CSU-Chef Markus Söder spricht Klartext: "Die Grünen haben uns eine Liste mit völlig absurden Bedingungen diktiert"
München - Gut zwei Wochen sind es noch bis zur Landtagswahl in Bayern. Ministerpräsident Markus Söder steht unter Druck: Einerseits gilt es das historisch schwache Abschneiden seiner CSU bei der letzten Wahl auszubessern, zum anderen bescherte ihm sein Koalitionspartner zuletzt unerwünschte Schlagzeilen.
Die eigene Partei steht jedenfalls hinter ihm: Auf dem CSU-Parteitag am Samstag wurde Söder mit 96,56 Prozent der Stimmen in seinem Amt als CSU-Chef bestätigt. Bayerns Ministerpräsident erhielt bei der Abstimmung ohne Gegenkandidaten 646 der 669 gültigen Stimmen.
Wie er den Flugblatt-Skandal um Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger bewertet, warum eine Partnerschaft mit den Grünen nicht in Frage kommt und welche thematischen Schwerpunkte im Wahlkampf gesetzt werden, verrät Markus Söder im AZ-Interview.
AZ: Herr Söder, bislang hatte man den Eindruck, nach den Erfahrungen von 2018 scheue die CSU das Thema Migration im Wahlkampf. Warum spielen Sie nun doch diese Karte?
MARKUS SÖDER: Weil Deutschland am Rande der Überforderung ist. Das sagen sogar Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Alt-Bundespräsident Joachim Gauck. Die Überlastung der Kommunen ist erreicht. Nach Schätzungen unseres Innenministeriums sind dieses Jahr bis zu 380.000 Asylanträge möglich, fast 80 Prozent mehr als 2022. Es ist Zeit zu handeln. Deshalb brauchen wir eine grundlegende Wende in der Migrationspolitik und einen Deutschland-Pakt gegen unkontrollierte Zuwanderung.
Markus Söder zur Migrationspolitik: "Bringt nichts, die Probleme wie die Ampel zu ignorieren"
Haben Sie nicht Sorge, dass genau dasselbe geschieht wie vor fünf Jahren: Die AfD profitiert – und die CSU wird abgestraft?
Im Vergleich zu 2018 gibt es einen fundamentalen Unterschied: Heute sind CDU und CSU in dieser Frage geschlossen. Aber auch die Kommunen und die Mehrzahl der Bundesländer sind mit uns der Auffassung, dass die Kapazitätsgrenzen überschritten sind. Die Länder fordern die Ampel seit einem Jahr auf, bei der Migration endlich zu handeln, aber nichts ist passiert. Schwarz-Grün in Österreich halbiert die Asylanträge, Rot in Dänemark verändert die Migrationspolitik – nur die Ampel schweigt und die Bundesinnenministerin irrlichtert. Unser Ziel ist es, eine gemeinsame Basis zu finden: Ja zu qualifizierter Zuwanderung in den Arbeitsmarkt, Ja zu Humanität – aber Nein zu unkontrollierter und illegaler Zuwanderung.
2018 hat nicht nur der Streit der schwarzen Schwestern CSU-Wähler verschreckt, es waren auch Begriffe wie "Asyltourismus", die man von Ihnen heute nicht mehr hört. Ist das Kalkül?
Wir müssen die Probleme klar und deutlich benennen. Es bringt nichts, sie wie die Ampel zu ignorieren oder zu verschweigen. Damit stärkt man nur die extremen Ränder. Gleichzeitig müssen wir darauf achten, dass nicht Stildebatten davon ablenken, diese Probleme zu lösen. Das habe ich aus 2018 gelernt und daran halte ich mich: Die Dinge klar ansprechen, ohne jemanden dabei zu verletzen.
Der CSU-Chef will keine Sonderaufnahmeprogramme, sondern Sonderrückführungsprogramme
Sie fordern eine "Integrationsgrenze" von 200.000 Asylbewerbern pro Jahr. Was heißt das rechtlich? Was machen Sie, wenn der 200.001. kommt?
