Schräge Typen, fiese Tricks und krude Erlebnisse

Während meiner dreijährigen Bürotätigkeit in einem Frankfurter Architekturbüro, also in einer damals absolut männlichen Umgebung, war ich mit allen Wassern gewaschen worden, was die verbale Kommunikation unter Männern mit ihren diversen Ausuferungen betraf. Damit war die elterlich unterbliebene sexuelle Aufklärung nachgeliefert. Es war mir klar geworden: die Männer denken immer dran und sie wollen auch immer nur das Eine. Mit diesem Wissen fühlte ich mich fit für die große weite Welt und einen Umzug nach München.
Durch die Überredungskunst eines ehemaligen Klassenkameraden, der schon in der Schule gerne Lederhosen trug, lief ich, mit einem enormen Selbstbewusstsein und einer großen Klappe gesegnet, als possierliches "Fräulein" in München ein.
Ich bezog ein Appartement in Schwabing, dessen Adresse jeder Taxifahrer kannte. Den Grund dafür ahnte ich erst, als man bei Nennung meiner Adresse eigenartig die Augenbrauen in die Höhe hob. Ich habe trotzdem einige Jahre und gerne dort gewohnt, auch noch, nachdem während eines Kinobesuches einmal jemand in meine Wohnung eingestiegen und über meine Unterwäsche hergefallen ist. Bei der Polizei hat man mir geraten, in Zukunft die Balkontüre zuzuschließen, wenn ich ins Kino gehe.
Die Ärztin verschrieb mir die Anti-Baby-Pille – ohne es mir zu sagen
Das größte Umzugsgut war mein teures Fahrrad gewesen. Und meine erste schlechte Erfahrung in München war, dass man mir das teure Stück nach zwei Monaten gestohlen hat.
Mein erster Chef war ein Witzbold. Dachte ich wenigstens. Wenn ich mit der Kollegin mittags meine Brezn aß, während wir aus dem Fenster hingen, schlich er sich von hinten an und piekste uns beiden (gleichzeitig – also der einen mit der rechten, der anderen mit der linken Hand) mit einer Stecknadel in unsere Popos. Zuerst fanden wir das ja noch lustig, aber als er es nicht lassen konnte, verließ ich die Firma nach der Probezeit.
Mein zweiter Job war die Arbeit in einem Immobilienbüro. Der Chef sagte, mein Frankfurter Zeugnis sei so hervorragend, dass er mich einfach nehmen müsse. Dass er bei der Einstellung aber gar nicht so sehr auf mein Zeugnis gesehen hatte, erfuhr ich ziemlich schnell, denn seine begehrlichen Blicke konnte er nicht lange vor mir verbergen.
Er kam mir verbal immer näher, und irgendwann bot er mir dann ein Appartement an, weil ich mir doch mit meinem kleinen Gehalt keine schöne Wohnung leisten könne. Ich sagte, mir wäre lieber, er erhöhe mein Gehalt, dann brauchte ich kein neues Appartement. Aber das wollte er nicht. Zum Glück konnte ich Tätlichkeiten zurückhalten.
Als dann aber in das Büro eingebrochen und uns allen die Fingerabdrücke genommen wurden, hatte ich eigentlich die Nase voll. Doch dann schenkte mir mein damaliger Freund einen jungen Rauhaardackel. Ich mochte Hunde gern, aber wo sollte ich den denn hintun, wenn ich arbeiten ging? Also machte ich gute Miene wegen des Appartements, und so durfte ich meinen Hund mit ins Büro bringen.
Er wurde schnell größer und sein Halsband immer dünner, weil er darauf herumkaute. Also zogen wir nach der Arbeit los, um ein neues Halsband zu kaufen. Dummerweise lief auf der anderen Straßenseite ein kläffender Köter entlang, und mein Hund wollte zu ihm. Er zerrte und zog und zack, das Halsband zerriss, ein Auto kam zu schnell daher. Der Fahrer fuhr mich sofort mit meinem Hund auf dem Arm in die Tierklinik. Ich kam ohne meinen Hund wieder heraus. Ohne meinen Hund brauchte ich auch den Job nicht mehr.
Ziemlich schnell hatte ich Freunde gewonnen, und durch meinen häufigen Arbeitsstellenwechsel erweiterte sich dieser Kreis wie von selbst.
