Grünes Spitzenduo Schulze und Hartmann attackiert Bayerns Regierung: "Was Söder behauptet, ist unanständig"
München - Katharina Schulze (38) und Ludwig Hartmann (45) sind seit 2013 Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Bayerischen Landtag und führen ihre Partei nun als Spitzenkandidaten in die Landtagswahl.
Im gemeinsamen AZ-Interview verraten Schulze und Hartmann, was sich in Bayern ändern muss, wie der Freistaat seine Klimaziele erreichen soll und warum Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger dem Land einen Bärendienst erwiesen hat.
AZ: Frau Schulze, Herr Hartmann, Hand aufs Herz: Mit welchem Verkehrsmittel sind Sie heute zum Interview nach Straubing gekommen?
LUDWIG HARTMANN: Mit einem E-Auto von einem Hersteller aus Baden-Württemberg. In Bayern werden leider keine E-Kleinbusse hergestellt. Ich stelle auf Wahlkampftour wieder einmal fest: Bayern ist bombig mit Straßen erschlossen. Noch mehr Geld in neue Straßen zu stecken, verschwendet Steuergeld. Stattdessen brauchen wir mehr Busse und Bahnen, gerade auf dem Land.
Katharina Schulze will in Bayern keine Straßen bauen, sondern sanieren
Was muss sich aus Ihrer Sicht im öffentlichen Nahverkehr in Bayern ändern?
LH: Wir haben in Niederbayern fünf Landkreise mit dem schlechtesten Bus- und Bahn-Angebot in ganz Deutschland. Es fehlt an vielen Stellen und benachteiligt die Menschen auf dem Land. Wieso beginnen wir nicht morgen damit, Bahnstrecken zu reaktivieren? Mich erstaunt, dass sich die Söder-Aiwanger-Regierung leichter tut, eine überdimensionierte Straße in die Landschaft zu betonieren, als einen Zug da fahren zu lassen, wo es schon Schienen gibt. Wir stehen für eine grüne Mobilitätsgarantie: in jeder Ortschaft von fünf Uhr in der Früh bis zwölf Uhr mitternachts im Stundentakt. Klar ist aber auch: Das Auto wird immer die erste Form der Mobilität auf dem Land sein.
Und wie wollen Sie das finanzieren?
KATHARINA SCHULZE: Wir wollen keine zusätzlichen Steuergelder mehr für den Straßenneubau ausgeben. Sondern das Geld umschichten, etwa um Straßen und Brücken zu sanieren – da gibt es Handlungsbedarf. Den Rest wollen wir in den ÖPNV stecken. Mobilität muss vom Menschen her gedacht werden. Es wäre doch schön, wenn eine Familie im ländlichen Raum das Zweitauto abschaffen könnte und ein Angebot da ist für alle, die nicht mehr fahren wollen oder noch nicht fahren dürfen. Dann könnten auch die Bayern auf dem Land endlich vom Deutschlandticket profitieren.
Auch in Zukunft wird man im ländlichen Raum nicht ganz ohne Auto auskommen. Aber vom Verbrennungsmotor wollen Sie weg. Unterstützen Sie also die Ansiedlung eines Batteriemontagewerks von BMW im Landkreis Straubing-Bogen?
KS: Ja, ich finde gut, dass das kommt. Bayern muss ein starker Wirtschaftsstandort bleiben. Batterien sind ein Stück Zukunft. China legt hier stark vor. Wichtig ist uns Grünen, dass nachhaltig und flächensparend gebaut wird. Wir wollen den Flächenfraß stoppen, aber dennoch die wirtschaftliche Entwicklung in Bayern weiter vorantreiben. Deshalb wollen wir Flächensparen auch gesetzlich verankern.
LH: Wir haben im Gäuboden den wertvollsten Ackerboden in Bayern. Mit der Klimakrise wird Nahrungsmittelsicherheit immer wichtiger. Daher erwarten wir uns von einem innovativen Unternehmen wie BMW auch innovative Lösungen: also eine Unternehmenspolitik, die denkt, bevor der Bagger kommt.
Ludwig Hartmann wünscht sich, dass es auch künftig in Bayern Schnee gibt
Wenn Elektromobilität – und auch Wärmepumpen – die Zukunft sein sollen, wird der Stromverbrauch weiterhin steigen. Ausgerechnet jetzt, wo das Gas aus Russland ausbleibt, haben Sie als Teil der Ampel-Koalition auch noch die Atomkraftwerke ausgeschaltet. Stattdessen wird wieder Kohle verstromt. Wie geht das mit Ihren Klimaschutzzielen zusammen?
KS: Die Zukunft sind die Erneuerbaren Energien. Sie sind günstiger und sauber, wir müssen den Ausbau beschleunigen. Der grüne Bundeswirtschaftsminister Habeck hat uns gut durch den vergangenen Winter geführt und die Energiesicherheit gewährleistet. Wir saßen weder frierend unterm Weihnachtsbaum, noch musste Industrie abgeschaltet werden. Gleichzeitig hat er die Bremsen gelockert, damit der Ausbau schneller vorangeht. Jetzt muss Bayern nachziehen. Wir wollen die Windkraft versechsfachen bis 2030, auf jedes staatliche Gebäude gehört eine Solaranlage. Für die Energiewende brauchen wir keine alte Risikotechnologie wie Atomkraft.
