Geheimtreffen: AfD- und CDU-Politiker diskutieren mit Neonazis über einen Migrations-"Masterplan"
Berlin/München - Versteckt in einem Hotel vor den Toren der Bundeshauptstadt sollen sich Ende November einflussreiche Politiker, finanzstarke Unternehmer und einschlägig bekannte Rechtsextreme versammelt haben. Dort am Lehnitzsee diskutierten sie in einer Villa über ihre Pläne zur Neuausrichtung der Migrationspolitik in Deutschland.
Eigentlich sollte das Treffen im Landhaus Adlon geheim bleiben – doch dabei hatten die Anwesenden offensichtlich nicht mit Journalisten aus dem Medienhaus "Correctiv" gerechnet. Diese schleusten sich in den Hotelkomplex ein und beobachteten die Teilnehmer. Auch die Umweltschutzorganisation Greenpeace fand heraus, dass hinter verschlossenen Türen ranghohe AfD-Vertreter und Führungspersonen der sogenannten "Identitären Bewegung" an einem Strang zogen, bestätigt die Organisation auf AZ-Anfrage.
Politiker von CDU und AfD treffen sich mit Neonazis um "Masterplan" zu besprechen
Eingeladen hatte sie den Recherchen von "Correctiv" zufolge der Düsseldorfer Rechtsextremist Gernot Mörig, um dort den "Masterplan" zur "Remigration" zu besprechen. Demzufolge soll auf Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht und nicht "assimilierte Staatsbürger" hoher Druck ausgeübt werden, um sie womöglich zu vertreiben. Die Teilnehmer spielten auch mit dem Gedanken eines "Musterstaats" in Nordafrika, in dem die Menschen – darunter auch nicht angepasste deutsche Staatsangehörige – dann weiterleben könnten.

Neben Verschwörungsideologen, Rechtsradikalen und Neonazis sollen bei diesem Meeting auch Landes- und Bundestagsabgeordnete der AfD, CDU-Mitglieder und der Werteunion teilgenommen haben, wie "Correctiv" berichtet. Dem Bericht zufolge unter anderem Roland Hartwig, persönlicher Referent von Alice Weidel, der Fraktionschefin der AfD im Deutschen Bundestag. Auch ihre Parteikollegin und Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy soll zusammen mit dem Fraktionsvorsitzenden der AfD in Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund, bei den Gesprächen dabei gewesen sein.
Nach Geheimtreffen: Gastro-Investor Hans-Christian Limmer scheidet bei "Hans im Glück" aus
Wie Fotos von "Correctiv" beweisen, gesellten sich unter die Politiker bekannte Neonazis und Rechtsextremisten wie Martin Sellner und Mario Müller, die beide der "Identitären Bewegung" nahestehen. Mit der Planung des Meetings soll neben dem Rechtsextremisten Mörig auch Gastro-Investor Hans-Christian Limmer beteiligt gewesen sein, der selber allerdings nicht anwesend war. Bis Mittwoch war der Unternehmer noch Gesellschafter der Burgerkette "Hans im Glück". Obwohl er die Vorwürfe bestritt, gab Limmer seine Stellung im Unternehmen am Mittwoch auf, um Schaden vom Franchise abzuwenden, wie aus einer schriftlichen Erklärung der Burgerkette hervorgeht.
Wie die Teilnehmer überhaupt von dem Geheimtreffen erfahren haben? In einer Briefeinladung wurde ihnen offenbar ein "exklusives Netzwerk" versprochen. "Es bedarf Patrioten, die aktiv etwas tun und Persönlichkeiten, die diese Aktivitäten finanziell unterstützen", hieß es laut "Correctiv" darin. Deshalb sei auch eine Spende in Höhe von 5.000 Euro auf ein neutrales Konto empfohlen.
Rechtsextremer Autor und Aktivist Martin Sellner hält Vortrag über Migrationsfrage
Angekommen am Lehnitzsee in Brandenburg, startete Martin Sellner, der als Ideengeber der Neuen Rechten in Deutschland und Österreich gilt, einen Vortrag über seinen "Masterplan", wie aus der Recherche hervorgeht. Das Ziel: die Vertreibung von Millionen Menschen. Der Aktivist soll das beschönigt formuliert haben – als "Rückabwicklung" von Ausländern, die sich angesiedelt hatten.
