"Spare aus blanker Not": Heizen wird auch in München zum Luxusgut – Millionen Deutsche frieren, doch für Betroffene gibt es Hilfen
München - Das Beste am Winter ist es, die eisige Kälte draußen durchzustehen und sich dann in der eigenen, kuscheligen Wohnung wieder aufwärmen zu können. Mit einer Kuscheldecke, einem Kakao und natürlich: einer laufenden Heizung. Letzteres ist jedoch letzten Winter für viele Menschen zum Luxusgut geworden. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) forderte damals dazu auf, beim Heizen zu sparen.
Viele Menschen waren jedoch ohnehin dazu gezwungen, den Heizregler nach unten zu drehen. Wie das Statistische Bundesamt diese Woche mitteilte, konnten 5,5 Millionen Menschen ihre Wohnung nicht angemessen heizen. Die Folgen: Schimmelbefall, erhöhtes Erkältungsrisiko und eine kalte Wohnung.
Steigende Energiepreise: Viele Menschen sparen aus der Not heraus an den Heizkosten
Stefan Wolfshörndl, Vorsitzender der AWO Bayern, sagt dazu der AZ: "Wenn die Kohle nicht mehr langt, was bleibt einem noch anderes übrig? Da spare ich nicht aus gesamtgesellschaftlicher Verantwortung, sondern aus der blanken Not heraus." Mit Sorge blickt er auf die hohe Zahl der Menschen, die nicht ausreichend heizen konnten. Denn er weiß um die Betroffenen: "Es sind die unteren 20 Prozent der Gesellschaft, die tatsächlich in Armut leben oder ein entsprechendes Armutsrisiko haben."
Konkret sind das "Familien mit mehreren Kindern, in denen nur ein Elternteil arbeiten kann, Menschen, die im Niedriglohnbereich tätig oder auf Sozialleistungen angewiesen sind, aber auch Rentnerinnen und Rentner, die wenig Rente haben, aber in großen Altbauwohnungen leben und wenig Möglichkeiten haben, in eine kleinere und besser isolierte Wohnung zu ziehen", sagt Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, der AZ.
So ergeht es auch der 63-jährigen Anna Maier (Name von der Redaktion geändert). Die ehemalige Sozialarbeiterin lebt in einem alten 43 Quadratmeter großen Häuschen in Grafing bei München (Kreis Ebersberg), das nur über einen Holzofen in der Küche verfügt. "Ich lasse alle Türen auf, dann wird es schön warm überall", sagt Maier der AZ. Mit dem Vermieter habe sie vereinbart, alle Reparaturen selbst zu übernehmen und dafür eine geringere Kaltmiete zu bezahlen – zu einem Zeitpunkt, als sie noch erwerbstätig war.
150 Euro zahlt sie kalt, über 400 Euro warm. Ihr Einkommen? 815 Euro Erwerbsrente. Wegen einem Problem mit der Wirbelsäule könne sie nicht mehr arbeiten. Um ihre Energiekosten zu bezahlen, hat sie bereits eine Einmalzahlung vom VdK erhalten. Und auch Wohngeld bezieht sie inzwischen (145 Euro). "Sparsam muss ich trotzdem sein", sagt die 63-Jährige. Jede Ausgabe, egal ob Reparaturen an der alten Wohnung aus dem Zweiten Weltkrieg oder passende Klamotten, stelle eine finanzielle Belastung da.
Teufelskreis für Menschen mit wenig Geld: Hohe Energiepreise und kaum isolierte Wohnungen
Der Fall passt zur Beobachtung von VdK-Präsidentin Bentele: "Viele Vermieter scheuen die hohen Kosten von Isolierungsmaßnahmen. Gerade bei alten Wohnungen ist das ja auch sehr kostenintensiv." Weiter sagt sie: "Das ist dann ein Riesen-Teufelskreis, dass Menschen mit wenig Geld in Wohnungen leben, wo Heizkosten extrem hoch sind, und auch nicht viel sparen können, weil die Fenster eben nicht dicht sind."
Sabine Gross, Sprecherin für Wohnen, Bau und Verkehr von der SPD Bayern, nennt die Heiz-Situation eine "Doppel-Problematik": "Es gibt einmal die Leute, die selber sparen, weil sie kein Geld haben und befürchten, dass sie es sich nicht leisten können, und dann noch diejenigen, die einen Vermieter haben, der nichts ins Haus investiert." Gerade die Angst vor hohen Energiepreisen und die Folgen für die eigene Existenzsicherung treibt die Menschen um, berichtet auch Inge Brümmer, Leiterin der Schuldner- und Insolvenzberatung von AWO und DGB in München. Wenig verwunderlich, schließlich gehen die Nebenkostennachzahlungen in München zuweilen bis in den vierstelligen Bereich.

Was lässt sich da politisch machen? Gross von der SPD meint im Gespräch mit der AZ: "Ein zusätzliches Wohngeld für Bayern wäre schon notwendig." Sowie Förderanreize für Vermieter, um in ihre Wohnungen zu investieren. Theo Glauch, Mitglied des Landesvorstands der Linken in Bayern, sieht hingegen vor allem Potenzial in einer Senkung der Mehrwert- und CO2-Steuer. "Das sind alles Sachen, die kleinere Einkommen viel mehr treffen als größere", sagt Glauch der AZ. Deshalb sollten kleine Verbräuche (alles unter dem Durchschnitt von 2500 Kilowattstunden pro Jahr pro Person) entlastet und darüber liegende Verbräuche dafür stärker besteuert werden.
