AZ-Info – "Jetzt wird es wirklich heikel": Freie Wähler setzen brisante Forderung gegen Söder durch
München - Nach der ersten Woche steht eines schon mal fest: So laut und aufmerksamkeitsheischend CSU und Freie Wähler im Wahlkampf waren, so leise versuchen sie im Moment, ihren neuen Koalitionsvertrag unter Dach und Fach zu bringen. Obwohl Diskretion in derartigen Verhandlungen nichts Besonderes ist, fällt dieser Tage in Bayern schon eine besondere Scheu auf: Weder der redselige CSU-Chef Markus Söder noch sein Pendant bei den Freien Wählern, Hubert Aiwanger, haben sich seit dem Beginn der Verhandlungen öffentlich geäußert. Eine Spurensuche.
Wer derzeit versucht, aus dem großen Kreis derer, die an den Verhandlungen teilnehmen, Informationen zu erhalten, wird oft enttäuscht. Wie schon 2018 ist die gelebte Verschwiegenheit ein erster Gradmesser für das Vertrauen in die Koalitionsarbeit. Anders als vor fünf Jahren wollen sich Söder und Aiwanger aber nicht nur nicht äußern, nicht mal gemeinsame Bilder sind gewünscht.
Schon jetzt steht die Koalition aus CSU und Freien Wählern unter Druck
Dass es neues Vertrauen zwischen den beiden Parteien braucht, ist unstrittig. Nicht nur, weil die Koalition anders als vor fünf Jahren mit einer gewissen Hypothek dank gegenseitiger Verletzungen und Demütigungen ins Rennen geht. Klar ist auch, dass die neue Regierung in den kommenden drei Jahren unter Druck stehen wird: 2024 ist Europawahl, 2025 wird der Bundestag neu gewählt, im Jahr darauf ist wieder Kommunalwahl.
Doch es dürfte noch andere Gründe für die Stille der Verhandler geben: Niemand will sich durch öffentliche Aussagen in eine Lage manövrieren, die ihm selbst zum Verhängnis werden könnte. Im Grunde hat Söder diesen Grundsatz zwar schon im Wahlkampf gebrochen, als er sich auf dem Parteitag verleiten ließ, das Agrarministerium zum unverhandelbaren CSU-Besitz auszurufen.
Die Liebe zwischen CSU und Freien Wählern muss später kommen
Umgekehrt haben auch die Freien Wähler eine Messlatte genannt, die die Verhandlungen überlagert. Sie fordern nach ihrem Rekordergebnis ein viertes Ministerium, am liebsten besagtes Agrarressort. CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek sieht die Verhandlungen und damit die neue "Koalition der Vernunft" gar schon auf der Zielgeraden. Holetscheks Pendant bei den Freien Wählern, Florian Streibl, erklärt aber, wie bei den Königshäusern im Mittelalter sei bei der Hochzeit zunächst keine Liebe im Spiel, diese komme "später".
Wegen der programmatischen Nähe der beiden bürgerlich-konservativen Parteien hätten die Verhandlungen, so ist unisono zu hören, eigentlich in wenigen Stunden abgeschlossen sein können. Maximal trennten "Nuancen" CSU und Freie Wähler. Redebedarf gebe es zudem wegen sich abzeichnender sinkenden Steuereinnahmen und kleinerer Finanzspielräume.
Koalitions-Verhandlungen: "Vielleicht hilft es, wenn Söder und Aiwanger nicht dabei sind"
Erst Anfang November, also nach der – dem Vernehmen nach – angepeilten Unterzeichnung des Vertrages am 27. Oktober, wird die neueste Steuerschätzung konkrete Zahlen liefern. Für den 31. Oktober ist Söders Wahl zum Ministerpräsidenten angedacht, für den 8. November die Vereidigung des neuen Kabinetts.
Die Verhandlungen in den Arbeitsgruppen kommen, soweit zu hören ist, gut und schnell voran. So gut und schnell, dass nach der Spitzenrunde am Mittwochabend wohl nur noch einmal am Freitagnachmittag die Parteichefs direkt bei den inhaltlichen Beratungen mit am Verhandlungstisch sitzen sollen. "Vielleicht hilft auch gerade dies, wenn Söder und Aiwanger nicht dabei sind", sagt ein Verhandler.
AZ-Info: Viertes Ministerium für die Freien Wähler – auf Kosten eines Staatssekretärs
Von den Verhandlern wird dies unter der Hand auch nicht bestritten: "Wirklich heikel wird es erst, wenn es um die Verteilung der Ministerien geht", heißt es. Nach AZ-Informationen sollen die Freien Wähler tatsächlich ein viertes Ministerium bekommen. Jedoch ohne personellen Aufbau: Sie sollen statt des Postens eines Staatssekretärs ein Ministeramt besetzen. Der jetzige Umweltminister und gelernte Architekt Thorsten Glauber (FW) soll beste Chancen auf das Bauministeramt haben.
Womöglich wird dieses vom jetzigen Verkehrsministerium Christian Bernreiters (CSU) abgespalten. Ein heißer Kandidat ist nach AZ-Informationen zudem Roland Weigert (FW), der Rückenwind durch sein Direktmandat hat und bislang Staatssekretär war.