AZ-Serie "Münchner Gschichten": Bewegte Jugend und Mutproben im FKK-Bereich

Geboren 1951 in der Werneckstraße und getauft in St. Sylvester – ich bin also ein Urmünchner Gwachs. Die ersten sieben Jahre bin ich in der Siedlung Kaltherberge, Gemarkung Freimann, aufgewachsen.
Um uns herum waren noch Gärtnereien und landwirtschaftliche Anwesen. Dort, wo heute der Euro-Industriepark ist, waren damals die Felder der hiesigen Bauern, riesige Bombentrichter aus dem Zweiten Weltkrieg und ausgedehnte Brachwiesen, wo mir mein Vater beim Gassigehen die Natur erklärt hat.
Wir haben Lerchennester gesucht, Feldhasen aufgestöbert und noch viele andere Sachen gemacht. Neben dem Gelände war die Henry-Kaserne, die heute Bayernkaserne heißt. Die Amis kippten oft ihre Küchenabfälle einfach in die Bomben-trichter, und unser Hund stank gelegentlich gottserbärmlich nach diesem Unrat.
Mitte der 50er war es dann schon interessant, den Amis beim Panzerfahren zuzuschauen, wie sie zum Schießplatz in der Heidemannstraße fuhren. Gelegentlich sind auch Fallschirmjäger in der Heide abgesprungen. Meine Eltern und mein zehn Jahre älterer Onkel fuhren mit mir im Sommer zum Baden an die Würm oder den Feldmochinger Baggersee, der damals noch eine wilde Kiesgrube war. Ein großes Ereignis war es auch, mit Tram und Bus zu den Verwandten nach Obermenzing zu fahren. Dort gab es dann auch immer fleißig Futter für die Taschengeldkasse.
1958 sind wir dann in die Maxvorstadt gezogen, und ich kam in die Türkenschule. Auch hier begegneten uns die Amis wieder. Am Independence Day war immer große Militärschau auf dem Königsplatz. Nach der Gründung der Bundeswehr war es dann sogar eine gemeinsame Schau der beiden Armeen.
Für uns Kinder war das eine herrliche Zeit. Auf der Straße war noch kein Verkehr. In unserem Block gab es erst einen Autobesitzer (ein Ford "Badewanne"). Dann waren noch elektrische Postautos und Bierfuhrwerke unterwegs. Später kamen dann die auffälligen gelben Kleinlaster des Getränkeherstellers "Vorlo" ins Straßenbild.
Aber zurück zu uns Kindern. Nach der Schule und dem Mittagessen ging‘s hinaus – bis zum Dunkelwerden, war die elterliche Anweisung. Wir stöberten in Bombenruinen herum, Bretterzäune waren für uns ja wirklich kein Hindernis. Manchmal erfuhren wir dann, wenn die Ruinen abgerissen wurden und der Schutt abtransportiert wurde, dass wir wochenlang auf einem Fünf-Zentner-Blindgänger gespielt hatten, der unter einem halben Meter Schutt verschüttet gewesen war.
Kraxeln in den Katakomben der Pinakothek
Der größte Abenteuerspielplatz für uns war das geräumte Trümmergrundstück der Neuen Pinakothek. Auf dem verbuschten Grundstück konnte man alles spielen – vom Cowboy und Indianer bis zum Räuber und Gendarm. Interessant wurde es im Frühjahr, wenn nach aufgetautem Winterfrost wieder Löcher zum Kellersystem der ehemaligen Pinakothek entstanden. Mit einer Mischung aus Furcht und Entdeckergeist sind wir in die Katakomben hinabgestiegen, um beim leisesten Geräusch einer Ratte schreiend wieder an die Oberfläche zu kraxeln, als sei der Leibhaftige hinter uns her.
Irgendwann hat das Baureferat die Löcher wieder mit Beton verplombt. Später waren es dann die Rohbauten des Wiederaufbaus, die von uns als Abenteuerspielplatz auserkoren wurden. Die wurden aber besser bewacht, und so fingen wir uns so manche Schell‘n ein, wenn wir erwischt wurden.
Aber einen Keller gab es noch, der für mich von großer Bedeutung war: der Keller der Trümmerruine der Landesblindenanstalt in der Schellingstraße. Es war die Zeit der Erstkommunion 1962. Die aufs Heftigste verfeindeten Buben der Amalienschule und Türkenschule verabredeten sich nach der letzten Beichte vor der Erstkommunion zur Schlacht in besagter Landesblindenanstalt.
Zuerst waren die Amalienschüler beim Beichten und erwarteten uns schon in der Ruine. Nachdem wir Türkenschüler von unseren Sünden losgesprochen waren, trafen wir auf dem Kampfplatz ein und es entstand eine heftige Rauferei. In deren Verlauf bekam ich einen Steinwurf auf mein Auge, das natürlich sofort in den Farben eines Veilchens anschwoll.
