Interview

Immer mehr AfD-Wähler, Tausende bei Demo in München: Expertin sieht Fehler in der Vergangenheit

Es wurde mit deutlich über 30.000 Teilnehmern gerechnet, gekommen seien laut Veranstalter bis zu 250.000: Auch in München wurde am 21.1. gegen die AfD und den Rechtsruck demonstriert. Ob das aber generell was bringt, fragt die AZ eine Expertin.
Heidi Geyer |
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In Bielefeld hatten zahlreiche Menschen gegen Rassismus und die AfD demonstriert. Am Samstag soll es auch in München eine Demo geben.
In Bielefeld hatten zahlreiche Menschen gegen Rassismus und die AfD demonstriert. Am Samstag soll es auch in München eine Demo geben. © Oliver Berg/dpa

München - Mit Ursula Münch hat die AZ über die Proteste gegen die AfD gesprochen. Die 62-jährige Professorin für Politikwissenschaft leitet die Akademie für Politische Bildung in Tutzing.

AZ: Frau Münch, haben Sie die Recherchen von "Correctiv" in der vergangenen Woche überrascht?
URSULA MÜNCH: Nein, um ehrlich zu sein. Dass die AfD einen größeren Teil der Migranten wieder loswerden will, sagt sie ja laut. Das wusste man vorher. Das Überraschende ist, dass sie bereit ist, sich über Staatsbürgerrecht hinwegzusetzen. Das hätte ich nicht mal der AfD zugetraut. Natürlich ist das skandalös, aber offenbar erregt das nur einen Teil der Bevölkerung.

Die Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing, Ursula Münch.
Die Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing, Ursula Münch. © Frank Leonhardt (dpa)

Inwiefern?
Es gibt einen Anteil der Bevölkerung, der extrem migrations-skeptisch ist. Das darf man auch sein, das ist noch keine AfD-Position. Grundsätzlich ist das ein berechtigtes Anliegen, weniger Migration haben zu wollen. Insofern wird man mit der großen öffentlichen Erregung den Anteil der AfD-Wähler nicht dezimieren können.

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"Bloß nicht zur schweigenden Mehrheit gehören"

Nun gibt es ja öffentliche Proteste. Gehen da nur die auf die Straße, die ohnehin die SPD oder die Grünen wählen?
Schwierig zu sagen. Es hat auf jeden Fall einen Selbstvergewisserungscharakter. Damit meine ich: Es gehen vor allem die hin, die ohnehin gegen die AfD sind. Wenn ich Interviews von Demo-Teilnehmern höre, heißt es aber teils auch, dass sie es wichtig finden, nicht bloß zur schweigenden Mehrheit zu gehören, die das nicht gut findet, aber sich bisher nicht geäußert haben. Da wird es schon ein paar geben! Es wird eine gewisse Mobilisierung geben.

Was können die etablierten Parteien machen, um die Menschen wieder zurückzugewinnen, die migrationskritisch sind?
Es gibt noch eine Chance. Wir sehen, dass die AfD, oder zum Teil die Freien Wählern – wobei ich die strikt voneinander trennen möchte –, aber auch beispielsweise das Bündnis Sahra Wagenknecht diese Rhetorik auch bedienen. Aber eben bei Weitem nicht so menschenfeindlich wie die AfD.

"Das war meines Erachtens ein Fehler. Und ich finde, das darf thematisiert werden"

Was müsste die Politik konkret tun?
Das Zentrale ist die Aufgabe: Der Staat muss handlungsfähig sein. Die Wahrnehmung ist seit 2015 eine andere, im Grunde wurde der Eindruck vermittelt: "Ja, da können wir doch nichts machen, wenn die jetzt an der Grenze stehen." Das war meines Erachtens ein Fehler. Und ich finde, das darf thematisiert werden. Da ist man noch kein Rassist, wenn man das sagt und mehr Kontrolle und Handlungsfähigkeit des Staats wünscht.

Zugleich müssen die anderen Parteien deutlich machen, dass man sich nicht ständig übertrumpft. Ich sehe schon das Problem, dass wir in eine Spirale geraten, bei der jeder noch eins oben draufsetzen will. Zentral ist, zu klären: Was ist tatsächlich durchsetzbar? Was kann ein Land, was kann die EU erreichen? Was ist mit völkerrechtlichen Verpflichtungen? Und eben nicht in eine Eskalationsrhetorik zu verfallen und den Leuten das Blaue vom Himmel runter zu versprechen, was nicht durchsetzbar ist. Ich halte das Ruanda-Modell zu propagieren für unredlich – da möge man mir mal den afrikanischen Staat zeigen, der tatsächlich dazu bereit ist. Da wird es nicht allzu viele geben.

