Interview

Bayerns FDP-Chef Martin Hagen: "Wir brauchen mehr Kompetenz und weniger Populismus"

Die bayerischen Liberalen müssen um den Wiedereinzug in den Landtag bangen. Ihr Chef Martin Hagen bleibt zuversichtlich und hofft auf "solide fünf Prozent plus X" für die FDP.
Natalie Ketttinger, Markus Peherstorfer |
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"Wir sollten die Stromkosten für alle senken", sagt FDP-Spitzenkandidat Martin Hagen im Gespräch mit der AZ.
"Wir sollten die Stromkosten für alle senken", sagt FDP-Spitzenkandidat Martin Hagen im Gespräch mit der AZ. © Sigi Müller

München - Die Landtagswahl in Bayern (8. Oktober 2023) rückt unaufhaltsam näher. Für die FDP dürfte der Wahlabend eine Zitterpartie werden: Umfragen sehen die Liberalen derzeit knapp unter der wichtigen Fünf-Prozent-Hürde.

Landes-Chef Martin Hagen ist dennoch optimistisch, dass der FDP der Wiedereinzug in bayerischen Landtag gelingt. Warum das so ist und warum eine liberale Stimme in der Regierung dem Freistaat guttun würde, erklärt der 42-Jährige im AZ-Interview.

AZ: Herr Hagen, verabschiedet sich die FDP Bayern jetzt von der Zukunft, weil Sie überall "Servus Zukunft" plakatieren?
Martin Hagen: Wir haben doch zur Begrüßung gerade auch "Servus" gesagt! Ich glaube, im Kontext wird schon klar, dass es dabei nicht um eine Verabschiedung geht. Dieses Motto steht ja nie allein, sondern immer im Zusammenhang mit unseren inhaltlichen Ideen, wie wir Bayerns Zukunft gestalten wollen.

Martin Hagen (FDP) schießt gegen Aiwanger und Piazolo: "Performen schlecht"

Sie würden die Freien Wähler nach der Landtagswahl gerne als Regierungspartner der CSU ablösen. Hubert Aiwanger und Co. schneiden in den Umfragen aktuell jedoch viel besser ab als Ihre FDP. Wie erklären Sie sich das?
Regierungsmitglieder sollte man daran messen, was sie für das Land tun – und Hubert Aiwanger performt als Wirtschaftsminister meiner Meinung nach ähnlich schlecht wie sein Kollege Michael Piazolo im Kultusministerium: Er kümmert sich nicht um den Fachkräftemangel, nicht um den Bürokratieabbau, nicht um bezahlbare Energieversorgung oder Digitalisierung. Stattdessen spricht er übers Gendern, übers Fleischessen und über Winnetou. Über Nebenthemen also, die den Wirtschaftsstandort Bayern nicht voranbringen.

Martin Hagen im Gespräch mit den Redakteuren Natalie Kettinger und Markus Peherstorfer.
Martin Hagen im Gespräch mit den Redakteuren Natalie Kettinger und Markus Peherstorfer. © Sigi Müller

Trotzdem erfährt er Zustimmung.
Hubert Aiwanger greift ein Gefühl in der Bevölkerung auf, dass angeblich "die da oben" an "denen da unten" vorbeiregieren. Kurios, weil er ja als stellvertretender Ministerpräsident selbst zu "denen da oben" gehört. Er macht damit natürlich Schlagzeilen – aber ein guter Wirtschaftsminister sollte mehr zustande bringen.

Auf Bundesebene machen die Liberalen oft Ähnliches wie Aiwanger in Bayern: Opposition innerhalb der Regierung. Warum verfängt das nicht?
Die FDP ist in der Regierung nicht die Opposition, sondern das Korrektiv: Wir sorgen dafür, dass die Regierungspolitik in der Mitte bleibt, indem wir zum Beispiel auf solide Finanzen achten, Steuererhöhungen verhindern, oder – wie zuletzt beim Gebäudeenergiegesetz – sicherstellen, dass Gesetze praxistauglich sind.

