zum Schlaraffenland. Im Winter, wenn es draußen bitterkalt war, durften wir uns in der Backstube mit dem mächtigen Steinofen aufwärmen. Beim Öffnen der drei großen Ofenklappen tat sich ein gefährlicher Schlund auf, in dem eine Höllenglut herrschte.
Trat man dann vom Bäckerladen hinaus auf die Straße und wandte sich nach links, stand man vor dem "Milliladen" der Frau Katznleitner. Die "Katznleitnerin" war eine gutmütige, rundliche Frau mit schneeweißem Haar und einer Haut, so weiß wie der Quark, den sie verkaufte. Bei der "Millifrau" konnte man sich ein Achtel Butter holen, so man es sich denn leisten konnte.
1953 wurde ein halbes Pfund in vier Teile geschnitten. Die "gute Butter" gehörte in den 50ern noch zu den Luxusgütern. Zwei Stunden musste ein Arbeiter für ein Pfund Butter arbeiten, also wurde Margarine aufs Brot geschmiert. Bei der Frau Katznleitner gab es auch einen Eckerlkäs um 10 Pfennig. Die Milch schöpfte sie mit einem Messbecher aus einer großen Blechkanne in unsere mitgebrachte Milchkanne.
Bei der "Katznleitnerin" gab es ein dickes Heft zum Anschreiben. Sie hatte einen Riesenverschleiß davon. Diese "Anschreibheftl" gab es natürlich auch beim Bäcker Bauer und im Kramerladen von Frau Hochhäusl. Gott und die Welt ließen anschreiben in dieser Zeit.
Auch Mutter konnte die ganze Woche über anschreiben lassen, beglich jedoch sofort an Vaters Zahltag die offenen Rechnungen. Auch wenn Frau Bauer oder Frau Hochhäusl meinten: "So hätt’s jetzt auch nicht pressiert, Frau Staudt."
Und was haben Sie erlebt? Schreiben Sie an die AZ!
Die AZ wird Sie in diesen Sommertagen unterhalten mit Geschichten aus den Zeiten, in denen München doch noch münchnerischer war als heute. Als Stenze durch die Stadt strawanzten – und Striezis und Schandis aneinandergeraten sind.
Haben Sie selbst auch solche Münchner Gschichten erlebt? Schreiben Sie sie auf – und schicken sie, gern mit Fotos (falls vorhanden) – an leserforum@az-muenchen.de
Oder per Post an:
Abendzeitung
Kennwort: Gschichten
Garmischer Straße 35
81373 München
Die AZ wird ausgewählte Gschichten veröffentlichen.
Lesen Sie hier Teil 4 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "An Zwickl-Fünfer mit de kurzn Kartn"
Lesen Sie hier Teil 6 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "Ich war nie ein Striezi oder ein Stenz"