Interview

Linken-Spitzenkandidatin Adelheid Rupp zur IAA in München: "Protz, Protz, Protz!"

Die Spitzenkandidatin der bayerischen Linken, Adelheid Rupp, über die IAA, die Flugblatt-Affäre von Hubert Aiwanger und die Chancen ihrer Partei auf einen KPÖ-gleichen Einzug in den Landtag.
Natalie Kettinger
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Führt die Linke in den Landtags-Wahlkampf: die Juristin Adelheid Rupp.
Führt die Linke in den Landtags-Wahlkampf: die Juristin Adelheid Rupp.

München - Adelheid Rupp, Rechtsanwältin (*1958) aus Tuntenhausen, saß von 2003 bis 2013 für die SPD im Bayerischen Landtag. 2020 wechselte sie zur Linken, wurde 2022 eine der beiden Landesvorsitzenden und ist nun Spitzenkandidatin für die Landtagswahl.

Die AZ hat mit ihr über hohe Mieten und den Fall Aiwanger gesprochen – und darüber, was die KPÖ in Österreich besser macht.

AZ: Frau Rupp, im Landtagswahlkampf ist viel von Rücken- beziehungsweise Gegenwind aus Berlin die Rede. Im Fall der Linken könnte man von einem Tornado sprechen. Verfluchen Sie die Berliner Kollegen manchmal?
ADELHEID RUPP: Es ist tatsächlich kein Rückenwind, aber als Tornado würde ich es auch nicht bezeichnen. Dafür funktioniert es bei uns in Bayern viel zu gut. Der Landesvorstand steht wie eine Eins. Da gibt es kein Zögern und kein Zaudern, da wird gemeinsam Wahlkampf gemacht. Mit etwa 0,1 Prozent an den Rändern ist es ein bisschen schwierig – aber das entspricht genau drei Personen und das kann man aushalten. Im Übrigen geht es jetzt um Landes- und nicht um Bundespolitik und auch nicht um die Personalfragen auf Bundesebene. Aber natürlich haben wir die Hoffnung, dass die sich zusammenraufen, weil diese Republik eine linke Partei braucht. Im Moment streitet sich doch alles um die Mitte und niemand stellt grundsätzliche Fragen.

Adelheid Rupp (Linke): "Viele arme Menschen wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen"

In Österreich hat die KPÖ Aufwind. In Graz stellt sie die Bürgermeisterin, im Bundesland Salzburg holte sie über elf Prozent. Was machen die Genossen im Nachbarland besser?
Was die KPÖ anders macht: Sie konzentriert sich völlig auf ein Thema, nämlich die Mieten-Frage. Das ist etwas, was in München und anderen bayerischen Ballungszentren ebenfalls eine herausragende Rolle spielt. Es kann so einfach nicht weitergehen! Grundsätzlich gilt: Wenn der Lohn die halbe Miete ist, dann stimmt etwas nicht. Aber oft frisst die Miete zwei Drittel des Einkommens. Insofern liegt die KPÖ hier sehr richtig. Was sie sonst besser macht, ist für mich schwer herauszufiltern, weil wir inhaltlich sehr parallel unsere Themen setzen. Was wir von ihr gelernt haben: Dass wir, wenn wir in den Landtag kommen, nicht nur Anträge und Anfragen stellen werden, sondern auch unmittelbar etwas für die Menschen tun.

Führt die Linke in den Landtags-Wahlkampf: die Juristin Adelheid Rupp.
Führt die Linke in den Landtags-Wahlkampf: die Juristin Adelheid Rupp.

Wie meinen Sie das?
Viele Menschen, die arm sind und es schwer haben, wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen. Dieser Staat bietet zwar viele Unterstützungen an, aber sie zu beantragen, ist häufig irre mühselig. Wir wollen ganz niederschwellige Hilfsangebote machen, auf Bezirksebene organisiert, über Bürgerbüros. Und wenn wir zehn Abgeordnete bekommen, sollen 600.000 Euro in direkte Hilfen und Nothilfen fließen.

Wo sollen diese 600.000 Euro denn herkommen?
Die spenden unsere Abgeordneten – jeweils 1.000 von ihren Diäten pro Monat. Das macht bei zehn Abgeordneten in einer Legislaturperiode 600.000 Euro. Das ist viel Geld, um eine Beratung auf die Füße zu stellen.

Adelheid Rupp, Spitzenkandidatin der Linkspartei in Bayern: "Ich traue Umfragen nicht"

Es klingt allerdings ein bisschen wie eine Verzweiflungstat, um doch bitte gewählt zu werden.
Nein! Das ist es sicherlich nicht. Wir haben über dieses Thema sehr intensiv mit der KPÖ diskutiert, die das in Graz und im Salzburger Land auch so macht. Für viele Menschen ist das, was der Staat anbietet, einfach zu weit weg, zu verkopft und zu kompliziert. Für viele alte Frauen zum Beispiel ist es nicht vorstellbar auf ein Amt zu gehen und einen Antrag zu stellen, weil sie zu stolz dazu sind. Ich glaube, es schafft Erleichterung, wenn man im eigenen Quartier auf die Menschen zugeht.