LH: Niederbayern ist ein schönes Beispiel: Hier ist im April das letzte Atomkraftwerk vom Netz gegangen. Zugleich wurden in den vergangenen Tagen hier reihenweise Solaranlagen vom Netz genommen, weil so viel Sonne schien, dass das Stromnetz den Strom nicht aufnehmen konnte. Niederbayern ist Spitzenreiter bei der Sonnenenergie. Wenn Isar 2 weiterlaufen würde, wie von Markus Söder gefordert, dann wären auch reihenweise Bürgersolaranlagen abgeschaltet worden, weil der dreckige Atomstrom das Netz noch mehr verstopft hätte. Das bedeutet auch: keine regionale Wertschöpfung. Die wahren Baustellen sind also die Stromnetze – deren Ausbau die CSU über Jahrzehnte boykottiert hat. Noch etwas: Über die letzten Monate ist der Strompreis in Deutschland gesunken – trotz Atomausstieg. Es stimmt zwar, dass wir Strom aus dem Ausland beziehen. Aber größtenteils Windstrom aus Dänemark, weil der günstiger ist.
In Ihrem Wahlprogramm heißt es: "Unsere Heimat, ihre grünen Wiesen und schattigen Wälder bleiben uns erhalten. Dein Bayern bleibt wohlhabend, denn wir machen es zur Weltmarktführerin im Klimaschutz. Du kannst dich weiterhin auf Sommer am See und Schnee im Winter freuen." Das klingt ja fast so, als könne Bayern allein den Klimawandel bekämpfen. Ist das nicht ziemlich überzogen?
KS: Wenn wir keinen konsequenten Klimaschutz betreiben, wird sich Bayern massiv verändern. Die Klimakrise ist schon längst da, man braucht sich nur die vergangenen Wochen mit Starkregen und Hagel ansehen. Städte haben sich so extrem erhitzt, dass alte Menschen und Kinder nicht mehr schlafen konnten, bzw. teilweise ernsthafte gesundheitliche Probleme hatten. Bayern kann und muss da mehr machen! Der CO2-Ausstoß in Bayern ist wieder gestiegen. Unsere Verantwortung den Kindern gegenüber ist es, die Klimakrise einzudämmen.
LH: Ich würde unseren Kindern und Enkeln wünschen, dass es auch zukünftig noch Schnee in Bayern gibt. Wenn wir nichts tun, haben wir verdammt viel zu verlieren. Wir sollten mehr darüber reden, was wir gewinnen, wenn wir unsere Umwelt und die Menschen vor der Klimakrise schützen: Freiheit, Wohlstand, Heimat.
Schulze und Hartmann werfen Söder die Verbreitung falscher Informationen vor
Laut Bayerntrend beschäftigt das Thema Migration die Menschen noch mehr als Energie und Klima. Viele Kommunen sind bei der Unterbringung von ukrainischen Flüchtlingen und anderen Asylbewerbern mittlerweile überfordert. Was muss geschehen, um das Problem zu lösen?
LH: Wenn wir die Klimakrise nicht in den Griff kriegen, wird sich das Thema Migration massiv verschärfen. Deshalb sollten wir alle gut zusammenarbeiten, Kommunen, der Freistaat, der Bund, die Länder der Europäischen Union, um der Migration mit den richtigen Maßnahmen zu begegnen. Wir sollten das Thema nie isoliert betrachten.
KS: Der Freistaat muss die Kommunen besser unterstützen. Wir fordern daher einen Topf mit 500 Millionen Euro vom Freistaat. Wir müssen die Geflüchteten schneller in Arbeit bringen. Jede Handwerkerin, jeder Mittelständler sucht Mitarbeitende. Zumal Arbeit auch der beste Weg der Integration ist. Bayern war schon immer ein Einwanderungsland – verhalten wir uns wie eines. Das hat so viele positive Effekte.
Ihr neues Gebäudeenergiegesetz hat bei vielen Menschen Verunsicherung und Protest ausgelöst. Der erste Entwurf hatte sogar noch Holzheizungen pauschal als "nicht nachhaltig" eingestuft. Wie kann es sein, dass ein grün geführtes Bundesministerium einen so schlechten Entwurf vorlegt?
LH: Schauen wir doch mal, wo wir herkommen. Schon vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine war Konsens in der Regierung, dass wir beim Heizen von dreckigem Öl und Gas wegwollen. Warum? Weil wir hier immer noch viel zu viele Treibhausgase ausstoßen und das Heizen mit fossilen Energien immer teurer werden wird. Im August 2022 hat Russland dann die Gaslieferung komplett eingestellt und wir haben alles daran gesetzt, weniger Gas zu verbrauchen. Neue Öl- und Gasheizungen installieren, während wir auf einen Rohstoffmangel zulaufen, wurde damit noch unsinniger. Zum Thema Holz: Bayern ist ein waldreiches Land, wir werden auch in Zukunft viel mit Holz heizen. Gerade weil durch den Waldumbau viel Rest- und Schadholz anfällt. Deshalb habe ich mich bei Robert Habeck mit Erfolg dafür eingesetzt, das anzuerkennen.
