Überstunden-Berg in der Münchner Gastronomie? Rege Debatte um neue Zahlen

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) hat eine Erhebung in Auftrag gegeben: Demnach leisteten Gastro-Beschäftigte in München im vergangenen Jahr rund 450.000 Überstunden, viele davon ohne Bezahlung.
Guido Verstegen
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Personalmangel in der Gastronomie, und das nicht nur bei den Fachkräften. Mit Blick auf die Überstunden warnt die NGG München: Hotellerie und Gastronomie können nicht dauerhaft auf die Goodwill-Überstunden ihrer Beschäftigten bauen.
Personalmangel in der Gastronomie, und das nicht nur bei den Fachkräften. Mit Blick auf die Überstunden warnt die NGG München: Hotellerie und Gastronomie können nicht dauerhaft auf die Goodwill-Überstunden ihrer Beschäftigten bauen. © Peter Kneffel/dpa

München - Es sind alarmierende Zahlen: Rund 18,37 Millionen Überstunden haben die Menschen in München 2022 am Arbeitsplatz zusätzlich geleistet, davon 11,69 Millionen Arbeitsstunden zum Nulltarif. Allein in der Gastronomie leisteten die Beschäftigten einer Erhebung zufolge rund 450.000 Überstunden, 183.000 davon ohne Bezahlung.

"Goodwill-Überstunden": Saugt die Gastro-Branche in München ihr Personal aus? 

Das geht aus dem sogenannten "Überstunden-Monitor" hervor, den das Pestel-Institut im Auftrag der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) ermittelt hat. Die Wissenschaftler werteten dabei aktuelle Mikrozensusdaten aus, Basis der Überstunden-Berechnung ist die Übertragung von Branchen-Durchschnittswerten auf die Beschäftigungsstruktur von München.

"Hotellerie und Gastronomie können nicht dauerhaft auf die Goodwill-Überstunden ihrer Beschäftigten bauen", warnt Tim Lünnemann, Geschäftsführer der NGG München.

"Das Gastgewerbe erlebe gerade einen regelrechten Fachkräfte-Schwund und Mini-Job-Schub", sagt Tim Lünnemann, NGG-Geschäftsführer Region München. "Die Branche versucht, fehlende Fachkräfte immer häufiger durch angelernte Beschäftigte zu ersetzen."
"Das Gastgewerbe erlebe gerade einen regelrechten Fachkräfte-Schwund und Mini-Job-Schub", sagt Tim Lünnemann, NGG-Geschäftsführer Region München. "Die Branche versucht, fehlende Fachkräfte immer häufiger durch angelernte Beschäftigte zu ersetzen." © Gewerkschaft NGG

Gastronom Schottenhamel zu Überstunden: "Das ist ein Geben und Nehmen"

Michael F. Schottenhamel – der Wiesnwirt baut gerade die Emmeramsmühle um, eröffnet 2024 ein Lokal am Elisabethmarkt und führt mit Peter Kinner auch die Schlosswirtschaft Schwaige und den Weichandhof – sieht das etwas anders. "Ich kann das nicht bestätigen, die Mitarbeiter haben in der Regel genaue Vorstellungen, wie viel und wann sie arbeiten möchten. Das ist ein Geben und Nehmen", sagt er der AZ.

Überstunden seien bei ihm kein Thema. Demnach würden sie sich auch nicht für die Arbeitnehmer lohnen, die letzte Überstunde sei steuerlich gesehen die mit den meisten Abgaben. Klar sei: "Es fehlt weiter an Personal in der Gastronomie – für die Emmeramsmühle spreche ich daher gezielt auch ehemalige Mitarbeiter an."

Lünnemann schmerzt ein Ergebnis der Studie besonders: "Alle Beschäftigten zusammengenommen haben den Unternehmen in München durch unbezahlte Mehrarbeit rund 168,28 Millionen Euro quasi 'geschenkt'. Und das ist schon äußerst sparsam – nämlich nur auf Mindestlohn-Basis – gerechnet."

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Münchner Küchenchef zu Überstunden: "Letztlich ist das Steuerhinterziehung"

Manfred F. (Name geändert), Küchenchef in München, berichtet der AZ, dass ihm sein Arbeitgeber gerade zum zweiten Mal in diesem Jahr 50 Überstunden gestrichen habe. "Ich mache die Überstunden gerne, wir tun das alles für den Gast, und ich helfe im Krankheitsfall auch gerne aus. Aber irgendwann reicht es", sagt der 55-Jährige. Er habe noch einen alten Vertrag von 2007, da basiere vieles auf gegenseitigem Vertrauen: "Aber ich habe meinem Chef schon gesagt, dass er vorsichtig sein muss, denn letztlich ist das ja Steuerhinterziehung."

Dehoga-Geschäftsführerin Warden kritisiert: "Die Zahlen sind nicht überprüfbar" 

Sandra Warden, Geschäftsführerin Arbeitsmarkt und -recht, Soziales und Berufsbildung beim Dehoga Deutschland zweifelt die Aussagekraft der Erhebung an. "Die Studie ist nicht veröffentlicht worden, und die Zahlen sind so nicht überprüfbar. Es handelt sich da um auf verschiedene Regionen in Deutschland hochgerechnete Zahlen", sagt sie der AZ.

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Das Problem vieler Überstunden sieht sie angesichts der Personalnöte durchaus. Die Arbeitgeber seien auf die zeitliche Flexibilität der Mitarbeitenden angewiesen und dankbar, "wenn mal wieder jemand einspringt". Und sie ergänzt: "Der Ausgleich von Überstunden in Zeit oder Geld ist gesetzlich und tariflich klar geregelt. Verstöße können wir nicht zu 100 Prozent ausschließen. Aber in der derzeitigen Lage kann sich das kein Chef erlauben. Das Betriebsklima würde empfindlich gestört."

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  • Hausgeist am 03.11.2023 17:52 Uhr / Bewertung:

    Kurze Antwort: Ja,aber es gibt bei den Brauereien wie bei den Wirten doch grosse Unterschiede…beste Brauerei als Verpächter:Augustiner
    Zu meiner Zeit in der Münchner Gastro war der härteste aber auch fairste Wirt der Eichmeier,der schlimmste da eigentlich Autohändler war auf jeden Fall der alte Stiftl,der würde für sein grosses Wiesnzelt auch seinen Erstgeborenen versetzen…

  • Max Merkel am 03.11.2023 15:18 Uhr / Bewertung:

    Und die Gastro-Chefs werden immer reicher und reicher. Je reicher sie werden umso mehr jammern sie. Der Schottenhamel ist ja der geborene Ausbeuter!!!!

  • Wolff am 03.11.2023 14:31 Uhr / Bewertung:

    Nach meiner Meinung fehlt es nicht an Personal, sondern an hochwertiger Gastronomie bzw. einer überfälligen Bereinigung der Branche. Für aufgetaute TK-Ware, Dosen- oder Plastikfraß muss ich nicht ins Restaurant, die kann ich wesentlich günstiger auch zu Hause haben. Und wenn diese ganze Pseudo-Gastro mal verschwunden wäre, gäbe es für den Rest auch genug Personal.

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