Diskussion um AfD-Verbot – Experte vermutet: Eigentlich geht es um etwas ganz anderes
München - Seit mehr als 65 Jahren ist in Deutschland keine Partei mehr verboten worden. Denn die Hürden für ein Parteiverbotsverfahren vor dem obersten deutschen Gericht in Karlsruhe sind hoch. Drei Landesverbände der AfD gelten mittlerweile als "gesichert rechtsextrem". Während die Distanz zwischen Parteifunktionären und Extremisten weiter abnimmt, verbreiten AfD-Abgeordnete zunehmend völkische und antidemokratische Inhalte. Einzelne Politiker diskutierten in Potsdam sogar mit Neonazis einen "Masterplan" zur Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland.
Mit Blick auf die hohen Zustimmungswerte der AfD in Teilen Ostdeutschlands ist eine Regierungsbeteiligung inzwischen nicht mehr ausgeschlossen. Das bereits gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und eine neue, sich im Aufbau befindende Partei von Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen (CDU) könnten das politische Lager vor den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg noch weiter aufspalten. Der Chef der rechtskonservativen Werteunion hat eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht verneint.
Verfassungsexperte Walther Michl: AfD-Verbotsverfahren ist "wichtiges politisches Signal"
Die entscheidende Frage: Wann gilt eine Partei aufgrund von extremistischen Äußerungen mehrerer Politiker in ihrer Gesamtheit als verfassungswidrig? Bald könnte sich das Bundesverfassungsgericht damit befassen. Denn einige Abgeordnete von CDU, SPD, Linken und Grünen sind offen für einen gegen die AfD gerichteten Verbotsantrag. Für den Verfassungsexperten Walther Michl von der Universität der Bundeswehr München wäre es ein "wichtiges politisches Signal", diesen juristischen Schritt zu gehen. Gerade durch das öffentlich gewordene Geheimtreffen vor den Toren Berlins seien die Verbindungen zwischen AfD-Funktionären und Rechtsradikalen nochmals offensichtlicher geworden.
"Der Teufel steckt allerdings im Detail. Das hat man besonders beim NPD-Verbotsverfahren gesehen, dass da einige juristische Fallstricke lauern", sagt der Inhaber der Professur für Öffentliches Recht an der Fakultät für Wirtschafts- und Organisationswissenschaften zur AZ.
Rechtswissenschaftler Steffen Augsberg: Diskussion um AfD-Verbot "delegitimiert" Partei
Der Rechtswissenschaftler Steffen Augsberg von der Justus-Liebig-Universität Gießen hält dagegen. Das Mitglied des Deutschen Ethikrats denkt, dass es bei der Diskussion um ein Verbot eigentlich um etwas anderes geht. "Diese ganzen Debatten machen auf mich weniger den Eindruck, dass man tatsächlich an die Verbotsmöglichkeit glaubt, sondern es ist eher ein Mittel, die AfD im politischen Wettbewerb schon vor einem Verbotsverfahren zu delegitimieren", sagt er zur AZ. Das habe ein "Geschmäckle" und spiele darüber hinaus der AfD in die Karten.

Parteiverbote gelten in Deutschland als absolute Ausnahme. Seit Gründung der Bundesrepublik wurden nur zwei Parteien verboten - die nationalsozialistisch ausgerichtete Sozialistische Reichspartei (SRP) im Jahr 1952 und die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) im Jahr 1956. Dass bisher nicht öfter zu diesem Instrument gegriffen wurde, liegt auch an der bisherigen Rechtsprechung. Der zufolge genügt die Verbreitung verfassungsfeindlicher Inhalte für ein Parteiverbot nicht. Hinzukommen müssen eine aktiv-kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sowie die realistische Chance diese abzuschaffen.
Verbotsverfahren beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe scheiterte zweimal
Zweimal scheiterte bisher das Verbotsverfahren gegen die in Teilen neonazistische NPD. Laut Auffassung der obersten Richter in Karlsruhe vor sieben Jahren ist die Partei zwar verfassungsfeindlich, doch nicht im Stande ihre Pläne in die Tat umzusetzen. Auch 2003, beim ersten Versuch die NPD zu verbieten, blieben die Antragssteller erfolglos. Damals wimmelte es in der NPD von eingeschleusten V-Männern, die Informationen an die Sicherheitsbehörden lieferten. Die Richter konnten keine Rückschlüsse mehr ziehen, welche Äußerungen wirklich von Parteifunktionären und welche von den Verbindungsleuten stammten.
Ob jetzt im Fall der AfD Geheimdienste in die Partei verwickelt sind? Laut Verfassungsexperte Michl ist derzeit unklar, welche Erkenntnisse Geheimdienste gesammelt haben und wie sie diese gewonnen hätten. "Die Frage, die da aufkommt, ist: Was hält den Verfassungsschutz davon ab, beispielsweise den Landesverband in Bayern als ‚gesichert rechtsextrem' einzustufen?" Bisher gilt diese Einordnung nur für die AfD-Landesverbände in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt.
