AZ-Serie "Münchner Gschichten" Teil 20: Die 60er - Wie anders doch die Wiesn damals war!
AZ-Leserin und Fotografin Britta E. Knoll beschreibt in unserer Serie "Münchner Gschichten" ihre Anfänge in München – und wie sie einmal unvermittelt in der Abendzeitung als Motiv gelandet ist.
München - Am 8. September 1968 kam ich in München an, um als eine der Ausgewählten – die Beteiligung war groß, denn Fotografie galt damals als attraktiver Berufszweig – das Meisterjahr an der Fotoschule in der Clemensstraße zu absolvieren. Vorausgegangen war eine Lehre in Stade und darauf folgend eine zweieinhalbjährige Assistenzzeit bei einem Werbefotografen in Hamburg.
Für mich war in München alles neu: das wunderschön warme Herbstwetter, Schwabing mit der lockeren Atmosphäre und dem Treiben in der Leopoldstraße, das Umland wie der Starnberger See und vor allem die Berge. Als Schüler der "Staatslehranstalt für Fotografie" durften wir in der Mensa der Universität essen, was uns auch mit den 68er-Aktivitäten konfrontierte.
Konservativ erzogen, stand ich ihnen mit Skepsis gegenüber, nahm aber doch an den Teach-Ins teil, weil eine meiner Klassenkameradinnen mit einem Studenten befreundet war, der Mitglied des SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund, d. Red.) war.
Die Wiesn: gemütlich und nicht übermäßig voll
Eine der ersten Monatsaufgaben in der Fotoschule war eine Serie über das Oktoberfest. Wie anders sehen die Menschen auf diesen Fotos aus, verglichen mit heute! Ältere Paare saßen gemütlich draußen oder drinnen und tranken ihr Bier, es war nicht übermäßig voll.
"Wie anders sehen die Menschen auf diesen Fotos aus – verglichen mit heute": Britta E. Knoll hat dieses Paar auf dem Oktoberfest fotografiert.
Auch damals gab es bereits Ausländer, für die die Wiesn attraktiv war. Ich machte dabei meine erste Erfahrung mit dem Oktoberfestbier und werde sie nie vergessen. Weil ich nur das norddeutsche Bier kannte, war ich nicht darauf gefasst, dass schon eine einzige Maß eine solche Wirkung hat. Ich musste ja auf meine teure Ausrüstung aufpassen: Berufs-Fotografie bedeutete damals Leica, Linhof und Hasselblad – Kameras, die ich mir in den Jahren vorher abgespart hatte.
Von der Innenstadt sah ich nur wenig, denn die Mitte der Neuhauser Straße war auf der ganzen Länge zwischen Marienplatz und Stachus eine riesige tiefe Baustelle für U- und S-Bahn und nur auf ganz schmalen Seitenstreifen begehbar. Die Trambahn, mit der ich jeden Tag zur Schule fuhr – ich wohnte die ersten zwei Monate in Lochham – wurde über die Brienner Straße umgeleitet und führte dann durch das Siegestor zur Münchner Freiheit.
Das Zimmer war winzig - dafür aber neben einem Prominenten
Dann mietete ich ein winziges Zimmerchen in Bogenhausen, dort war einer meiner prominenten Nachbarn Michael Pfleghar, von dem man aber nicht viel sah, weil er dauernd unterwegs war.
Etwas Geld verdiente ich mir nebenbei, indem ich für den "Magnum"-Fotografen Thomas Höpker Fotos, die er für die Presse brauchte, in seinem Kellerlabor vergrößerte. Auch Aufnahmen aus dem Vietnamkrieg waren darunter, die mich tief berührten. Höpker bewohnte zu dieser Zeit zusammen mit seiner Frau Eva Windmöller eine große Altbauwohnung in der Mauerkircherstraße, für mich sehr bequem "ums Eck".
Die Meisterprüfung bestand ich im September 1969 mit "sehr gut" – im gleichen Monat bekam ich erstens eine Anstellung als Fotografin im Atelier Blaumeiser und lernte zweitens meinen späteren Mann kennen – zwei ausschlaggebende Gründe, als Nordlicht in München zu bleiben.
Die Arbeit in der kleinen Werbeagentur gefiel mir ausgezeichnet. Wir waren ein Team um Zeichner Josef Blaumeiser mit Kunden aus der Pharmaziebranche und bei großen Münchner Verlagen, auch die Stadt zählte zu unseren Auftraggebern.
Mir stand im Kellergeschoss des neu gebauten Hauses in Solln ein eigenes Fotoatelier mit angeschlossenem Schwarzweiß- und Farblabor zur Verfügung, denn zu dieser Zeit wurde noch alles von Hand entwickelt und vergrößert. Meine Spezialität waren Farbfotomontagen und -verfremdungen, die dann von den Grafikern vielfach für Buchumschläge weiterverarbeitet wurden.
