Scandi Style? Was Dänemark bei der Migration anders macht

Friedrich Merz nennt das Nachbarland Dänemark immer wieder als Vorbild bei der Migrationspolitik. Doch wären vergleichbare Maßnahmen in Deutschland rechtens?
Bernhard Junginger |
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Die deutsch-dänische Grenze bei Flensburg: Wer reinkommt, kontrollieren die Dänen selbst – und sie weisen auch Menschen ab.
Die deutsch-dänische Grenze bei Flensburg: Wer reinkommt, kontrollieren die Dänen selbst – und sie weisen auch Menschen ab. © Foto: A. Heimken/dpa

Berlin/Kopenhagen - Eine Asylpolitik nach dem Vorbild Dänemarks fordert Unionsfraktionschef Friedrich Merz. An dem sozialdemokratisch regierten nördlichen Nachbarland solle sich Deutschland etwa im Hinblick auf Abschiebungen orientieren, sagte der CDU-Vorsitzende der AZ: "Die Dänen sind da sehr konsequent."

In der sich verschärfenden Asyldebatte zeigen auch andere Politikerinnen und Politiker immer wieder auf das 5,9-Millionen-Einwohner-Land – doch wie steht es dort wirklich um das Feld der Migration?

Dänemark gehörte zu den Erstunterzeichnern der Genfer Flüchtlingskonvention

Ein genauerer Blick zeigt eine Medaille mit zwei Seiten. Im Grundsatz sieht sich das Königreich, das zu den Erstunterzeichner-Staaten der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 gehört, in einer Tradition der Hilfsbereitschaft. Zuvor hatte ein Massenzustrom von Deutschen für eine gewaltige humanitäre Herausforderung gesorgt: Vor der nahenden Roten Armee waren sie 1944/45 vor allem aus Ostpreußen geflohen.

Hitler dirigierte sie auf dem Seeweg in das von der Wehrmacht besetzte Dänemark, weil sonst im "Reich" allen klar geworden wäre, dass der Krieg im Osten längst verloren ist. Doch nach Kriegsende verweigerten die Alliierten eine Rückführung in die spätere Bundesrepublik, weil dort die Not schon groß genug war. Eine Viertelmillion Landsleute der verhassten Besatzer zu versorgen – das war für damals vier Millionen Dänen in vielerlei Hinsicht eine Kraftanstrengung. Erst 1949 konnten die letzten Deutschen ausreisen.

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Migrationspolitik: Restriktiver Kurs der Dänen seit 2015

Heute werden Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet sind, mit vergleichsweise weit offenen Armen empfangen. Afghanischen Frauen und Mädchen wird allein aufgrund ihres Geschlechts Asyl gewährt, da sie unter dem Taliban-Regime besonders diskriminiert und verfolgt werden. Die andere, die restriktive Seite, hat ihren Ursprung in den Jahren 2015 und 2016. Auch in Dänemark waren damals die Asylbewerberzahlen stark gestiegen, sie betrugen knapp 28.000.

Im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung wurden in Deutschland allerdings dreimal so viele Asylanträge gestellt. In der dänischen Politik, in der die Sozialdemokratie eine führende Rolle spielt, begann eine Diskussion darüber, wie viel Zuwanderung das Land mit seinen hohen Sozialleistungen bewältigen kann. In der Folge setzte bei den maßgeblichen Parteien eine drastische Kehrtwende ein, die letztlich vor allem das Ziel verfolgt, Geflüchtete davon abzuhalten, einen Asylantrag zu stellen.

Leistungen für Flüchtlinge wurden in Dänemark immer weiter gesenkt

Sichtbarstes Zeichen, das auch deutsche Urlauber mitbekommen: Dänemark kontrolliert seine Grenzen und führt auch Zurückweisungen durch. Leistungen für Flüchtlinge, die bereits im Land sind, wurden immer weiter zurückgefahren. Erwachsene Asylsuchende erhalten in Dänemark einen Tagessatz von umgerechnet 7,60 Euro. Final abgelehnte Asylbewerber bekommen lediglich Verpflegung und müssen sich in gesicherten "Rückkehrzentren" aufhalten. Für eine freiwillige Ausreise werden Asylbewerbern dagegen bis zu 5.400 Euro geboten.

Dänemark hat als einziges EU-Land angekündigt, Flüchtlinge auch nach Syrien zurückzuschicken. Zumindest in die Provinz Latakia, die ein dänisches Gericht als sicher eingestuft hat. In der Praxis hat es noch keine derartigen Rückführungen gegeben – auch weil die dänische Botschaft in der syrischen Hauptstadt Damaskus weiter geschlossen ist.

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Dänemark will Asylprozess in Drittstaaten auslagern und Menschen dort ansiedeln

International für Aufsehen sorgte ein Plan von 2021, nach dem der gesamte Asylprozess in Drittländer ausgelagert werden soll. Demnach würde nicht nur das Verfahren im Ausland durchgeführt: Bei einem positiven Bescheid würden die Menschen dort auch angesiedelt - und nicht etwa in Dänemark aufgenommen.