Zank-Profiteur AfD: "Würde mir wünschen, dass in der Regierung weniger gestritten wird"

Es scheint allerdings, als würde das damit einhergehende Dauergerangel innerhalb der Ampel nur einer Partei nutzen: der AfD.
Ich würde mir wünschen, dass in der Regierung weniger gestritten wird. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die Grünen damit aufhören, wöchentlich den Koalitionsvertrag infrage zu stellen, der ja beispielsweise Steuererhöhungen oder eine Abkehr von der Schuldenbremse explizit ausschließt. Wenn wir uns darauf einigen könnten, dass die Sachen, die wir vor eineinhalb Jahren vereinbart haben, für die Legislaturperiode gelten, wäre viel Streit vom Tisch. Dann könnte man sich darauf konzentrieren, was die Regierung an Gutem voranbringt: endlich ein modernes Einwanderungsrecht, Planungsbeschleunigung für mehr Tempo beim Infrastrukturausbau, Bau von LNG-Terminals, die Ertüchtigung der Bundeswehr – und insgesamt ein Aufbrechen des Reformstaus der Ära Merkel, der dringend notwendig ist.

Die FDP könnte allerdings auch damit aufhören, unausgegorene Gesetzentwürfe der Koalitionspartner durchzustechen.
Ich kenne keinen Fall, wo das passiert ist.

Beim Gebäudeenergiegesetz?
Ich habe in Berlin gehört, der Entwurf sei direkt aus dem Bundeswirtschaftsministerium an die Presse gegangen.

FDP will Landtag verkleinern, aber: "Wir haben keinen Zeitdruck"

Stichwort Wahlrecht: Man hat schon lange nichts mehr von Ihrem Volksbegehren zur Verkleinerung des Landtags gehört. Tun Sie sich so schwer damit, die nötigen 25.000 Unterschriften zu sammeln?
Nein. Wir werden sie noch vor der Wahl abgeben.

Das heißt aber, dass das Begehren nicht zum Wahltermin stattfinden kann.
Wir haben keinen Zeitdruck, weil die Verkleinerung sowieso erst zur nächsten Landtagswahl 2028 wirksam würde.

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Keine Fraktion im Landtag hat eine so geringe Frauenquote wie die FDP. Jetzt treten Sie wieder in allen Regierungsbezirken mit männlichen Spitzenkandidaten an. Wie wollen Sie so mehr Frauen in den Landtag bekommen?
Wir treten in allen Regierungsbezirken mit Spitzenduos an, die paritätisch besetzt sind...

... und wo immer die Frau an zweiter Stelle steht.
Beim Landtagswahlrecht entscheiden ja am Ende ohnehin die Wählerinnen und Wähler über die Reihenfolge. 2018 hatten wir zum Beispiel in Oberbayern sehr gut platzierte Frauen auf der Liste, die dann aber von bekannten Männern wie Wolfgang Heubisch oder Helmut Markwort überholt wurden. Man kann das also nur bedingt steuern – aber was wir tun können, wollen wir tun. Wir haben neben unserer amtierenden Abgeordneten Julika Sandt viele weitere tolle Kandidatinnen. Meine Prognose ist: Unsere nächste Fraktion wird deutlich weiblicher sein als die aktuelle.

Die Ampel-Bilanz der FDP: "Diese Bundesregierung macht eine bessere Politik als die GroKo"

Wenn Sie denn reinkommen. Die Umfragen sehen Sie aktuell bei vier Prozent. Wie zuversichtlich sind Sie, dass sich das noch ändert?
Wir stehen je nach Umfrageinstitut zwischen vier und fünf. Ich bin zuversichtlich, dass wir in den verbleibenden zwei Monaten daraus solide fünf Prozent plus X machen können, gerne sechs oder mehr. Der Wahlkampf hat ja noch gar nicht richtig begonnen. Die Wahlentscheidung wird bei den meisten Bürgern erst nach der Sommerpause fallen.

