"Autogerecht führt in eine Sackgasse": So soll München sich in Zukunft verändern
München – Nach der Kommunalwahl 2020 hatten Grüne und SPD ein gemeinsames Ziel: Sie wollten den öffentlichen Raum umverteilen. Weniger Parkplätze. Mehr Aufenthaltsqualität und Radwege. Gesetzt haben sie außerdem vor allem auf den Ausbau des Tram-Netzes. Dafür haben sie das Mobilitätsreferat gegründet und Georg Dunkel (parteilos) zum Chef dieser Behörde gemacht.
Vier Jahre später fällt die Bilanz allerdings ernüchternd aus. Radwege gibt es kaum neue, die Tram-Baustellen stehen still und um jeden Parkplatz, der weg soll, gibt es Krach. Im AZ-Interview erklärt Georg Dunkel, warum viele Ziele aus seiner Sicht von Anfang an zu ambitioniert waren, ob er sich mehr Rückhalt von OB Dieter Reiter (SPD) wünscht und welche Projekte bis zur nächsten Kommunalwahl doch noch fertig werden.
AZ: Herr Dunkel, haben Sie ein Auto?
GEORG DUNKEL: Unsere Familie hat ein Auto. Aber ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal damit gefahren bin. Es entwickelt sich zunehmend zum Sharing-Auto der Familie. Die meisten Wege in der Stadt mache ich zu Fuß, mit dem Fahrrad oder den Öffentlichen.
Ihr Auto verbraucht also Platz, aber niemand nutzt es?
Es steht in einer Tiefgarage und wird nicht viel genutzt. Wir planen, bald Carsharing-Kunden zu werden. Ohne einen Tiefgaragen-Platz hätten wir uns schon von dem Auto verabschiedet.
Braucht in München niemand ein eigenes Auto?
Es sollen in Zukunft möglichst wenige sein. Wir wissen, dass die Zahl der Autos in München schneller steigt als die Bevölkerungszahl. Wir wissen, dass nur zehn Prozent der Autos gleichzeitig im Einsatz sind. Mein Wunsch ist: Lasst uns für die Zwecke, für die man ein Auto braucht, eines zur Verfügung stellen, aber es muss nicht das eigene sein. Zu unserer Offensive gehört deshalb zum Beispiel, 200 Mobilitätspunkte zu schaffen, wo Leihfahrzeuge stehen.
Viele haben das Gefühl, Sie wollen es Autofahrern so unbequem wie möglich machen.
Wo sehen Sie das?
Zum Beispiel, wenn Parkplätze gestrichen werden.
Das ist Ihr Wording. Ich setze lieber die positive Botschaft: Wir verändern die öffentlichen Straßenräume. Das ist der Stadtratsauftrag. Wir haben eine Aufwertung des öffentlichen Raums als Ziel – mit mehr Grünflächen, mehr Schatten im Sommer, mehr Sitzgelegenheiten. Aber dieser Raum muss woanders eingespart werden. Ein Weiter so würde ins Chaos führen.
2020 hat der Stadtrat beschlossen, dass es in der Altstadt ab 2025 keine Parkplätze an der Oberfläche mehr gibt. Wie viele sind übrig?
Es ist nicht so, dass wir schon massenhaft Parkplätze entfernt hätten, und das ist absolut richtig. Wir haben gemerkt: Das Thema ist hochemotional – sowohl in der Gesellschaft als auch im Stadtrat. Deswegen analysieren wir in unserem Prozess "Altstadt für alle" in einem Dialog mit der Bevölkerung und anderen Beteiligten, was in der Altstadt funktioniert und was gesellschaftlich akzeptiert wird.

Funktioniert es ohne Parkplätze an der Oberfläche?
Ich glaube, ja. Die Menschen, die einen Parkplatz brauchen, finden ihn in den Parkhäusern – auch die Anwohnerschaft. Aber es wird eine schwierige Diskussion, was es für Anwohner kostet. Die Preise müssen sozial sein, aber die zu erwartende Debatte darf nicht der Grund sein, dass wir nicht damit anfangen.
"17 Prozent kommen mit dem Auto"
Wann ist dann jeder Parkplatz an der Oberfläche weg?
