Messerscharfe Fingernägel und ein zu guter Zeuge
München Die Stunde der Sachverständigen hat geschlagen: Das heißt, der Prozess gegen Simone V. (34, Name geändert) ist gestern in die Schlussphase gegangen. Der Frau wird versuchter Mord vorgeworfen.
Rückblick: Sie hatte am 19. September auf der Wiesn vor dem Käferzelt im Streit einen Kraftfahrer mit einem Taschenmesser die Milz durchstochen. In Notwehr wie ihre Verteidiger sagen. Eine Notoperation rettete das Leben des Mannes.
Der im Mai gestartete Mordprozess nimmt inzwischen Züge einer Materialschlacht an. Die Verlobte eines Hamburger Millionärs hatte sogar ein eigenes privates Gutachten beim Chef der Hamburger Rechtsmedizin, Klaus Püschel, in Auftrag gegeben. Der erklärte nun dem Gericht, dass die Verletzung am Hals des Opfers möglicherweise nicht vom Taschenmesser von Simone V. stammt.
Das ist aber genau die Tatversion der Anklage: Erst schnitt Simone V. ihr Opfer am Hals, dann stach sie mit Wucht in den Bauch. Püschel hat nun herausgefunden, dass die besonders spitzen „Stiletto“-Fingernägel der Angeklagten die Halswunde genauso gut verursacht haben können. Das würde gut zu der Notwehr-Version der Angeklagten passen, dass sie wild herumgefuchtelt habe, um den Mann abzuwehren.
Um das zu klären, hatte sich der Professor selber solche künstlichen Fingernägel aufgeklebt und an einer Leiche ausprobiert. Was er dort an Wunden erkennen konnte, entspräche dem ersten Bild, dass man von der Halswunde gemacht hat.
Gefälligkeitsaussage eines neuen Zeugen?
Eine Leiche als Testobjekt? Das fand der Vorsitzende Richter Norbert Riedmann ein wenig „befremdlich“. „Ich hatte mir das Einverständnis eingeholt“, erwiderte Püschel.
Staatsanwalt Laurent Lafleur hakte beim Professor nach. Könne die Wunde auch durch ein Messer entstanden sein? „Kann auch sein“, erklärte der Gerichtsmediziner.
Zu der lebensgefährlichen Milz-Verletzung – das Opfer hatte zwei Liter Blut verloren – sagte Püschel, dass man dafür bei einem scharfen Messer nicht viel Kraft brauche: „Da reicht die Kraft, die meine Enkel aufbringen. Und die sind keine zehn Jahre alt.“ Allerdings: Bei einem nicht so scharfen Messer bräuchte man mehr Kraft. Zumal das Opfer bei der Tat Hemd und Pullover getragen hatte. Wie scharf das Messer tatsächlich war? Das weiß keiner. Simone V. hatte die Waffe weggeworfen.
Am Vortag war es im Gerichtssaal zu einem Eklat gekommen. Bei der Verteidigung hatte sich ein Zeuge aus Zürich gemeldet, der gesehen haben will, wie das Opfer der Messerattacke die Angeklagte angegriffen habe.
Staatsanwältin Melanie Lichte fand seine Aussagen widersprüchlich. Sie ließ ihn zur Verblüffung der drei Verteidiger noch im Gerichtssaal festnehmen und beantragte einen Haftbefehl wegen uneidlicher Falschaussage. Ob sie damit Erfolg beim Haftrichter hatte, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.
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