Integrationsgrenzen sind Richtgrößen. Damit können wir abschätzen, wie viel Integration unser Land leisten kann, zum Beispiel beim Bau von Schulen, Kitas und Wohnungen. In den vergangenen Jahren kamen nie mehr als etwa 200.000 Asylbewerber zu uns. Das hat sich noch halbwegs organisieren lassen. Wenn die Zahlen aber immer weiter steigen, kommt ein Land mit der Versorgung und Unterbringung der Menschen nicht mehr hinterher. Das gefährdet die demokratische Stabilität. Deshalb ist es wichtig, eine vernünftige Balance zu finden und die Integrationsgrenze mit einem Bündel an Maßnahmen zu versehen.
Mit welchen Maßnahmen?
Es braucht einen Stopp der Sonderaufnahmeprogramme, die es so nur in Deutschland gibt, und stattdessen einen Start von Sonderrückführungsprogrammen für Straftäter. Anstatt andere Länder über feministische Außenpolitik zu belehren, sollte die Bundesaußenministerin endlich internationale Abkommen über die Rücknahme von Kriminellen schließen. Der Bund muss die Liste der sicheren Herkunftsstaaten ausweiten und die finanziellen Anreize, nach Deutschland zu kommen, reduzieren. Außerdem braucht es für ganz Deutschland einen Grenzschutz, wie wir ihn in Bayern haben.
Markus Söder will für abgelehnte Asylbewerber von Geld- auf Sachleistungen umstellen
CDU-Chef Friedrich Merz will auch Kontrollen an der Grenze zu Tschechien einführen. Die entsprechenden Kontrollen während der Corona-Pandemie waren in der Region extrem unpopulär und haben vor allem Berufspendler und Unternehmen getroffen.
Für andere Länder mag das sinnvoll sein. In Bayern braucht es aber keine Grenzkontrollen zu Tschechien, denn die bayerische Grenze ist sicher. Das haben wir mit der Bayerischen Grenzpolizei erreicht, die wir vor fünf Jahren gegen den großen Aufschrei der Grünen gegründet haben. Unsere Grenzpolizei hat seitdem mehr als 90.000 Fahndungstreffer erzielt. Damit haben wir Bayern vor Straftaten beschützt, Schleusern das Handwerk gelegt und den Freistaat als Route unattraktiver gemacht. Im Rest Deutschlands fehlen jedoch vergleichbare Instrumente. Es bräuchte mindestens 10.000 neue Bundespolizisten, um die deutschen Grenzen zu sichern, bis die EU-Außengrenzen geschützt sind. Allerdings blockiert die Ampel auf europäischer Ebene diesen Prozess – allen voran die Grünen.
Sie haben angekündigt, die Bayerische Grenzpolizei solle bis 2028 auf 1500 Beamte aufgestockt werden. Allerdings sollten es schon heuer 1000 sein – und nicht nur gute 800 wie aktuell. Wo sollen all die Frauen und Männer herkommen?
Wir haben keine Sorge, dass das Personal weiter aufwachsen kann. Bayern bezahlt seine Beamten besser als andere Bundesländer. Und wir stehen politisch mit aller Kraft hinter unseren Polizistinnen und Polizisten, die unsere Gesellschaft sicherer machen.
Sie wollen Asylbewerber während des Verfahrens zu gemeinnütziger Arbeit heranziehen. Dabei herrscht auch in Bayern nicht nur Fach-, sondern ein genereller Arbeitskräftemangel. Wäre es nicht sinnvoller, die Menschen "richtig" arbeiten zu lassen?
