Wiesn-Messerstecherei: 4,5 Jahre Haft für Millionärs-Verlobte

Kurz bevor das Oktoberfest 2016 beginnt, ist in einem Fall von der Wiesn 2015 das Urteil gesprochen worden. Nach einer merkwürdigen Tat und einem denkwürdigen Prozess inklusive eines gekauften Zeugen steht nun das Urteil gegen die 34 Jahre alte Verlobte eines Hamburger Multimillionärs fest.
München – Bereits die Tat an sich war eine merkwürdige Verkettung aus Rassismus, Beleidigungen, einem Gewaltausbruch und einem anschließenden Party-Besuch. Der Prozess schließlich ließ die Angelegenheit endgültig zu einem Schauspiel verkommen, das wie das Produkt eines schlechten Hollywood-Drehbuchautors wirkt. Am Ende ist die Hauptdarstellerin und -angeklagte zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden.
Rückblick: Gleich am Eröffnungswochenende des letztjährigen Oktoberfestes kommt es im Käferzelt zu einem folgenschweren Streit. Simone V. (Name geändert), Verlobte eines Hamburger Selfmade-Millionärs, feiert dort unter anderem mit Patrick Owomoyela. Bereits im Zelt beschimpft ein Lkw-Fahrer den ehemaligen Fußball-Nationalspieler mehrfach rassistisch, nennt ihn unter anderem "Bimbo", "Scheißneger" und "Flüchtling".
Gegen 1 Uhr eskaliert die Situation dann vor dem Zelt. Die Gruppe um Simone V. trifft erneut auf den Lkw-Fahrer, man gerät sofort wieder in Streit. Er beschimpft die Angeklagte als "Hure" und "Nutte", wird angeblich zunehmend aggressiv. Der Mann packt V. laut deren Aussage an der rechten Schulter. Sie versucht vergeblich, sich zu befreien. "Ich weiß nicht, wie ich diese Angst beschreiben soll, aber es war einfach schrecklich", gibt sie später vor Gericht zu Protokoll.
Erst sticht sie zu - dann geht sie zum Tanzen ins P1
In der Situation sei ihr plötzlich das Messer in ihrer Handtasche eingefallen. Das sei schon länger dort gewesen, seit ihrem Urlaub in London, weil die Stadt ja "ein gefährliches Pflaster" sei. Es ist ein kleines Messer, dunkel, mit einer acht Zentimeter langen Springklinge. Sie habe es mit einer Hand aus der Tasche geholt und zugestochen. "Meine Hand ging einfach nur seitlich", sagt V.
Der Lkw-Fahrer konnte das Messer vorher nicht sehen. Für die Staatsanwaltschaft ist das Heimtücke, ein Mordmerkmal. Für V. und ihre Verteidiger der Akt einer Frau in Panik. Sie habe keinen Widerstand gespürt, sagt V., gar nicht gemerkt, dass sie den Mann tatsächlich getroffen habe. Sie sei dann weggelaufen.
Ihr Weglaufen führt sie, gemeinsam mit Freunden, in die Nobel-Disco P1. Auf dem Weg dahin wirft sie irgendwo das Messer weg, die Freunde haben offenbar von alledem nichts mitbekommen. Und V. spricht auch mit niemand über den Vorfall. Sie sei eben so ein Mensch, der alles in sich hineinfrisst.
Erst als sie am folgenden Tag erfährt, dass ihr Opfer ins Krankenhaus musste, redet sie – und stellt sich der Polizei. Der Lkw-Fahrer liegt zu diesem Zeitpunkt noch auf der Intensivstation, er hat in Folge des Angriffs zwei Liter Blut und seine Milz verloren.
Ein Professor, der auf Leichen einschlägt und ein Zeuge, der gar nicht dabei war
Ende Mai 2016 kommt es dann in München zum Prozess – und der ist voller kurioser Zwischenfälle. Ein Gutachter, den V. privat bestellt hat, bescheinigt, dass Verletzungen am Hals des Opfers nicht zwangsläufig von einem zweiten Messer-Angriff stammen müssen, sondern auch durch die "Stiletto"-Fingernägel der Angeklagten verursacht worden sein könnten. Um das zu beweisen hatte sich der Rechtsprofessor selber solche künstlichen Fingernägel aufgeklebt und an einer Leiche ausprobiert.
Naben Patrick Owomoyela wird auch noch dessen ehemaliger Nationalmannschafts-Kamerad Jens Lehmann als Zeuge geladen. Lehmann war an jenem Abend mit Simone V., ihrem Verlobten und weiteren prominenten Gästen im Käferzelt. Eingeladen hatten ihn und seine Frau der Verlobte von V. Doch vor Gericht erweist sich Lehmann als völlig unbrauchbarer Zeuge – er verließ die Feier bereits drei Stunden vor der eigentlichen Messerstecherei. Im Gerichtssaal ist er sichtbar angefressen darüber, dass er dennoch in den Prozess mit hineingezogen wurde.