Der Staat bietet mehrere Hilfen – die müssen aber auch angenommen werden
Aber was lässt sich als Betroffener schon jetzt tun? Da wäre einmal das Wohngeld, empfiehlt Monika Schmid-Balzert vom Mieterbund Bayern im Gespräch mit der AZ. Aber auch der Wärmefonds in München kann Abhilfe schaffen. "Der ist vielen Menschen nicht bekannt und wird nicht so viel abgerufen", sagt VdK-Präsidentin Bentele.
Auch Brümmer von der AWO-Schuldnerberatung weist auf den Wärmefonds hin: "Pro alleinstehender Person sind das 700 Euro einmalig pro Jahr. Man muss nur nachweisen, dass man mit seinem Einkommen unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle von 1660 Euro liegt." Jeder Arbeitnehmer mit Mindestlohn fällt da schon mal drunter. Der Wärmefonds läuft auch für das Jahr 2024 weiter, wie die Stadtwerke München der AZ auf Nachfrage bestätigen.
Und dann gibt es da eben noch die Option der einmaligen Sozialhilfe: "In dem Monat, wo man die Nebenkostenrechnung bekommt, kann man einen Antrag auf Bürgergeld stellen", sagt Bentele vom VdK. Gerade für Niedriglohnbeschäftigte, die kaum Rücklagen aufbauen können, sei das eine mögliche Hilfe. Aber Achtung: Der Antrag muss noch in dem Monat des Rechnungserhalts ausgestellt werden, damit er bewilligt werden kann.
Sowohl AWO Bayern-Vorsitzender Wolfshörndl sowie VdK-Präsidentin Bentele beklagen, dass viele Menschen nicht wissen, dass sie einen Anspruch haben. Und wenn sie es wissen, ihn nicht nutzen. "Viele trauen sich nicht", sagt Wolfshörndl. Armut sei immer auch schambehaftet: "Ich bin schlecht, ich hab es nicht auf die Reihe gebracht, ich wohne prekär, ich komme nicht mit dem Mindestlohn klar und so weiter." Deshalb: "Mutig sein, Ansprüche durchziehen und sich sagen: 'Es ist nicht meine Schuld.'"
Energiepreise gehen diesen Winter zurück, gespart werden muss trotzdem
Sorgenvoll blicken Betroffene auch auf die Entwicklung der Energiepreise in diesem Winter. Norbert Endres, Energieberater für die Verbraucherzentrale Bayern, prognostiziert: "Für die, die keinen zu langen Laufzeitvertrag unterschrieben haben, wurde Gas in den letzten Monaten meist günstiger angeboten." Aber: "Weil wir ja nicht wissen, wie hart der Winter wird und wie hoch die Nachfragesituation wird, ist es noch unklar, ob es eine Preissteigerung geben wird. Zunächst sieht es aber gut aus."
Die Gasspeicher seien zu 99 Prozent gefüllt und auch die neuen Flüssiggasterminals sind schon teilweise im Regelbetrieb. Deswegen können laut Endres die Preise auf dem Markt nicht im selben Maße anziehen wie noch vor gut einem Jahr. Auch das angekündigte Ende der Energiepreisbremse sollte dem Energieexperten zufolge kein Problem sein: "Die Preise für Neukunden sind weit unterhalb die Gaspreisbremse, zwölf Cent pro Kilowattstunde, gefallen. Damit ist die Bremse ohnehin nicht mehr aktiv." Eine Rückkehr zu Vor-Krisen-Zeiten sei jedoch auch nicht zu erwarten: "Die Preise von günstigen und seriösen Anbietern haben sich über die letzten zwölf Monate im Schnitt annähernd halbiert, aber sind etwa auf dem doppelten Niveau wie zu Zeiten, als der Großteil des Gases aus Russland kam", sagt Endres.
Damit ein Haushalt möglichst wenig von hohen Energiepreisen gepeinigt ist, hat die Verbraucherzentrale Bayern mehrere Tipps parat:
- Die goldene Regel: Den Anbieter wechseln und sich nicht an lange Laufzeiten und Kündigungsfristen fesseln. Maximal Verträge von zwölf Monaten abschließen. Den Wechsel empfiehlt auch das Vegleichsportal Verifox, denn die Preisunterschiede zwischen den örtlichen Gasversorgern seien nach wie vor hoch.
- Intelligent heizen: "Ich mache viele Hausbesuche, da ist das ganze Haus beheizt", sagt Endres. Deshalb gilt die wenigen Räume zu erwärmen, die auch wirklich bewohnt werden. Bei Abwesenheit oder im Schlafzimmer reicht oft 16 Grad, um Schimmelgefahr zu vermeiden. Und: Zimmertüren verschließen, damit die warme Luft nicht mit ihrer Feuchtigkeit in kühlere Räume flüchten kann.
- Technische Mängel beseitigen: Heizkörperthermostate nach 20 Jahren erneuern und gegebenenfalls digitalisieren. Undichte Fenster, Türen und Dachluken abdichten.
- Die Heizung optimieren: Das heißt, mithilfe der Anleitung oder dem Fachbetrieb die Heizkurve richtig am vorhandenen Heizkessel bzw. an der Heizungsregelung einstellen.
- Nicht mit dem Sparen aufhören: Endres rät auch dazu, weiterhin die Verbrauchsentwicklung zu beobachten: "Man sollte nicht denken, weil die Preise nachgelassen haben, jetzt wieder alles gemacht werden kann wie früher."