Wir haben entschieden, dass Asylbewerber, die einen Arbeitsplatz bekommen oder einen Ausbildungsvertrag unterschreiben, bei uns bleiben können. Viele haben aber weder Ausbildungsvertrag noch Arbeitsplatz. Für sie gilt die Verpflichtung zu gemeinnütziger Arbeit, die bereits jetzt im Asylbewerberleistungsgesetz steht. Wir werden uns in Bayern noch stärker kümmern, dass das umgesetzt wird – und unsere Kommunen dabei unterstützen. Außerdem werden wir für abgelehnte Bewerber von Geld- auf Sachleistungen umstellen. Zum Beispiel mit einer Chipkarte, mit der man Dinge des täglichen Bedarfs wie Lebensmittel und Kleidung erwerben kann. Hinzu kommt ein verpflichtender Sprachtest vor der Einschulung. Denn Schule und Integration gelingt nur mit Sprache.
"Die Umfragen zeigen, dass das Thema Migration in der Bevölkerung eine große Rolle spielt"
Böse Zungen behaupten, dass Sie das Migrationsthema jetzt in den Raum werfen, um die AfD kleinzuhalten.
Wenn selbst der Bundespräsident und der Alt-Bundespräsident vor einer realen Überforderung des Landes und einer Gefahr für die Demokratie warnen, sind das einfach Tatsachen. Denken Sie an Anfang der 1990er-Jahre zurück: Damals hat das Thema Migration die Republikaner groß gemacht. Es gab dann einen breiten überparteilichen Kompromiss in der Asylpolitik, der die Ränder wieder zurückgedrängt und die Demokratie gestärkt hat. Es ist die Aufgabe der Politik, Lösungen zu finden. Nicht-Lösungen fördern nur die Radikalen. Es braucht eine vernünftige, pragmatische Politik. Für die setzen wir uns ein.
Wenn man den Umfragen glaubt, klappt das nicht so ganz.
Die Umfragen zeigen, dass das Thema Migration in der Bevölkerung eine große Rolle spielt. Und sie zeigen auch, dass die Menschen der CSU eine außerordentlich hohe Kompetenz zuschreiben. Auch meine persönlichen Werte sind positiv, auch im Vergleich zu 2018.
Sie haben bei der Landtagswahl 2018 als Spitzenkandidat mit 37,2 Prozent das historisch schlechteste Ergebnis seit 1950 erzielt. Im jüngsten BR-Bayerntrend lagen Sie mit 36 Prozent noch mal darunter. Wie viel muss es denn werden, damit Sie zufrieden sind?
Die Zeit ist heute eine andere. Edmund Stoiber und Horst Seehofer haben tolle Wahlergebnisse erreicht – ohne die AfD, die heute bei 13 oder 14 Prozent steht. Ich bin nicht bereit, mich wegen ein oder zwei Prozent der Stimmen irgendwo anzubiedern und meinen politischen Anstand zu riskieren. Die AfD will aus der Nato und aus der EU austreten. Sie schadet damit unserer Sicherheit, unserem Wohlstand und unserem Land. Ich möchte das Land zusammenhalten. Die Volkspartei CSU ist ein Bollwerk für die Stabilität der Demokratie. Und jede Stimme für die CSU stärkt den Freistaat Bayern in Berlin.
Markus Söder teilt aus: "Grün regierte Bundesländer liegen deutlich hinter Bayern"
Und wenn es weniger Prozente werden, ab wann wird es dann für Sie persönlich gefährlich?
Die aktuelle Umfrage sieht uns bei 38 Prozent, aber darauf kommt es nicht an: Die Menschen in Bayern wollen, dass wir das Land sicher durch die Krise führen und uns um ihre Sorgen kümmern. Und sie wollen mit großer Mehrheit eine stabile bürgerliche Regierung.
Stichwort Flugblatt-Affäre: Haben Sie sich rückblickend nicht zu früh auf die Freien Wähler als Koalitionspartner festgelegt?
Die Zusammenarbeit mit den Freien Wählern hat insgesamt gut funktioniert. Wir haben unser Land erfolgreich und unideologisch vorangebracht, deshalb wollen wir die Arbeit auch fortsetzen. Schwarz-Grün ist für uns definitiv keine Option.
Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger hält seinen "Kampagnen"-Vorwurf an die Medien aufrecht. Er behauptet, dass bewusst Stimmung gegen ihn gemacht werde und die Vorwürfe bewusst zu Beginn der Briefwahl platziert worden seien. Was sagen Sie dazu?