Gespräche dazu führte die Regierung unter anderem mit Ruanda, Äthiopien und Tunesien geführt, die im Gegenzug Geld bekommen sollten. Aktuell liegt das Vorhaben auf Eis - um die Ergebnisse der EU-Asylreform abzuwarten.

Europäisches Regeln des Vertrags von Maastricht für Dänemark nicht bindend

Anders als Deutschland ist Dänemark bei Asylverfahren allerdings nur zum Teil an EU-Recht gebunden. Denn Kopenhagen hatte sich Sonderregelungen ausbedungen, nachdem 1992 eine Volksabstimmung zur Annahme des Vertrags von Maastricht gescheitert war – unter anderem weil eine Mehrheit der Bürger einen "Sozialtourismus" nach Dänemark mit seinen hohen Leistungen befürchteten.

Damit die Dänen doch noch zustimmten, wurden sie von einer Reihe strittiger Punkte freigestellt. In Bereichen wie Inneres und Justiz etwa sind europäische Regeln für die Dänen nicht verbindlich.

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Zwar besteht grundsätzlich auch in Dänemark das Recht auf Asyl, doch das Vorhaben, Asylzentren in Ruanda einzurichten, könnte das Land durchaus umsetzen. Für Deutschland und die anderen EU-Länder dagegen gilt das gemeinsame Asylsystem. Es sieht verpflichtend vor, dass Menschen, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates, dazu gehört bereits dessen Grenze, einen Asylantrag stellen, berechtigt sind, sich in diesem Staat bis Ende ihres Verfahrens aufzuhalten.

Kritiker aus anderen EU-Staaten werfen Dänemark deshalb immer wieder vor, dass der Kurs der Abschreckung Schutzsuchende keineswegs von der Flucht abhält, sondern sie schlichtweg in andere, weniger restriktive Länder umlenkt - etwa nach Deutschland.

"Parallelgesellschaftsgegenden": Hohe Polizeipräsenz und ein doppeltes Strafmaß

Auch bei der Integration geht Dänemark einen von Härte geprägten Sonderweg: Viertel, in denen Migrantenquote, Kriminalität und Arbeitslosigkeit hoch sind, aber einen niedrigen Bildungsstand aufweisen, werden zu "Parallelgesellschaftsgegenden" erklärt. Dort wird die Polizeipräsenz erhöht, gilt ein doppeltes Strafmaß. Kinder ab einem Jahr müssen in den Kindergarten, um Dänisch zu lernen.

Ansonsten werden der Familie Sozialleistungen gestrichen. Ziel der Regierung ist es, dass in Brennpunktvierteln perspektivisch höchstens 30 Prozent Migranten leben. Straftäter aus Drittländern sollen, selbst wenn sie einen Aufenthaltstitel haben, in Haftanstalten im Kosovo verlegt und von dort nach Verbüßung der Strafe in ihre Heimatländer abgeschoben werden.

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8 Kommentare
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  • lirumlarum am 27.09.2023 14:59 Uhr / Bewertung:

    Nichtregierungs-Seenot-Schleuserhalfer erhalten ja nicht nur Gelder von der Regierung, daher bringt Melonis Beschwerde an Scholz nichts Entscheidendes. Mitfinanziert werden diese auch von der Kirche, also wäre eine Beschwerde beim Papst ebenfalls angemessen.

  • lirumlarum am 26.09.2023 13:53 Uhr / Bewertung:

    "Ampel will mit Union Migrationsgespräche führen" - Ich vermute: Nicht "Ampel will...", sondern Scholz will, Lindner wahrscheinlich ebens. Grüne müssen, sehen sich in Zugzwang, weil sie ansonsten auf immer mehr auf innerkoalitionäre, sehr unbequeme und peinliche Opposition durch SPD und FDP stoßen, und das in aller Öffentlichkeit und vor den Augen ihrer woken Jubelmedien. Es regt sich unverhohlener Verdruß und Widerstand gegen die bisher alles dominierenden15%-Grünen, denen man bequem und naiv, oder zuletzt auch bequem-resigniert fast ausufernde Narrenfreiheit gelassen hat. Immerhin ist die Union bei der letzten BTW aus Zweitsieger hervorgegangen; mit großem Abstand nach unten folgten die Grünen. Nichtgrünwähler wußten längst genau, warum sie diese nicht gewählt haben. Sie sahen die Grünen längst vor der Ampel als Makulatur demaskiert. Aber anscheinend mußten SPD und FDP, auch Teile der Union das erst noch am eigenen Leibe erfahren oder lernen. Na gut. manche brauchen etwas länger.

  • Geradeaus-Denker am 27.09.2023 06:32 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von lirumlarum

    An allem sind die Grünen schuld! Wie einfach die Welt doch sein kann.

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