Ab und zu ließ sich mein Schulkamerad noch blicken, auch er immer in Gesellschaft von einigen interessierten Männern – und das war wichtig, denn man war ja schließlich so nebenbei auch darauf angewiesen, sich mal umzusehen, ob nicht etwas Handfestes herumläuft, das man sich in Hinsicht auf später näher anschauen sollte. Aber ich wollte mir noch Zeit lassen mit der Festlegung. Es war gerade so lustig, und es passierte so viel, mich da auf einen Einzigen festzulegen, war nicht in meinem Sinn. Also ließ ich weiterhin Vorsicht walten und behielt meinen Eisprung im Auge.
Richtig geärgert habe ich mich dann aber über meine Ärztin. An und für sich verstanden wir uns gut, sie hatte etwas Mütterliches, das ich genoss. Ich vertraute ihr meinen Kummer über die monatlichen Schmerzen an und auch, dass sich meine Kollegen schon über diese Tage, in denen ich völlig unkonzentriert und neben der Mütze war, beschwert hätten.
Verständnisvoll, wie sie war, half sie mir mit einer neuen Pille, die mir ab sofort diese Schmerzen nehmen würde, ich musste ihr aber versprechen, sie pünktlich jeden Morgen einzunehmen. Bereits einige Tage nach der Einnahme lag ich morgens von 10 Uhr bis ca. gegen Mittag mit dem Kopf in den Armen über meinem Schreibtisch, unterbrochen nur von kurzen Abstechern ins WC, wo ich mich übergeben musste.
Jetzt ging das Gemecker der Kollegen erst richtig los. Wenn ich schwanger sei, sollte ich endlich zum Arzt gehen und mir Pillen verschreiben lassen. Schwanger? Ich? Ich hätte zu der Zeit nicht gewusst, wie das passiert sein sollte. Aber mir war so schlecht, dass ich nicht einmal darauf antwortete.
Ich ging wieder zur Ärztin und erfuhr, dass sie mir Anti-Baby-Pillen gegeben hatte – und die würde natürlich dieselben Symptome hervorrufen wie eine Schwangerschaft. Ich solle sie sofort absetzen. Ich habe ihr dann schon klargemacht, dass ich gerne von ihr auch die angenehmen Nebenwirkungen der Pille erfahren hätte.
Beziehungen zu haben war von Vorteil – man konnte viel Geld sparen, wenn man die richtigen hatte. Zum Beispiel im Fasching. Im Haus der Kunst ging die Post ab. Nur – die Faschingsbälle kosteten Eintritt, und das Tanzen macht durstig. Wir hatten das Glück, eine "Beziehung" zu einem Typen zu haben, der ein hohes Tier aus der Zeitung "Quick" kannte. Die Illustrierte veranstaltete diese Kostümbälle unter dem Namen Qui-Qua-Quu, und wem was am Tanzen und Feiern lag, ging dort hin. So kamen wir wenigstens zu einem Stehplatz.
Für die Stimmung wurde ein Flachmann mit Hochprozentigem heimlich unterm Kostüm importiert. Das Wasser für den Durst gab es in der Toilette gratis. Morgen lesen Sie den zweiten Teil der Münchner Geschichten von Julia Fischer: Die vielleicht kurioseste Fahrprüfung, die es je gegeben hat.
Und was haben Sie erlebt? Schreiben Sie an die AZ!
Die AZ wird Sie in diesen Sommertagen unterhalten mit Geschichten aus den Zeiten, in denen München doch noch münchnerischer war als heute. Als Stenze durch die Stadt strawanzten – und Striezis und Schandis aneinandergeraten sind.
Haben Sie selbst auch solche Münchner Gschichten erlebt?
Schreiben Sie sie auf – und schicken sie diese, gern mit Fotos (falls vorhanden) – an leserforum@az-muenchen.de
Oder per Post an:
Abendzeitung
Kennwort: Gschichten
Garmischer Straße 35
81373 München
Die AZ wird ausgewählte Gschichten veröffentlichen.
Lesen Sie hier Teil 4 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "An Zwickl-Fünfer mit de kurzn Kartn"
Lesen Sie hier Teil 6 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "Ich war nie ein Striezi oder ein Stenz"
Lesen Sie hier Teil 9 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "Rainer Weiss - ein Unikum und Urgestein"
Lesen Sie hier Teil 11 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "Münchner Freiheit, die ich meinte"
Lesen Sie hier Teil 19 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "Ein Jahr Milchkännchen"
Lesen Sie hier Teil 23 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "In Schwabing war jeder Tag ein Erlebnis"
Lesen Sie hier Teil 24 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "Rainer und der Anruf aus der Badewanne"