Wie viel Schuld an diesen mauen Werten hat die Ampel?
Die Ampel ist eine Herausforderung für die FDP. Sie war ja auch nicht unsere Wunschkoalition.

Verfluchen Sie sie manchmal?
In einer Demokratie muss man mit den Wahlergebnissen, über die die Bürger entscheiden, umgehen. Dass es zu diesem Ergebnis gekommen ist, war ja nicht zuletzt Markus Söders Werk: Er hat erfolgreich verhindert, dass der damalige CDU-Chef Armin Laschet Kanzler wird. Wir müssen das Beste daraus machen. Die FDP hat den Koalitionsvertrag sehr gut verhandelt. Bei allem, was besser laufen könnte, muss man doch feststellen: Diese Bundesregierung macht eine bessere, ja sogar eine liberalere und bürgerlichere Politik als zuletzt die Große Koalition unter Angela Merkel.

"Weltbeste Bildung" in Bayern? Doch im Freistaat fehlen 4000 Lehrkräfte

Als landespolitische Schlagworte haben Sie "weltbeste Bildung", "starke Wirtschaft" und "schlanker Staat" gesetzt. Die Schuldenbremse, die Ihr Bundesparteichef Christian Lindner massiv verteidigt, bremst den Industriestrompreis aus, den SPD und Grüne fordern. Angeblich wandern schon erste Industriebetriebe aus Bayern ab. Wie passt das mit einer "starken Wirtschaft" zusammen?
Die Schuldenbremse ist wichtig für künftige Generationen, die die Schulden abbezahlen müssen. Außerdem würde eine dauerhaft hohe Staatsverschuldung die Inflation weiter anheizen. Der Industriestrompreis ist aus unserer Sicht ein falscher Weg, die Strompreise zu dämpfen, weil davon nur einige wenige große Industrieunternehmen profitieren. Alle anderen – der Mittelstand, das Handwerk, die Bürgerinnen und Bürger – dürfen diese Subventionen aber finanzieren. Unserer Meinung nach wäre es besser, die Stromkosten für alle zu senken.

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Wie?
Mein Vorschlag dafür ist eine Absenkung der Stromsteuer auf das europäisch zulässige Minimum. Und wir müssen das Angebot an Strom erhöhen. Es war natürlich ein Fehler, jetzt die Kernkraftwerke abzuschalten. Es war aber auch ein schwerer Fehler der bayerischen Staatsregierung, zehn Jahre lang den Ausbau von Erneuerbaren Energien und von Stromtrassen aus dem Norden zu blockieren. Hubert Aiwanger hat persönlich gegen die von ihm so genannten "Monstertrassen" mobil gemacht. Genau diese Stromtrassen wären aber die Lebensadern, die unsere Industrie in Bayern jetzt dringend bräuchte.

Stichwort "weltbeste Bildung": In Bayern fehlen Tausende Lehrer. Wo sollen die herkommen?
4000, sagt der Bayerische Lehrerinnen- und Lehrerverband. Kultusminister Michael Piazolo von den Freien Wählern leugnet das Problem. Alle Eltern, die Kinder in der Schule haben, wissen, dass viel zu oft der Unterricht ausfällt. Das müssen wir lösen, indem wir den Lehrerberuf attraktiver machen und auch die Lehrerausbildung flexibler gestalten.

"Finanzielle Mittel sind wichtig, führen aber noch nicht zu einer gelungenen Digitalisierung"

Wie genau?
Momentan muss man sich unmittelbar nach dem Abitur entscheiden, ob man Lehrer werden will, indem man ein Lehramtsstudium anfängt. Dann hat man die Perspektive, bis zur Pensionierung in diesem Beruf zu arbeiten. Ich glaube, es wäre klug, wenn wir das auf Bachelor und Master umstellen und damit zum Beispiel ermöglichen, dass jemand nach dem Abitur zunächst Mathematik studiert, um dann nach dem Bachelor festzustellen, dass es ihm Spaß macht, diese Kenntnisse an junge Menschen zu vermitteln, und dann einen Lehramts-Master draufsattelt. Ich glaube auch, dass nicht alle Lehrer verbeamtet sein müssen, dass wir den Schulen mehr Flexibilität geben sollten, welche Lehrer sie einstellen, und dass wir den Wechsel zwischen Lehramt und freier Wirtschaft stärken sollten.