Die Linke liegt im Freistaat bei zwei bis drei Prozent. Warum glauben Sie, dass sich daran bis zum 8. Oktober etwas ändert und Sie tatsächlich in den Landtag einziehen?
Ich traue Umfragen nicht. Nochmal zur KPÖ: Sie lag sechs Monate vor der Wahl im Salzburger Land bei 0,4 Prozent. Bis zum Schluss schien sie völlig chancenlos – und dann war die Überraschung groß. Ich glaube, das liegt an der antiquierten Art, wie Umfragen gemacht werden: Die Leute werden zum Beispiel über das Festnetz angerufen. Ein großer Teil unserer Wählerklientel ist aber sehr jung, da erreicht man niemanden über das Festnetz.

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Sie fordern einen Masterplan zur Armutsbekämpfung in Bayern – braucht es den nach der Erhöhung des Bürgergeldes und der Einigung bei der Kindergrundsicherung überhaupt noch?
Ja, weil all diese Maßnahmen nicht ausreichen – schon gar nicht in München. Man kann aber nicht jedem Menschen, der in München arm ist, raten in die Oberpfalz, nach Niederbayern oder Oberfranken zu ziehen. Die Menschen müssen hier leben können. Ich erwarte mir von einem so reichen Land wie Bayern, dass man gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. Das bedeutet, dass ich auch ins Kino gehen kann, der Zoo-Besuch oder das Eis nicht am Geld scheitert. Das tut es aber, gerade in München. Da reichen Bürgergeld und Kindergrundsicherung längst nicht aus. Das langt maximal zum Überleben und vielleicht dafür, dass man nicht mehr an den Nahrungsmitteln sparen muss.

Kampf gegen die Klimakatastrophe: "Da muss der Staat deutlich stärker eingreifen"

Die Linke will die Klimakatastrophe "sozial gerecht" bekämpfen. Was soll das heißen?
Die Frage ist, wen man zur Kasse bittet und welche Wirtschaftspolitik man macht. Wir sind der Meinung, dass die Superreichen zur Kasse gebeten werden müssen. Bei diesem einen Prozent der Bevölkerung muss zugegriffen werden – da sprechen wir von einem Milliardenbetrag, mit dem man vieles sozial abfedern könnte. Die Klimakatastrophe darf nicht auf dem Rücken derjenigen ausgetragen werden, die sowieso schon wenig haben, indem die Nahrungspreise, Lebenshaltungs- und Energiekosten steigen – und dass dann noch die Erwartungshaltung hinzukommt, sich doch bitte ein E-Auto zu kaufen, das man sich gar nicht leisten kann.

Und was schlagen Sie in Sachen Wirtschaftspolitik vor?
Bislang ist es so, dass die Forderungen, wie man sich zu verhalten hat, unmittelbar an die Menschen gerichtet werden. Die Anforderungen an Unternehmen, was ihre CO2-Emissionen anbelangt, sind hingegen sehr zurückhaltend. Dabei könnte man die Automobilindustrie jederzeit dazu auffordern, andere Autos zu produzieren, und das rechtlich regeln. Es heißt immer, die hätten in der Schublade längst das Zwei-Liter-Auto. Warum sagt denn dann die Politik nicht: Baut das – SUVs kriegt ihr bei uns nicht mehr genehmigt? Da muss der Staat deutlich stärker regulierend eingreifen – und es muss deutlich mehr investiert werden, wenn es um die Transformation der Industrie und den Erhalt von Arbeitsplätzen geht.

Adelheid Rupp über Hubert Aiwanger: "Eine Katastrophe, das ist widerwärtig!"

Sie haben – wie auch die Landtags-Opposition – von Ministerpräsident Markus Söder verlangt, seinen Stellvertreter und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger aufgrund der Flugblatt-Affäre zu entlassen. Das wird er nicht tun.
Eine Katastrophe! Besonders schlimm ist, wie Herr Aiwanger jetzt damit umgeht. Er spricht von einer Hexenjagd, einer Schmutzkampagne der Presse – und das ist die Sprache eines Donald Trump. Das ist widerwärtig! Es ist der Job der Presse aufzuklären und das hat sie gemacht. Und es geht ja nicht nur um dieses wirklich ekelerregende Pamphlet. Es geht auch darum, was später noch alles an die Öffentlichkeit kam: dass er Hitler-Reden gehalten und "Mein Kampf" mit sich herumgetragen haben soll und so weiter. Wäre es "nur" dieses Flugblatt gewesen und hätte er sich sofort hingestellt und gesagt, dass es ihm wahnsinnig leid tut und sich anständig und glaubhaft entschuldigt, wäre die Situation eine andere. Dem ist aber nicht so. Er wird die ganze Sache jetzt im Wahlkampf als Hetzjagd gegen ihn ausschlachten. Deshalb finde ich, dass Charlotte Knobloch sehr recht damit hatte, seine Entschuldigung nicht anzunehmen.

