Keine Ahnung, wem man zur Landtagswahl in Bayern die Stimme geben soll? Darum ist Nichtwählen auch keine Option

München - Wählen ist ein hohes Gut in einer Demokratie. Wer am Sonntag sein Kreuz in der Kabine auf dem Stimmzettel macht, entscheidet darüber, wie es in den nächsten fünf Jahren in Bayern politisch, wirtschaftlich - aber auch gesellschaftlich weitergeht.
Laut Bayerischem Landesamt für Statistik sind rund 9,4 Millionen Bürger stimmberechtigt, darunter etwa 554.000 Erstwähler. Aber nicht jeder Bürger wird sich am Sonntag auf den Weg zur Wahlurne machen.
Warum Nichtwählen keine Option sein sollte, erklärt Jörg Siegmund, Wahlforscher und Referent an der Akademie für politische Bildung in Tutzing: "Wer möchte, dass seine Interessen im politischen Entscheidungsprozess berücksichtigt werden, der sollte auch wählen gehen. Und eine hohe Wahlbeteiligung stärkt die Parlamente insgesamt - zum Beispiel auch in der Auseinandersetzung mit mächtigen Lobbygruppen, die die Politik unabhängig von Wahlergebnissen beeinflussen möchten." Die einzige Alternative, wenn man nicht weiß, wen man wählen soll, trotzdem zu wählen.
Landtagswahl: Etwa jeder Vierte ging 2018 nicht wählen
Das sieht Philipp Hildmann, Geschäftsführer des Bayerischen Bündnis für Toleranz, genauso und appelliert: "Ich halte es für äußerst wünschenswert, dass sich möglichst viele Menschen am Sonntag an der Landtagswahl beteiligen. Wer nicht wählen geht, verpasst die Chance, einem gesellschaftlichen Klimawandel' hin zu Angst, Verrohung, Ausgrenzung, Unterdrückung und Menschenverachtung etwas entgegenzusetzen. Es geht um die Zukunft unseres Landes." Obwohl jeder Wahlberechtigte in diesem Land an einer freien, gleichen und geheimen Wahl teilnehmen kann, gibt es aus historischen Gründen keine Pflicht.
Rückblick auf die zwei vergangenen Landtagswahlen. 2013 lag die Wahlbeteiligung bei 63,6 Prozent, 36,4 Prozent Nicht-Wähler. 2018 setzten 72,3 Prozent der Stimmberechtigten ihr Kreuz, 27,7 Prozent entschieden sich dagegen. Zwar stieg die Wahlbeteiligung bei der letzten Landtagswahl um 8,7 Prozent, doch konkret heißt das: Etwa jeder Vierte geht nicht wählen. Wahl-Experte Siegmund schätzt den Anteil der Nichtwähler für die Landtagswahl am Sonntag ebenfalls "zwischen 25 und 30 Prozent".
Die Auswirkungen einer nicht abgegebenen Stimme sind nicht zu verkennen. Laut Siegmund werde die Gelegenheit verschenkt, die Politik mitzugestalten. Des Weiteren bekunden Wähler mit ihrer Stimmabgabe ihr politisches Interesse und stärken Parteien, während "die Anliegen und Erwartungen der Nichtwähler nicht in gleichem Maße in die politischen Entscheidungsprozesse miteinfließen".
"Gehen Sie zur Wahl und wählen Sie Parteien, die diese Demokratie und ihre Werte stärken"
Die Gründe fürs Nichtwählen sind vielfältig. "Es gibt die politisch Unzufriedenen, die keiner Partei vertrauen und sich von der Politik insgesamt abwenden. Daneben gibt es auch politisch desinteressierte Menschen, denen es schlicht egal ist, wer unser Land regiert. Wieder andere sind am Wahltag verhindert und kümmern sich nicht rechtzeitig um die Briefwahlunterlagen", zählt Siegmund auf.
Trotz der beträchtlichen Zahl an Nichtwählern betont Siegmund, dass die Betroffenen "kein Spiegelbild unserer Gesellschaft" seien. "Es sind zum Beispiel sozial benachteiligte Gruppen, die ihr Stimmrecht häufig nicht ausüben. Damit besteht die Gefahr, dass die Interessen dieser Menschen von der Politik weniger wahrgenommen werden und sich bestehende Benachteiligungen verschärfen."
