Umstrittene Wahl: CSU und Freie Wähler geben AfD-Verfassungsrichter die Stimmen
München - Vor wenigen Wochen hat Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gefordert, die AfD bundesweit als "gesichert rechtsextrem" einzustufen. Auch im öffentlichen Dienst pochte er Mitte Januar auf ein Berufsverbot für AfD-Mitglieder. Doch am Mittwoch wählten ausgerechnet seine Parteikollegen im Bayerischen Landtag – zusammen mit den Freien Wählern - erneut zwei Richter, die auf Vorschlag der AfD-Fraktion vor knapp fünf Jahren ans Bayerische Verfassungsgericht entsandt worden waren.
Kurz zuvor fand noch die Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus im Maximilianeum statt. Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) betonte dort in ihrer Ansprache: "Nie wieder ist jetzt." Außerdem hatten CSU, Freie Wähler, Grüne und SPD mit einem Dringlichkeitsantrag und einer anschließenden Debatte ein Zeichen gegen Rechtsextremismus gesetzt. Später in der Plenarsitzung bestätigte die Bayernkoalition dann ohne Aussprache die von der AfD vorgeschlagenen Richter im Amt – gegen die Stimmen der SPD und Grünen.
Neben "Querdenkern" und Verschwörungsideologen: AfD-Verfassungsrichter auf Demo in Berlin
Rüdiger Imgart, einer der beiden AfD-Kandidaten sorgt besonders für Diskussionsbedarf. 2020 nahm er bei einer Demonstration neben "Reichsbürgern" und Verschwörungsideologen gegen die Corona-Maßnahmen in Berlin teil. Fotos belegen, dass sich unter den Teilnehmern auch Rechtsextremisten wie Martin Sellner, ehemaliges Aushängeschild der Identitären Bewegung in Österreich, befanden. Sellner präsentierte beim Potsdamer Treffen von AfD-und CDU-Politikern im November 2023 einen Plan zur Vertreibung von Millionen von Menschen.
Später uferte die Demonstration aus. Etwa 400 Teilnehmer versuchten, das Reichstagsgebäude zu stürmen. Sechs Polizisten konnten das verhindern. Nicht zum ersten Mal fiel Imgart durch seine Nähe zu Rechtsextremisten auf. Der ehemalige Rechtsanwalt stand immer wieder im Austausch mit Personen, die der ausländerfeindlichen Bewegung Pegida zugerechnet werden. Für was der Mann steht? Für den "Erhalt der Heimat" und den Kampf gegen die "kulturelle Entwurzelung", wie er auf einer AfD-Homepage schreibt.
Richter wie Imgart seien das "kleinere Übel", sagt Florian Streibl, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler, zur AZ. Sie könnten in einem Gericht von anderen Richtern "sicher" überstimmt werden. Hätte man sich hingegen geweigert, die AfD-Kandidaten zu wählen, hätte das schwere verfassungsrechtliche Folgen haben können. Die Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshof hätten unwirksam oder mindestens angreifbar werden können. "Dies gilt es zu verhindern."
Ähnlich sieht das auch die CSU. Auf AZ-Anfrage heißt es: "Durch eine Nicht-Wahl droht nach Einschätzung des Präsidenten des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes eine fehlerhafte Zusammensetzung des Gerichts." Die Rechtsprechung könnte dadurch sogar vollständig zum Erliegen kommen. Das bestätigt auch Walther Michl von der Universität der Bundeswehr München. "Da kommt man jetzt tatsächlich schwer raus", sagt der Verfassungsexperte zur AZ. Wie der Fachmann erklärt, gebe es im Grundgesetz das Recht auf einen "gesetzlichen Richter".
Verfassungsrichter in Bayern: Besonderes Wahlverfahren im Landtag
Was sich dahinter verbirgt? Laut dem Gesetz über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof muss das Verfassungsorgan neben 22 Berufsrichtern mit 15 ehrenamtlichen Richtern nach dem Verhältniswahlrecht zusammengesetzt sein – als Spiegelbild der parteipolitischen Verhältnisse im Freistaat.
Abgestimmt wird über die nicht beruflichen Richter im Landtag jede fünf Jahre – jedoch in Form einer Blockwahl. Das bedeutet: Entweder alle Kandidatenvorschläge werden im Landtag abgesegnet oder keiner. "Wenn das Bayerische Verfassungsgericht nicht nach Verhältniswahlrecht zusammengesetzt ist, könnte man das Gericht rügen", erklärt Michl. Auch eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe könnte eingereicht werden. Bis dahin würden dann die bisherigen Richter – in diesem Fall also die ohnehin bereits gewählten AfD-Kandidaten – kommissarisch übernehmen.
Darüber wie man mit dieser schwierigen rechtlichen Situation umgeht, streiten sich Bayerns Spitzenpolitiker. "Wir werden keinen Kandidaten der AfD für die nicht berufsrichterlichen Mitglieder am Bayerischen Verfassungsgerichtshof wählen", heißt es in einer schriftlichen Erklärung der Grünen-Fraktion. Deshalb hat die Partei gegen die gesamte Vorschlagsliste und damit auch gegen ihre eigenen Kandidaten gestimmt.
Der Vorsitzende der Bayern-SPD, Florian von Brunn, habe "aus eigener Überzeugung und Familientradition" seine Stimme gegen die Liste abgegeben. "Meine Urgroßtante Toni Pfülf hat als eine der SPD-Abgeordneten 1933 im Reichstag gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz gestimmt. Dieser Haltung fühle ich mich zutiefst verpflichtet", sagt von Brunn. Die AfD bezeichnet er als "neue Nazis".
Reform: Grüne-Fraktion will Gesetzesvorschlag einbringen
Auch, wenn die Fraktionen der Freien Wähler und CSU die AfD-Vorschläge durchgewunken haben, wollen sie die Rechtslage künftig reformieren. "Wir sind aufgrund der Entwicklungen in den vergangenen Jahren und erst recht aufgrund der letzten Monate aufgerufen, Änderungen vorzunehmen", heißt es aus der CSU-Fraktion. Die Grünen gehen bereits voran und wollen dafür einen "Gesetzvorschlag" einbringen. "Damit wollen wir erreichen, dass das Gericht trotz unvollständiger Besetzung arbeitsfähig bleibt", sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der Landtagsgrünen, Jürgen Mistol, zur AZ. Dann käme es bei der nächsten Richterwahl nicht mehr zu dieser Situation.
Eine Gesetzesänderung hält auch der Verfassungsexperte Michl für sinnvoll und wünschenswert. "Man müsste das Verhältniswahlrecht abschaffen und statt einer einfachen Mehrheit auf eine Zweidrittelmehrheit umstellen." Ihm zufolge müssten die Parteien im Bayerischen Landtag dann Kandidaten aufstellen, die im Parlament auch breite Zustimmung genießen, um bei der Wahl Erfolg zu haben. Sonst könnten Richterposten künftig auch vakant bleiben.