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Die Bauern gehen auf die Straße, es gibt Demos pro Israel und pro Palästina, jetzt wird gegen die AfD demonstriert. Ist das ein Ausdruck, dass die Menschen politischer werden, oder sollte uns das eher warnen?
In der Politikwissenschaft geht man davon aus, dass ein gewisses Maß von Partizipation zu einer freiheitlichen Demokratie dazugehört, also dass Menschen für oder gegen etwas demonstrieren. Aber wir erleben derzeit, ich würde fast schon sagen, eine "Übermobilisierung". Ein gewisses Maß an Mobilisierung muss sein, aber wenn es sehr viele Bevölkerungsgruppen erreicht und zum Teil grenzwertig, dann wird es eher zu einem Krisenphänomen. Noch ist alles im Normalmaß, ich würde jetzt keine Krise herbeireden wollen. Aber wenn das nun wochenlang so weitergeht, dass ständig jemand gegen etwas ist, dann würde ich das als Krisenphänomen wahrnehmen.

Haben wir die Fähigkeit verloren, in Dialog miteinander zu gehen?
Die Fähigkeit nicht, aber die Orte, an denen das stattfindet: Wenn man sich überlegt, wie viele Wirtshäuser zugemacht haben, wie viele Stammtische es nicht mehr gibt, wie viele Leute lieber ins Fitnessstudio gehen, statt sich in einem Verein auseinanderzusetzen. Lieferdienste statt Restaurantbesuche, Online-Shopping statt Geschäft – es fehlt schlicht an den Gelegenheiten zum Austausch.

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22 Kommentare
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  • SagI am 22.01.2024 18:30 Uhr / Bewertung:

    Fehler der Demonstranten: Sie demonstrieren gegen die Folgen (wütende Bürgerinnen und Bürger) und nicht gegen die Verursacher (Ampel-Regierung), die die Menschen in Scharen zur AfD treiben. Dies wird z.B. so bleiben solange Scholz "Wir müssen schneller und mehr abschieben" diese AfD Forderung (böse) nicht umsetzt und das wird mit Rotgrün auch nix.

  • Bongo am 22.01.2024 18:58 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von SagI

    Die Demonstationen sind ja o.k. Auch ich hab mit der AfD nichtsahnend Hut. Aber die Menschen die dort mitlaufen, sollten sich viel mehr Gedanken machen, warum es soweit gekommen ist: Nämlich durch die Unfähigkeit der regierenden Parteien, wirksame Maßnahmen gegen die illegale Migration und die Einwanderung in die Sozialsysteme zu ergreifen.
    Gerade habe ich im Regionalradio gehört, daß in unserer Nachbarkreisstadt Kelheim eine Stadtratssitzung beginnt, bei der es um die Aufstellung von zwei weiteren Containern für Flüchtlinge geht und wogegen massiver Protest in der Bevölkerung herrscht, Soll das ewig so weitergehen.?

  • lirumlarum am 22.01.2024 17:23 Uhr / Bewertung:

    Als "rechtsextrem" wird manipulativ alles prinzipiell fehletikettiert, was nicht linksgrünsozialistisch ist. "Mehr als 300.000 Menschen bundesweit demonstrieren gegen Rechtsextremismus. " - Mehr als 300.000: Lassen wir es großzügig 500.000 Demonstranten sein - das sind die Guten. Der ganze Rest nicht Demonstrierender ist also rechtsextrem und müssen also in die "korrekte" Richtung gebrüllt und gehetzt werden. Wenn sie es mit sich machen lassen.Es werden statt dessen immer mehr Regierungsverdrossene. Man sollte die stille Friedhofsharmonie arbeitender nichtdemonstrierender Steuerzahler nicht mit Zufriedenheit und Einverständnis verwechseln. Demos oder Parteiverbote bessern nicht die Stimmung im Lande, das ist Ablenkung von regierungspolitischer Inkompetenz und Desinteresse, ist ineffiziente Symptomkosmetik. Warten wir künftige Wahlen ab!

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