Für mich ist dieses Thema abgeschlossen. Es geht nicht um die Vergangenheit einer einzelnen Person, sondern um die Zukunft von 13 Millionen Bayerinnen und Bayern.
In sechs Bundesländern regieren Union und Grüne zusammen. Warum soll das in Bayern nicht möglich sein?
Weil wir das Beste für unser Land wollen. Grün regierte Bundesländer liegen in nahezu allen Rankings teils deutlich hinter Bayern. Auffällig ist auch: Mit den Grünen wird die Bildungspolitik schlechter. Baden-Württemberg war bis vor elf Jahren unser stärkster Wettbewerber in der Bildung und ist heute unter ferner liefen. Die Grünen in Bayern wollen jetzt sogar Noten abschaffen. Ich halte das für einen Fehler, denn bei aller Empathie braucht es auch Anreize. Grundsätzlich gilt: Die Grünen haben einfach kein Bayern-Gen. Sie haben das Modell "Freistaat Bayern" bis heute nicht verstanden. Sie glauben, alle erziehen und bevormunden zu müssen. Das nervt viele Menschen. Deshalb sollen die Grünen ihre Arbeit in Bayern gerne wie bisher fortsetzen: in der Opposition.
Die CSU gibt sich selbstbewusst: "Wir sind die Klammer des Landes"
Sie haben doch 2018 schon mal mit den Grünen sondiert.
Und wir wurden sehr enttäuscht. In einem Sondierungsgespräch redet man zunächst einmal über Gemeinsamkeiten. Die Grünen allerdings haben uns eine Liste von völlig absurden Bedingungen diktiert, obwohl sie nicht einmal halb so viele Stimmen hatten. Da gab es wohl den Wunsch, das Gespräch so schnell wie möglich zu beenden. Dem sind wir gerne nachgekommen.
Im ländlichen Raum sind die Freien Wähler und die AfD Ihre Konkurrenz. Was machen Sie den Wählern gerade in strukturschwachen Regionen für Angebote?
An Ihrer Frage sieht man, dass wir diejenigen sind, die das Land zusammenhalten. Denn die Grünen wiederum konzentrieren sich ja nur auf die Städte. Wir sind die Klammer des Landes. Niemand hat den ländlichen Raum mehr gefördert als wir, zum Beispiel durch unsere Heimatstrategie mit Behördenverlagerungen und Sonderprogrammen.
Diesen Sonntag entscheiden die Bürger von Straßkirchen im Landkreis Straubing-Bogen über die Ansiedlung des Batteriemontagewerks von BMW. Sie haben mehrmals gesagt, dass Sie dieses Projekt unterstützen. Was wollen Sie den Straßkirchnern mit auf den Weg geben?
Die Bürgerinnen und Bürger entscheiden das selbst. Ich denke aber, dass die Ansiedlung ein positives Signal wäre. Wir stehen vor einer Rezession in Deutschland. Wäre es da klug, auf Investitionen und Arbeitsplätze zu verzichten? Wir wollen zudem alle, dass wir bei Zukunftstechnologien wie Elektrofahrzeugen die Wertschöpfung in unserem Land behalten. Natürlich sehen wir auch die Bedenken. Aber das Unternehmen hat versprochen, alles zu tun, um Unannehmlichkeiten zu verhindern. Wir als Freistaat helfen mit, wo es nur geht. BMW hat einen großen Anteil am wirtschaftlichen Aufschwung der Region. BMW gehört nach Niederbayern und nicht nach Mecklenburg-Vorpommern oder Schleswig-Holstein. Es heißt schließlich "Bayerische Motorenwerke" und nicht "Norddeutsche Motorenwerke".
Haben Sie Ihre Corona-Impfung schon aufgefrischt?
Nein, aber bald. Das wäre dann die fünfte Impfung. Ich sorge gerne vor. Aber jeder muss das für sich selbst entscheiden. Zum Glück haben wir Corona insgesamt gut hinter uns gelassen.