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Beobachter glauben, dass Aiwanger viele Stimmen binden kann, die sonst an die AfD gehen würden. Das müssten Sie doch eigentlich begrüßen.
Es ist natürlich wunderbar, wenn die AfD weniger Stimmen kriegt. Wenn das aber nur geschieht, weil sich einer ihrer Sprache bedient und dabei unklar bleibt, wessen Geistes Kind er wirklich ist, sehe ich das mit Bauchschmerzen. Ich wünsche mir, dass die Menschen begreifen, dass die AfD für sie nichts tut. Das ist eine Partei des gehobenen Mittelstandes bis hin zu den richtig Reichen. Die wollen keine Leistungen für Menschen, die arm sind. Die wollen sich nicht darum kümmern, dass diese Gesellschaft gut funktioniert und dass Menschen daran teilhaben. Die wollen kein Schulsystem, im Rahmen dessen der Lebensweg eines Kindes nicht schon bei seiner Geburt festgelegt ist, weil Lehrerkinder studieren und die Kinder der Putzfrau sehr häufig nicht. Die AfD ist nichts für die Armen – und ich wünsche mir, dass die Menschen das begreifen.

"Mit der Form der Proteste der Klimakleber habe ich manchmal Schwierigkeiten"

Noch einmal zurück zu Markus Söder: Sie haben ihn, Innenminister Joachim Herrmann und den Münchner Generalstaatsanwalt Reinhard Röttle im Zusammenhang mit den Razzien bei der Letzten Generation wegen Verleumdung angezeigt. Gibt es da etwas Neues?
Nein – und ich weiß auch nicht warum. Ich habe nahezu gleichzeitig zwei Strafanzeigen gestellt: die besagte und eine gegen die AfD wegen dieses volksverhetzenden Plakats zur Transgender-Lesung in Bogenhausen. Da habe ich relativ schnell eine Antwort erhalten: dass es sich zwar nicht um Volksverhetzung handelt, das Plakat aber abzulehnen sei. In der anderen Sache habe ich nichts mehr gehört. Vielleicht dauern die Ermittlungen so lange, um rauszukriegen, was da wirklich los war. Man hört auch vom Generalstaatsanwalt nichts mehr, der einen massiven juristischen Fehler begangen hat, indem er vom Landeskriminalamt auf der Homepage der Letzten Generation hat verbreiten lassen, die Seite sei gesperrt, weil es sich bei der Gruppierung um eine kriminelle Vereinigung handle. Damit wurde der Entscheidung eines Gerichts vorgegriffen. Dabei gilt bei uns für jeden, gegen den ermittelt wird, erst einmal die Unschuldsvermutung, die ein Grundprinzip des Rechtsstaates und der Demokratie ist. Deshalb fand ich das einen sehr massiven Eingriff in unser rechtsstaatliches Gefüge.

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Aktuell protestieren die "Klimakleber" gegen die IAA. Haben Sie dafür Verständnis?
Ja – wobei ich mit der Form der Proteste manchmal Schwierigkeiten habe. Aber dass man gegen die IAA protestiert, finde ich sehr wichtig. Denn wäre die Automobil-Industrie verantwortungsbewusst, würde sie die IAA für etwas ganz anderes nutzen. Nicht für die tollsten, neuesten, schnellsten, höchsten SUVs – sondern dafür, wie man das Ganze nachhaltig umbauen kann. Dafür, dass Mobilität sichergestellt und umweltverträglich gestaltet werden kann. Doch anstatt dessen geht es um Protz, Protz, Protz.

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35 Kommentare
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  • Wuschel_MUC am 06.09.2023 15:25 Uhr / Bewertung:

    Ja, Frau Rupp: Aiwanger sollte am Ende seiner Karriere angekommen sein.
    Nein, Frau Rupp: mit einem KPÖ-Überraschungseffekt ist nicht zu rechnen, weil die Linke auch keine Mittel hat, Miethöhen in den Griff zu bekommen.

    Ein Landesvorstand, der "steht wie eine Eins" ist für den Durchschnittswähler nicht das Thema.

  • Innenstädter am 06.09.2023 13:56 Uhr / Bewertung:

    P.S.: Falls Sie mich nach der Quelle des Zitats gegeben haben, gerne. Finden Sie hier https://www.verfassungsschutz.bayern.de/linksextremismus/situation/parteien/index.html

  • Rudi B. am 06.09.2023 13:24 Uhr / Bewertung:

    Höflich Frage. Gibt es außer der Linken auch noch andere Interview-Partner bei der AZ?

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