Ähnlich soll sich auch der AfD-Politiker Ulrich Siegmund geäußert haben: Das Straßenbild müsse sich seiner Meinung nach ändern und ausländische Restaurants unter Druck gesetzt werden, heißt es weiter. Nach dem Vortrag soll dann weiter über die Umsetzung von Sellners Plan diskutiert worden sein. Wer diesen ausarbeiten könnte? Manche Teilnehmer sprachen dem Bericht zufolge von Ex-Verfassungsschutzpräsident und Chef der Werteunion Hans-Georg Maaßen (CDU).
Auch um die Gründung einer neuen Partei von Maaßen sei es kurzzeitig gegangen – doch wichtiger seien den Anwesenden ihre Interessen gewesen. Von besonderer Bedeutung seien dabei Investoren, die rechtsextreme Projekte fördern. Bezahlte Influencer könnten beispielsweise im Internet eine breite rechtsextremistische Gegenöffentlichkeit aufbauen.
AfD dementiert: Keine politischen Strategien erarbeitet
Die Bundesgeschäftsstelle der AfD dementiert auf AZ-Anfrage, dass diese Informationen in die Partei getragen wurden. Der Referent von Alice Weidel hätte lediglich auf Einladung ein "Social-Media-Projekt vorgestellt, welches er im Aufbau mit begleitet". Es seien keine politischen Strategien erarbeitet worden oder Ideen von Martin Sellner in die AfD getragen worden. Auch Mörig soll die Äußerungen beim Treffen anders wahrgenommen haben, sonst hätte er widersprochen, sagte er zu "Correctiv".
Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt, der bereits die CDU, AfD und PDS beraten hat, hält die Weitergabe von Informationen allerdings durchaus für realistisch. "Wenn Meetings außerhalb der Partei mit Verbindungsleuten zur Parteiführung stattfinden, wird man davon ausgehen, dass die bewusst dorthin geschickt werden und anschließend neue Informationen zurück in die Partei tragen", erklärt das CDU-Mitglied und ehemalige Mitglied der Werteunion der AZ. Grundsätzlich sei es nicht illegitim darüber nachzudenken, wie man Menschen ohne Bleiberecht in Deutschland wieder abschieben könne. Doch die auf jenem Treffen wohl geäußerten Vorstellungen der AfD öffneten den "Weg in den politischen Unsinn". Auch die Idee in Nordafrika einen Flüchtlingsstaat zu gründen, sei abwegig.
Trotzdem hat das Treffen Patzelt nicht überrascht. "Die Grenze zwischen AfD und Rechtsextremen ist fließend", meint der Forschungsdirektor des Mathias Corvinus Collegium (MCC) in Brüssel. Dabei handelt es sich um eine umstrittene Denkfabrik, die dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán nahesteht.
CDU-Abgeordneter Marco Wanderwitz fordert AfD-Verbotsverfahren – FDP ist es zu riskant
Die Linkspartei weist hingegen darauf hin, dass beim Geheimtreffen ein "konkreter Handlungsplan" besprochen wurde. "Angesichts dessen muss auch die Frage nach dem Sinn und der Möglichkeit eines AfD-Verbots offen diskutiert werden", sagt der Parteivorsitzende Martin Schirdewan zur AZ. "Das würde die extreme Rechte in Deutschland nicht zum Verschwinden bringen, aber der antidemokratischen AfD den Raum nehmen, ihre perversen Allmachtsfantasien auf Kosten von Minderheiten auszuleben."
Der Politikwissenschaftler Patzelt warnt davor, lediglich eine Debatte um ein Parteiverbot zu führen. Wenn man vom umfassend rechtsextremen Charakter der AfD überzeugt sei, müsse konsequent ein Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht gestellt werden. "Wenn sich das die Bundesregierung nicht zutraut, dann eben aus der Mitte des Bundestages." Denn die Diskussion stärke die in Teilen rechtsextreme Partei nur noch weiter. Durchgreifen will deshalb der CDU-Abgeordnete Marco Wanderwitz. Er hält ein Verbotsverfahren für "dringend" geboten, sagt er zur AZ.
Für den FDP-Politiker Stephan Thomae sei das aufgrund der hohen Anforderungen riskant, teilt er der AZ mit. "Die AfD versteht ihre wahren Absichten immer noch sehr gekonnt zu tarnen", so der Innenexperte.