Der Verlobte kauft einen Zeugen auf Mallorca - und wandert in den Knast
Seinen unrühmlichen Höhepunkt erreicht der Prozess gegen V. Ende Juli. An einem Dienstag hat ein vermeintlicher Entlastungszeuge seinen großen Auftritt. Der Schweizer hatte sich erst während des Prozesses bei der Verteidigung gemeldet und stellt mit seiner Aussage plötzlich den gesamten bisher ermittelten Tathergang in Frage. Er will beobachtet haben, wie das spätere Opfer V. vor dem verhängnisvollen Messerstich tätlich angegriffen hat, sie sogar gegen den Kopf geschlagen habe. Der Messerstich sei daher eine klare Notwehrhandlung gewesen.
Die Staatsanwaltschaft glaubt ihm nicht – und lässt ihn noch im Gerichtssaal wegen des Verdachts der uneidlichen Falschaussage verhaften. In der Untersuchungshaft bestätigt sich dieser Verdacht dann: Der Schweizer gibt an, von V.s Verlobtem auf Mallorca als Zeuge gekauft worden zu sein, 100.000 Euro habe er dafür erhalten. Weitere 100.000 Euro sollte es im Falle eines Freispruchs geben.
Der Verlobte hat diese Tat inzwischen zugegeben, auch er saß deshalb kurzzeitig in Haft und darf sich nun noch auf ein gesondertes Verfahren wegen Anstiftung zur Falschaussage einstellen. Die Angeklagte selbst soll von dem Zeugen-Kauf nichts gewusst haben – und auch ihr Verteidiger war offenbar nicht eingeweiht.
"Lassen Sie diese Mutter zu Ihren Kindern!"
Am Ende lässt sich der Vorwurf des versuchten Mordes gegen V. nicht aufrechterhalten. Staatsanwältin Melanie Lichte fordert in ihrem Plädoyer fünf Jahre Haft. Lichte war durch den Prozessverlauf zu dem Schluss gekommen, dass keine Heimtücke bei dem Messerangriff vorlag. Das Mordmerkmal fehlt, also plädiert die Anklägerin nur noch auf versuchten Totschlag.
Notwehr will sie gleichwohl nicht gelten lassen. Das Opfer habe durch rassistische Bemerkungen den Streit mitprovoziert. Aber es war unbewaffnet und hatte das Messer auch nicht kommen sehen. Außerdem erfolgte der Stich der Frau in den Rücken. Um einen Angriff des Mannes abzuwehren wäre aber nach Überzeugung von Lichte ein Stich nach vorne, gegen die Brust, wahrscheinlicher gewesen.
Verteidigerin Annette Voges hingegen hofft auf einen Freispruch. "Lassen Sie diese Mutter zu Ihren Kindern!", appelliert die Rechtsanwältin an das Gericht. Ihre Mandantin habe ihren Kontrahenten lediglich aus Notwehr verletzt.
Simone V. war während des gesamten Prozesstages anzumerken, dass sie die Untersuchungshaft und die Aussicht auf Verlängerung ihres Aufenthalts im Gefängnis sehr mitnahm. Immer wieder schluchzt sie während der Plädoyers von Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Verteidigung kurz auf und wischt sich mit einem Papiertaschentuch die Tränen aus den Augen.
Richter: "Sowas habe ich in 27 Jahren nicht erlebt"
Am Mittwoch dann das Urteil: Das Gericht verurteilt Simone V. wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu vier Jahren und sechs Monaten Gefängnis!
Das Gericht glaubte den Ausführungen der Verteidigung kein Wort. Vielmehr prangerte der vorsitzende Richter Norbert Riedmann die unprofessionellen Methoden der Verteidigung an. "Ich habe in 27 Jahren nicht erlebt, dass ein Anwalt die professionelle Distanz zu seiner Mandantin derart verliert", sagte Riedmann nach der Urteilsverkündung.
Bei der Strafzumessung wertete das Gericht zugunsten der Angeklagten insbesondere deren glaubhaft geäußerte Reue und Schuldeinsicht, ihre alkoholbedingte Enthemmung zum Tatzeitpunkt und die massiven Provokationen von Seiten des Geschädigten, die dem Tatgeschehen vorausgegangen waren. Straferschwerend wirkten sich aus Sicht der Kammer demgegenüber die schweren Verletzungen des Geschädigten aus, der sich in konkreter Lebensgefahr befunden hatte.
Das Urteil ist mittlerweile rechtskräftig.