Söder, Aiwanger, Schulze und Co.: Spitzenkandidaten im AZ-Interview
Vor der Wahl hat die AZ die Spitzenkandidaten der großen Parteien zum Interview getroffen:
- Markus Söder (CSU): "Die Grünen haben uns eine Liste mit völlig absurden Bedingungen diktiert"
- Hubert Aiwanger (Freie Wähler) über Flugblatt-Affäre: "Interessant, welche Rolle die SPD gespielt hat"
- Florian von Brunn (SPD) fordert: "Hubert Aiwanger muss entlassen werden"
- Schulze und Hartmann (Grüne) attackieren Bayerns Regierung: "Was Söder behauptet, ist unanständig"
- Martin Hagen (FDP): "Wir brauchen mehr Kompetenz und weniger Populismus"
- Adelheid Rupp (Die Linke) zur IAA in München: "Protz, Protz, Protz!"
AZ-Serie vor der Wahl: Unterwegs in den neun Münchner Stimmkreisen
Insgesamt neun Stimmkreise zur Landtagswahl gibt es in München. Im Vorfeld der Wahl hat die AZ jeden einzelnen von ihnen genauer beleuchtet. Hier finden Sie einen Überblick:
- Stimmkreis 101 München-Hadern: Siekmann fordert Justizminister Eisenreich erneut heraus
- Stimmkreis 102 München-Bogenhausen: Hier heißt es Alt gegen Jung
- Stimmkreis 103 München-Giesing: Hart umkämpft – fällt Giesing zurück an die CSU?
- Stimmkreis 104 München-Milbertshofen: In diesem Stadtteil tritt bei der Landtagswahl eine Besonderheit auf
- Stimmkreis 105 München-Moosach: "Was macht ihr eigentlich?" – Kippt die Stimmung in Moosach?
- Stimmkreis 106 München-Pasing: Ex-Bürgermeister muss sein Amt gegen Grünen-Kandidaten verteidigen
- Stimmkreis 107 München-Ramersdorf: Blume gegen Kurz – Kulturkampf im Südosten
- Stimmkreis 108 München-Schwabing: Nach Wahlschlappe 2018 – Erobert Spaenle Schwabing zurück?
- Stimmkreis 109 München-Mitte: Unterwegs im Bahnhofsviertel – "Seit Jahren wird alles schlimmer"
Allerdings ist eine hohe Wahlbeteiligung beziehungsweise eine niedrige kein Merkmal für eine qualitativ gute oder schlechte Demokratie. Das sei laut Hildmann wissenschaftlich nicht belegbar. Dennoch ist er davon überzeugt, dass "die Bewältigung der aktuellen Herausforderungen und Krisen nur mit der Demokratie und nicht gegen sie gelingt. Deshalb: Gehen Sie zur Wahl und wählen Sie Parteien, die diese Demokratie und ihre Werte stärken, und nicht diejenigen, die diese Demokratie abschaffen wollen und ihre Werte mit Füßen treten."
Die nächste Möglichkeit, einen neuen Landtag zu wählen und damit die Geschicke Bayerns zu lenken, gibt es erst 2028.
Wichtige letzte Fragen zur Wahl in München
Sie haben Ihre Briefwahl-Unterlagen noch nicht abgeschickt? Macht nichts. In München gibt es vier sogenannte Behördenbriefkästen, die am Wahl-Wochenende regelmäßig geleert werden - zum letzten Mal am Sonntag um 18 Uhr. Stimmen, die rechtzeitig eingeworfen werden, kommen noch in die Auszählung. Die Briefkästen hängen hier:
- Marienplatz 8, Neues Rathaus, Höhe Fischbrunnen
- Kreisverwaltungsreferat (KVR), Ruppertstraße 19, neben der Treppe zum Haupteingang A
- KVR, Ruppertstraße 11, Eingang Standesamt
WICHTIG! In den Wahlräumen können Briefwahl-Unterlagen nicht abgegeben werden.
Sie sind plötzlich erkrankt und können nicht selbst ins Wahllokal gehen? In diesem Fall kann eine andere Person für Sie die Briefwahlunterlagen noch kurzfristig abholen. Das ist am Samstag von 7.30 bis 12 Uhr und am Sonntag von 8 bis 15 Uhr im KVR, Ruppertstraße 11, möglich. Wichtig: Die Person muss einen Antrag auf Briefwahlunterlagen sowie eine Vollmacht zum Abholen der Briefwahlwahlunterlagen von Ihnen dabei haben - jeweils mit persönlicher Unterschrift. Außerdem muss die bevollmächtigte Person Ihre Erkrankung nachweisen (ärztliches Attest) und sich ausweisen können.
Sie haben Ihre Wahlbenachrichtigung verloren? Keine Sorge: Sie können trotzdem Ihre Kreuzerl machen. Es reicht, wenn Sie einen gültigen Personalausweis oder Pass in den Wahlraum mitbringen, dort stehen Sie im Wählerverzeichnis.