Als Katja Epstein zum Schminken etwas länger brauchte
Einer unserer Kunden war eine bekannte Brillenfirma in München, die immer wieder Prominente einlud, sich mit Brille zu präsentieren. So kam auch Katja Epstein ins Atelier – hübsch, jung und berühmt. Sie brauchte sehr lange zum Schminken, und wir mussten auf sie warten, worauf einer meiner Grafik-Kollegen respektlos sagte: "In der Zeit kannst aa an Elefantn o’streichn!"
Berühmtheiten sah ich vor allem auf der Münchner Modewoche, für die wir die gesamte Werbung machten. Dafür musste ich Farbdias und Schwarzweiß-Fotos aller stattfindenden Aktivitäten, der Messestände und der Anlagen machen. Das fing bei den Modeschauen an, über die Eröffnung bis hin zu Porträts der Modepreisträger, wobei ich auch einmal Valentino (Garavani) in seiner Suite im "Vier Jahreszeiten" fotografierte.
Abgesehen von den schönen eleganten Models fand ich "Mutter Else", die Mutter von Rudolph Moshammer, besonders interessant, mit ihrer fantastisch gestylten lila Frisur, aber wunderbar kostbar und gepflegt angezogen.
Es gehörte zwingend dazu, gut oder ausgefallen gekleidet zu sein, besonders für den Operngala-Abend, den die Besucher aus der Branche immer sehr genossen, weil sie sich in voller Pracht präsentieren konnten. Die ganze Organisation wurde von Modedirektor Alfred Wurm mit viel Verve "dirigiert"; nur er war glamourös genug, um für die Modeleute attraktiv zu sein. Sein Tod im Jahr 1983 bedeutete auch den Niedergang der Münchner Modewoche.
Wie man in München anbandelt
Auf meinen Fototouren für die Stadt München wurde ich 1972 selbst einmal Foto-Objekt. Ausgerechnet für den Artikel "Wie bandelt man in München an?" hat Franz Hug (Fotograf der Abendzeitung, d. Red.) mich fotografiert. Wie haben mich Chef Blaumeiser und meine Kollegen damit aufgezogen – aber ich schwöre noch heute, dass ich es wirklich nicht gemerkt habe!
Josef Blaumeiser hat lange Zeit auch die tägliche Karikatur für die Seite 2 der Abendzeitung gezeichnet, wir mussten beim Brainstorming alle mithelfen, damit die Zeichnungen termingerecht rausgehen konnten.
Besondere Höhepunkte waren die Bücher zusammen in der "Viererbande", bestehend aus den "SZ"-Redakteuren Hannes Burger und Herbert Riehl-Heyse, für den ich die Korrekturen seiner Buchbeiträge gemacht habe, sowie AZ-Redakteur Ernst(l) Fischer. Dazu kam als Zeichner und Vierter im Bunde Josef Blaumeiser. So entstanden etwa die Bücher "Bayern braucht Wolpertinger" und "Bayerns Preußen sind die Besten".
Auch heute noch kennt jeder Münchner MVG-Benutzer das sympathische Münchner Kindl auf den Plakaten und Videos. Es stammt ursprünglich aus der Feder von Josef Blaumeiser, der leider bereits 1988 starb. Dadurch änderte sich auch mein Leben grundlegend, allerdings bin ich der Werbebranche weiterhin treu geblieben, wenn auch nicht mehr als Fotografin.
Und was haben Sie erlebt? Schreiben Sie an die AZ!
Die AZ wird Sie in diesen Sommertagen unterhalten mit Geschichten aus den Zeiten, in denen München doch noch münchnerischer war als heute. Als Stenze durch die Stadt strawanzten – und Striezis und Schandis aneinandergeraten sind.
Haben Sie selbst auch solche Münchner Gschichten erlebt?
Schreiben Sie sie auf – und schicken sie diese, gern mit Fotos (falls vorhanden) – an leserforum@az-muenchen.de
Oder per Post an:
Abendzeitung
Kennwort: Gschichten
Garmischer Straße 35
81373 München
Die AZ wird ausgewählte Gschichten veröffentlichen.
Lesen Sie hier Teil 4 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "An Zwickl-Fünfer mit de kurzn Kartn"
Lesen Sie hier Teil 6 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "Ich war nie ein Striezi oder ein Stenz"
Lesen Sie hier Teil 9 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "Rainer Weiss - ein Unikum und Urgestein"
Lesen Sie hier Teil 11 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "Münchner Freiheit, die ich meinte"
Lesen Sie hier Teil 18 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": Die 50er Jahre: "Damals war man toleranter"
Lesen Sie hier Teil 19 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "Ein Jahr Milchkännchen"