Lieferzonen muss es auch in Zukunft geben. Ich habe mich bei so hochemotionalen Debatten von konkreten Jahreszahlen verabschiedet. 2026 ist wieder eine Wahl in München. Dann braucht es eine Bestätigung, dass wir den Weg so weitergehen, den ich fachlich für absolut für richtig halte.
Eine Studie zeigt: Niemand gibt so viel in der Innenstadt aus wie Autofahrer. Sollte Grün-Rot die autofreie Altstadt da nicht überdenken?
17 Prozent kommen mit dem Auto. Autofahrer sind also nicht die Mehrheit. Außerdem kommen Fußgänger, Radfahrerinnen und ÖV-Nutzer nahezu täglich und geben da vielleicht kleinere Summen aus, aber aufs Jahr gerechnet womöglich mehr. Die Parkhäuser stehen nicht zur Disposition und haben in der Regel freie Kapazitäten.
Eine Fußgängerzone im Tal schon 2023? "Zu ambitioniert"
Das Tal sollte 2023 zur Fußgängerzone werden, kündigte der OB an. War das ein unüberlegtes Versprechen oder hat ihre Behörde getrödelt?
Weder noch. Das politische Ziel ist richtig. Aber im Tal sollen weiterhin Fahrräder und Busse fahren. Es ist nicht einfach, dafür ein rechtssicheres Konstrukt in der Straßenverkehrsordnung zu finden. Zudem wurde unterschätzt, dass mindestens bis ins nächste Jahr der Baustellenverkehr zum Marienhof fährt. Und wir haben gemerkt, dass auch im Tal die Parkplätze hochemotional diskutiert werden.
Wann kommt die Fußgängerzone dann?
Ich habe damals in der Sitzung, als der Beschluss getroffen wurde, schon gesagt, dass der Plan zu ambitioniert ist. Einen konkreten Zeitplan kann ich hier noch nicht nennen, das werden wir zunächst mit den politischen Gremien besprechen.
"Bei jedem Projekt gibt es Debatten, die zu Verzögerungen führen"
Auch beim Radverkehr geht wenig vorwärts. Heuer markiert die Stadt gerade mal 500 Meter neuen Radweg an der Arnulfstraße vor dem Augustiner-Biergarten. Warum ist nur so wenig drin?
Ich finde nicht, dass wenig drin ist. Wir treiben so viele Projekte parallel voran wie nie. Am Anfang hat es etwas gedauert, bis wir die Prozesse gut aufgestellt hatten. Aber jetzt sind wir gut. Wir merken aber, dass es bei jedem Projekt Debatten gibt, die zu Verzögerungen führen.
Sie meinen die Lindwurmstraße, für die Sie schon vor einem Jahr die Pläne vorgestellt haben und bei der letztlich der OB Nachbesserungen forderte?
Ja, zum Beispiel. Wir haben mit Verbänden, Anwohnern und Gewerbetreibenden eine extra Schleife gedreht. Vom Grundsatz her haben sich die Pläne nicht verändert. Wir hoffen, den Beschlussentwurf bald im Stadtrat vorstellen zu können und dann eine Entscheidung zur Umsetzung zu bekommen.
Es gab die Hoffnung auf eine Markierung heuer.
Richtig, für den Abschnitt vom Goetheplatz zum Sendlinger Tor. Da wollen wir, wenn der Stadtrat zustimmt, nächstes Jahr in die Umsetzung gehen.
Wünschen Sie sich mehr Rückhalt vom OB?
Der OB und ich haben ein gutes Verhältnis. Es ist klar, dass ein Oberbürgermeister bei manchen Themen eine andere Rolle einnimmt als seine Fachreferent*innen. Umso wichtiger sind gute Vorabstimmungen zwischen dem OB und den Fachreferent*innen, vor allem bei diffizilen Themen.
Stimmt es, dass SPD und CSU sogar mehr Radwege geschaffen haben als jetzt Grün-Rot?
Ich hab da keine Statistiken. An unser Haus kommt oft die Kritik: Ihr kriegt es noch nicht mal hin, Radwege zu markieren. Aber in den letzten zehn Jahren wurden weitgehend alle Radfahrstreifen markiert, die mit vertretbarem Aufwand und rechtlich möglich waren. Wir können nicht einfach den Farbeimer in die Hand nehmen. An vielen Kreuzungen müssten zum Beispiel Ampelmasten und Bordsteine versetzt werden.