"Zu sagen, dass die AfD für ein Verbot zu groß ist, halte ich schlicht für feige"
Trotz der Einordnungen könnte es, wie Augsberg erklärt, in einem Verbotsverfahren schwierig werden. Die AfD dürfe Ziele verfolgen, die mit der Verfassung nicht in Einklang stehen. Verfassungsänderungen auf dem demokratischen Weg durchsetzen, "darf man bei uns", so der Rechtswissenschaftler. Das Grundgesetz zeichne sich gerade dadurch aus, dass dort keine "Mindestkriterien für politischen Anstand" festgeschrieben stehen. Wenn, dann müsse "Detektivarbeit" betrieben werden - auf der Suche nach Verstößen, vor allem gegen die Menschenwürde (Artikel 1) oder Artikel 20 im Grundgesetz. Dieser schafft den Rahmen des sozialen und demokratischen Rechtsstaats. Beide Artikel dürfen nicht abgeändert werden.
Eine weitere Rolle könnte auch die Größe der Partei spielen. Je mehr radikale Mitglieder sie hat, desto wahrscheinlicher könnten die Akteure verfassungswidrige Ideen auch in die Tat umsetzen. "Das Potenzial ist bei der AfD gegeben, weil sie laut aktuellen Umfragen sogar fast einen Ministerpräsidenten stellen könnte", so Michls Einschätzung. Für diejenigen, die meinen, dass die AfD für ein Verbot zu groß sei, hat der Verfassungsexperte eine eindeutige Antwort: "Zu sagen, dass die AfD noch nicht an der Macht ist, die Partei aber für ein Verbot bereits zu groß ist, halte ich schlicht für feige."
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte könnte AfD-Verbot nachträglich einkassieren
Steffen Augsberg sieht das Potenzial ebenso gegeben. Trotzdem sieht er bei einem AfD-Verbot noch eine andere Hürde. "Wenn die AfD in ihrer Gänze als verfassungsfeindlich eingestuft wird, dann betrifft das einen großen Teil der Wählerschaft. Ob das eine kluge Vorgehensweise ist, weiß ich sehr zu bezweifeln", so der Forscher. "Selbst wenn man einzelne Treffen unter Beteiligung von AfD-Abgeordneten - wie jüngst in Potsdam - als verfassungsfeindlich einordnet, betrifft das nicht automatisch die ganze Partei."
Laut Michl käme im Falle eines Verbotsantrags auch dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine besondere Bedeutung zu. Wenn die Verfassungsrichter in Karlsruhe eine Partei verbieten, dann darf diese Partei das Gericht in Straßburg anrufen. "Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verfolgt da eine restriktivere Linie", betont Michl. Hintergrund seien zahlreiche Parteiverbote, die in der Türkei ausgesprochen und in Straßburg wieder aufgehoben wurden. Die Gefahr: Ein Parteiverbot in Deutschland könnte nachher auf europäischer Ebene möglicherweise wieder einkassiert werden.
Antrag auf Grundrechtsverwirkung ist ein weiteres Instrument
Was Michl den Beteiligten rät? Ein "kaskadenartiges Vorgehen" mit einem Verbotsantrag, der sich gegen einen einzelnen AfD-Landesverband richtet. Den dürfe jede Landesregierung stellen. Durch dieses schrittweise Vorgehen könnten sich die Anzeichen verdichten, dass die Partei in ihrer Gänze verfassungsfeindlich ist, so der Experte. Dann könnten der Bundestag, Bundesrat oder die Bundesregierung auf ein Verbot der gesamten Partei pochen.
Zudem könne auch gegen einzelne Politiker ein Antrag auf Grundrechtsverwirkung gestellt werden. Denn wer die freiheitlich-demokratische Grundordnung missbraucht, verwirkt seine Grundrechte. AfD-Politikern könnte mit diesem in Artikel 18 festgeschriebenen Instrument etwa die Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie das aktive oder passive Wahlrecht entzogen werden. 950.000 Unterstützer einer Petition fordern genau das mit Blick auf den AfD-Politiker Björn Höcke.
Keine Entscheidung vor Landtagswahlen in Ostdeutschland: AfD-Verbotsverfahren könnte sich Jahre ziehen
Eine solche Grundrechtsverwirkung hat es Augsberg zufolge in der Geschichte des Landes jedoch nie gegeben. Die Auswirkungen auf die kommenden Landtagswahlen wären wohl ohnehin gering - genauso wie beim Verbotsverfahren. "Die Hoffnung, dass man das noch vor den Landtagswahlen in Gang setzen und abschließen könnte, ist völlig trügerisch." In diesem Punkt ist sich Augsberg mit Michl einig, der von "mehreren Jahren bis zur Entscheidung über den Antrag" spricht.
Der politischen Konkurrenz in Ostdeutschland wird also kaum etwas anderes übrig bleiben, als die AfD auch weiterhin politisch im Wahlkampf und in den Parlamenten zu bekämpfen. Sollte die Partei dann nach den Abstimmungen doch verboten werden, entfielen alle Parlamentssitze von Abgeordneten, die über die Liste eingezogen sind, ersatzlos. In Wahlkreisen mit AfD-Gewinnern müsste die Wahl nach dem Bundeswahlgesetz erneut durchgeführt werden.