Das Veilchen wurde vom Kommunionsfoto wegretuschiert
Ich war der einzige Erstkommunikant in St. Ludwig, der mit einem Veilchen das Sakrament empfing. Aber es gibt keinen Beweis dafür: Meine Eltern haben es beim üblichen Fotografenbild wegretuschieren lassen. Mit zunehmendem Alter wurden unsere Aktivitäts-Radien immer größer, und bald gehörte der Englische Garten auch zu unserem Revier. Zumal wir dann auch schon alle Fahrräder hatten. Mit den Eltern fuhren wir an den schönen Wochenenden an die Isar zum Baden. Meistens waren wir an der Marienklause, aber auch ein paar Mal bis rauf zum Georgenstein. Einmal kehrten wir in der Waldwirtschaft ein, und meine Eltern kauften eine gebratene Renke für uns Drei.
Meine Mutter arbeitete halbtags – aber so, dass sie am Anfang des Monats ganztags arbeitete, aber ab der Mitte zu Hause war. Als ich noch kleiner war, war ich nach der Schule im Hort; später war ich Kostkind in einer persisch-deutschen Familie, die ein Kleinkind hatte. Der Bub war Perser, und so kam ich schon sehr früh mit dem Islam und dem Orient in Berührung. Vielleicht resultiert daraus meine Sehnsucht nach dem Orient, wer weiß.
Langsam erwachte auch das Interesse am anderen Geschlecht, und es war die Franzi aus der Schellingstraße, die uns schon mal unter den Rock schauen ließ. Im Ungererbad kannten wir die Umkleiden mit dem Guckloch zur Nachbarumkleide.
Damals gab es noch Garderobenfrauen, die einem nach Betätigen eines Schiebers die Kleidung im Tausch mit einer Garderobenmarke abnahmen. Diese Frauen wussten natürlich auch um unser Tun, und so wurden wir so manches Mal, wenn wir erwischt wurden, schmerzhaft an den Ohren gezogen. Im Ungererbad galt es auch als Mutprobe, durch den abgetrennten FKK-Bereich zu laufen. Mit den Fahrrädern fuhren wir, mit besagter Franzi, zum Poschinger Weiher. Dort durften wir dann auch mal anfassen, und Franzi bekam ein Eis von uns.
Im Audimax habe ich Habermas gehört – und nichts verstanden
Mit 14 kam ich in die Hermann-Frieb-Realschule, und der Freundeskreis änderte sich. Mit 16 hatten wir einen Tanzkurs bei der Contessa zu Luxburg in den ehrwürdigen Räumlichkeiten des Lenbachhauses. Die Mädchen kamen aus der Angerkloster-Schule. Daraus entstand eine bis heute dauernde Freundschaft zu meiner ersten Tanzpartnerin. Damals probierten wir natürlich heimlich alles aus, mit dem uns unsere Körper angenehme Gefühle bereiteten, alles bis auf das Letzte.
Aber jetzt änderte sich alles – die 1968er. Natürlich war ich bei vielen Demos dabei, ich wohnte ja praktisch im Zentrum der Auseinandersetzungen. Ich habe im Audimax Habermas gehört. Nichts verstanden, aber ich habe Habermas gehört.
Ich war am Monopteros und habe mit den Hippies gekifft und Musik gemacht. Gott sei Dank wurde ich niemals von der Polizei aufgegriffen und nach Hause gebracht. Meine Eltern wären aus allen Wolken gefallen. Jahre später habe ich es selbst gebeichtet.
Mein Leben hat sich aber in der Zeit stark verändert. Ich kam zur DLRG und hatte neben Schule und Hausaufgaben keine Zeit mehr für die "alten Freunde". Es kam die Zeit der Vorbereitung für die Olympischen Spiele, und ich war viel mit dem Verein unterwegs. Aber das ist eine andere Geschichte.
Und was haben Sie erlebt? Schreiben Sie an die AZ!
Die AZ wird Sie in diesen Sommertagen unterhalten mit Geschichten aus den Zeiten, in denen München doch noch münchnerischer war als heute. Als Stenze durch die Stadt strawanzten – und Striezis und Schandis aneinandergeraten sind.
Haben Sie selbst auch solche Münchner Gschichten erlebt?
Schreiben Sie sie auf – und schicken sie diese, gern mit Fotos (falls vorhanden) – an leserforum@az-muenchen.de
Oder per Post an:
Abendzeitung
Kennwort: Gschichten
Garmischer Straße 35
81373 München
Die AZ wird ausgewählte Gschichten veröffentlichen.
Lesen Sie hier Teil 4 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "An Zwickl-Fünfer mit de kurzn Kartn"
Lesen Sie hier Teil 6 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "Ich war nie ein Striezi oder ein Stenz"
Lesen Sie hier Teil 9 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "Rainer Weiss - ein Unikum und Urgestein"
Lesen Sie hier Teil 11 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "Münchner Freiheit, die ich meinte"
Lesen Sie hier Teil 19 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "Ein Jahr Milchkännchen"