KS: Die Kommunikation war nicht gut. Aber ich prangere auch an, dass gezielt falsche Informationen gestreut wurden. Das hat die Menschen natürlich total verunsichert. Markus Söder hat beispielsweise behauptet, dass die Heizungspläne der Ampel 300.000 Euro kosten. Bis heute hat er nicht erklärt, woher er diese Zahl hat. Das ist unanständig.
Klimaneutralität in Bayern: "Aiwanger hat der Sache einen Bärendienst erwiesen"
Gerade im ländlichen Raum sind die Grünen in weiten Kreisen der Bevölkerung in den vergangenen Jahren zu einem regelrechten Feindbild geworden. Wie erklären Sie sich das?
LH: Wir leben in herausfordernden Zeiten: Putins Angriffskrieg auf die Ukraine, Klimakrise, fossile Inflation. Dass die Menschen müde sind und sich einfache Lösungen wünschen, das ist nachvollziehbar. Aber einfache Lösungen haben noch nie komplexe Probleme gelöst. Selbst Markus Söder will Bayern bis 2040 klimaneutral machen. Es ist unverantwortlich von ihm, wenn er den Menschen heute noch fossilen Schrott wie Ölheizungen andrehen möchte. Die ganze Debatte war unehrlich. Auch Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger hat der Sache einen Bärendienst erwiesen. Anstatt auf Berlin zu schimpfen, könnten der Ministerpräsident und sein Vize bei uns in Bayern anfangen. Wir sitzen auf einem riesigen Wärmeschatz im Boden – und heben ihn nicht. Nur 0,3 Prozent unseres Wärmeverbrauchs in Bayern gewinnen wir aus Erdwärme. Hier gäbe es so viele Potenziale, etwa wenn der Freistaat die Probebohrungen flächendeckend finanzieren würde – die sind für viele Kommunen viel zu teuer. Aber Fehlanzeige – mit dem Geld, das dafür im Haushalt steht, lässt sich nicht mal eine Bohrung finanzieren.
Die CSU führt Wahlkampf gegen Sie, stilisiert Sie zur Verbotspartei. Zugleich bieten Sie der CSU auch viel Angriffsfläche: Da gibt es dann im Festzelt keine Hendl, weil sie nicht aus regionaler Produktion beschafft werden. Ist das taktisch klug?
LH: Sie spielen auf ein grünes Festzelt in Oberbayern an. Leider hat niemand die ganze Geschichte erklärt: Wir haben im Zelt nur Produkte von Landwirtinnen und Metzgern aus der Gegend angeboten. Mit voller Absicht, um das Geld in der Region zu halten und die Bauern vor Ort zu unterstützen. Kennen Sie große Hendlmastställe in Oberbayern? Ich auch nicht. Deshalb haben wir bewusst drauf verzichtet. Wenn ich das Landwirten erkläre, bekomme ich sehr viel Zustimmung für diese Entscheidung. Besser kommunizieren hätten wir das aber durchaus können, da gebe ich Ihnen recht.
Schulze zur Flugblatt-Affäre von Hubert Aiwanger: "Fand die letzten Wochen schlimm fürs Land"
Den Freien Wählern hat die Flugblatt-Affäre nicht geschadet. Sie haben sogar laut Bayerntrend kräftig zugelegt. Wie erklären Sie sich das?
KS: Ich fand die letzten Wochen schlimm für unser Land. Eigentlich dachte ich, wir Politiker haben einen gemeinsamen Konsens im Umgang mit Antisemitismus. Das Ansehen Bayerns hat in der Welt gelitten – durch den Umgang Hubert Aiwangers.
Den Wähler stört das offenbar nicht so.
KS: Warten wir ab, wie die Wahl tatsächlich ausfällt. Ich mache mir Sorgen, dass der Populismus weiter fortschreitet. Ich mache mir Sorgen vor einem weiteren Rechtsrutsch.
LH: Man kann nicht leugnen, dass Hubert Aiwanger aktuell noch davon profitiert. Meinen inneren Wertekompass ändert das nicht. Ich bin davon überzeugt, dass sich zahlreiche Menschen in unserem Land eine ehrliche und aufrichtige Politik wünschen. Dass der Rechtspopulismus in Bayern so groß werden konnte, ist auch Markus Söder anzurechnen. Wenn ein Ministerpräsident immer nur verspricht, aber nichts davon einhält - das macht die Menschen unzufrieden und treibt sie zu den Populisten. Wir stehen für eine andere Politik. Eine Politik, die auf Fakten basiert ist, Herausforderungen annimmt und Lösungen anbietet.