Umsetzung Radentscheid? "Maximal in zehn Jahren sind wir fertig"
Der Stadtrat hat das Bürgerbegehren Radentscheid übernommen und will in 50 Straßen breitere Radwege schaffen. Ergebnis sind viele Planungen auf dem Papier, aber kaum neue Radwege. Hat sich die Stadt verzettelt?
Es war von Anfang an klar, dass das Ziel für den kurzen Zeitraum zu ambitioniert ist. Ich bin guter Dinge, dass wir zu fast allen Projekten bis 2026 einen Grundsatzbeschluss haben. Wir müssen mit einer anderen Jahreszahl nach vorne gehen.
Mit welcher denn?
Es hängt vom Haushalt ab, wie schnell wir die Projekte umsetzen können. Mein Wunsch wäre, dass wir in maximal zehn Jahren fertig sind.
Wie viele der 50 Maßnahmen sind bis Ende der Legislatur fertig?
Die St.-Magnus-Straße wird dieses Jahr fertig, auch die Domagkstraße, ebenso Teile des Altstadt-Radlrings wie an der Blumenstraße, am Thomas-Wimmer-Ring und am Oskar-von-Miller-Ring. Weitere Umsetzungen werden starten. Es ist noch nicht die Riesenzahl, aber es sind einige gute Projekte dabei.
"Autogerecht führt in eine Sackgasse"
Ihre Behörde wurde gegründet, um die Verkehrswende zu beschleunigen. Stattdessen bleibt das Gefühl, dass jetzt alles noch zäher geht. Was hat das Mobilitätsreferat erreicht - außer die Verwaltung aufzublasen?
Es ist ein Riesenerfolg, dass wir das Referat haben. Unsere Themen reichen von der U9 über die E-Ladeinfrastruktur bis zum Radverkehr. Doch uns wird mit mehr Schärfe begegnet, als ich es erwartet hätte, obwohl wir bewusst rein fachlich argumentieren.
Wie erklären Sie sich, dass Verkehr so ein emotionales Thema geworden ist?
War es das nicht schon immer? Ich bin in den 70ern geboren. Da wurde emotional über autofreie Sonntage debattiert. Wir haben Deutschland über Jahrzehnte sehr autogerecht entwickelt. Jetzt merken wir, dass das in Städten in eine Sackgasse führt, weil der Platz fehlt. Wir müssen an das Verhalten eines jeden einzelnen ran und diese notwendige Veränderung mögen nicht alle.
Grün-Rot hat im Koalitionsvertrag fünf Tram-Linien versprochen. Wie viele kommen denn noch bis 2026?
Die Tram-Westtangente ist im Bau.
Der Spatenstich wurde vor über einem Monat abgesagt.
Die Vorbereitungen haben begonnen. Aber es ist nicht einfach, den Verkehr auf der Fürstenrieder Straße während des Baus sicher zu gestalten. Dort reduzieren wir die Spuren von heute zwei bis drei auf eine je Fahrbahn. Dafür müssen wir Ampeln anpassen und Umleitungen ausschildern, damit wir das Verkehrssystem Straße einigermaßen aufrechterhalten. Das ist eine riesige Herausforderung. Da waren einige Fragen nicht final beantwortet.
Wann erfolgt der Spatenstich?
Die Voraussetzungen liegen aus unserer Sicht jetzt vor, terminieren darf die MVG. Sie rechnet damit, dass der erste Abschnitt der Tram-Westtangente 2025 in Betrieb geht.
Wie sieht es bei den anderen Linien aus?
Bei der Tram Johanneskirchen sind wir auch weit. Da wird der Bau beginnen, aber fertig wird sie bis 2026 nicht. Dann ist da noch die Tram-Nordtangente…
Die Tram durch den Englischen Garten, die der Freistaat kassierte.
Aus meiner Sicht ein absolutes Trauerspiel. Wir haben gute Varianten entwickelt, wie die Tram oberleitungsfrei durch den Englischen Garten geführt werden könnte, wo auch schon heute eine breite, asphaltierte Bus-Trasse ist. Mir ist es ein Rätsel, warum es momentan ein No-Go für das Projekt gibt. Ich hoffe, dass die Tür noch nicht zu ist. Wir sind bereit, Anpassungen zu machen.
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