Was halten Sie davon, anderen Bundesländern die Lehrer abzuwerben?
Das löst das Problem auf Kosten anderer Bundesländer und verschärft den Lehrermangel andernorts. Das ist eigentlich ein Eingeständnis des Scheiterns, weil man in Bayern eine langfristige Lehrerbedarfsplanung versäumt hat.

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Thema "schlanker Staat": Sie wollen die Verwaltung digitalisieren. Trotzdem sind im Bundeshaushalt 2024 plötzlich nicht mehr 377 Millionen Euro dafür gesetzt, sondern nur noch 3,3 Millionen. Wie passt das zusammen?
Das hat nicht die Koalition vereinbart, sondern das ist momentan die Haushaltsplanung der Innenministerin. Es ist allerdings nicht der einzige Topf, aus dem die Digitalisierung des Staates finanziert wird. Beim Bundesfinanzministerium zum Beispiel werden die Mittel für die Digitalisierung massiv aufgestockt, mit 600 Millionen Euro zusätzlich. Unterm Strich muss man sagen: Finanzielle Mittel sind wichtig, führen aber alleine noch nicht zu einer gelungenen Digitalisierung. Wir brauchen ganz dringend auch ein neues Mindset, dass Prozesse von Beginn an digital aufgesetzt werden. Das ist zum Beispiel Bundesverkehrsminister Volker Wissing mit dem 49-Euro-Ticket gelungen. Das war nicht nur eine bahnbrechende Reform der Tarife im öffentlichen Nahverkehr, sondern es war vor allem das erste Mal, dass man von vornherein digital gedacht hat.

Die Ziele der FDP bei der Landtagswahl: "Gut für unser Land, wenn eine liberale Partei Teil der Regierung ist"

... was einige ältere Bahnkunden aber sehr irritiert hat.
Jede Neuerung führt am Anfang bei einigen zu Widerständen. Wir stellen aber fest, dass nach wenigen Monaten diese Irritation nicht mehr besteht. Das digitale 49-Euro-Ticket ist ein voller Erfolg.

Was machen Sie persönlich, wenn es am 8. Oktober nicht klappt?
Ich rechne fest damit, dass es am 8. Oktober klappt. Ich glaube, dass es gut für unser Land wäre, wenn eine liberale Partei nicht nur im Landtag eine starke Stimme hat, sondern möglichst auch Teil der Regierung ist. Gerade in der Wirtschafts- und Bildungspolitik sehen wir große Defizite. Wir brauchen in der Staatsregierung mehr Kompetenz und weniger Populismus. Was mich angeht: Weder mein persönliches Glück noch das meiner Kollegen hängt von Landtagsmandaten ab. Wir haben alle etwas Ordentliches gelernt, wir hatten alle vor 2018 bürgerliche Berufe. Es geht nicht um uns persönlich, sondern darum, dass wir etwas Gutes fürs Land bewirken wollen.

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39 Kommentare
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  • Politikverdrossen am 16.08.2023 17:33 Uhr / Bewertung:

    Wäre aber richtig gewesen! Honeckers Rache hat den Grundstein zum Untergang Deutschlands gelegt und die Ampel macht diesbezüglich gerade ihr Meisterstück.

  • Engler am 16.08.2023 15:25 Uhr / Bewertung:

    Das der FDP Chef Lindner mit dem Geld der deutschen Steuerzahler in die Ukraine fährt, um diesen kostenlose Waffen zu versprechen, ist skandalös. Derweil müssen deutsche Rentner Flaschen sammeln und bangen um ihre Wohnungen.

  • Klarstein am 16.08.2023 11:20 Uhr / Bewertung:

    Die FDP ist eine Partei, die für Alles und Nichts steht. Deshalb unwählbar!

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