Standesamt-Chef aus München verrät: Das sind die häuftigsten Fehler bei der Heirat
München - Gerhard Benedikt ist der oberste Standesbeamte Münchens mit etwa 40 Jahren Berufserfahrung. Mehr als 7.000 Paare hat er bereits getraut. Da erlebt man natürlich so einiges. Ein Gespräch über Ehe, Gefängnisse und Kirchenaustritte an der Ruppertstraße
AZ: Herr Benedikt. Wären Sie nicht Standesbeamter geworden...
GERHARD BENEDIKT: ...wäre ich ziemlich sicher Lehrer.
Woran ist die Lehrerkarriere gescheitert?
Anfang der 80er war oft die Rede von der Lehrerschwemme. Und am Ende hatte man keine Jobgarantie.
Standesamt-Chef Gerhard Benedikt im Interview: So wird in München geheiratet
Warum Standesbeamter?
Man ist hier als Mitarbeiter der Stadt unabhängiger. Auch der tägliche Kontakt zu den Münchnern war für mich ein schöner und auch spannender Gedanke. Ich wollte mit Menschen zu tun haben. Daher landete ich hier im Herbst 1984, beim damaligen Standesamt III.
Was ist dort Ihr erster Job gewesen?
Sachgebiet Sterbebüro.
Leben und Sterben ist ziemlich nah beieinander im Standesamt oder?
Geburt, Ehe oder auch der Tod: Das alles gehört zum Leben dazu. Wie gesagt, ich liebe den Publikumskontakt. Früher war ja viel mehr Publikumsverkehr, weil nichts digital gewesen ist, wie etwa die Anzeige der Geburt. Das geschieht heute fast ausschließlich automatisch. Außer bei wenigen Hausgeburten.

Wie ist das für Sie emotional? Sie treffen auf Menschen, die todtraurig sind oder auch maximal glücklich, dazwischen ist nicht viel.
Es wird nie Routine, jede Familiensituation ist einzigartig. Natürlich schätze ich die glücklichen Momente.
"Jedes Mal etwas Besonderes": So viele Ehen hat der Chef des Münchner Standesamts geschlossen
Wie oft haben Sie schon Ehen geschlossen?
7.279 Mal.
Das wissen sie so genau?
Freilich. Und es ist jedes Mal etwas Besonderes, bis heute.
Führen Sie denn als Leiter des Amtes noch heute Trauungen durch?
Etwa 50 pro Jahr. Ich bin Standesbeamter aus Leidenschaft. Diesen repräsentativen Teil lasse ich mir nicht nehmen. Die Menschen sind da zu 99,9 Prozent bestens gelaunt, festlich gekleidet. Ich darf daran mitwirken und werde dafür auch noch bezahlt (lacht). Ich verlasse einen Trausaal immer mit einer besseren Laune als vorher.
Nur zu 99,9 Prozent?
Nun, es gibt ja Eheschließungen, die nicht im Standesamt stattfinden. Das sind dann eher nüchterne bis traurige Anlässe.
Wie meinen Sie das?
Wenn Menschen in der Klinik am Krankenbett heiraten oder in der Justizvollzugsanstalt. Da tun wir auch ein gutes Werk, aber die Schicksale dahinter sind natürlich oft nicht so schön.
Sie meinen Leute, deren Lebensende zu erwarten ist?
Genau, wir dürfen eigentlich nur ins Krankenhaus gehen, wenn die Personen an einer lebensbedrohlichen Erkrankung leiden, deren Eheschließung keinen Aufschub mehr duldet.
Hochzeit am Krankenbett: Wenn der Partner plötzlich krank wird
Was treibt die Leute am Krankenbett an zu heiraten?
Sie wollen oft etwas regeln, stellen sich Fragen. Wie geht es mit der Wohnung weiter – auch, wenn ich wieder gesund werde? Es geht häufig um das volle Auskunftsrecht bei Ehegatten. Oft spielt das Erbrecht eine Rolle, das eine Ehe mit sich bringt, Rentenansprüche, Versorgung... Häufig ist es so, dass Leute sehr lange zusammen leben und der Partner plötzlich schwer krank wird.
Wie oft wird am Krankenbett geheiratet?
Im Jahr 2023 hatten wir 24 Eheschließungen außerhalb des Amtes. Das sind zu 90 Prozent Trauungen in Krankenhäusern.
Haben Sie in Gefängnissen getraut?
Natürlich. Der Regelfall ist, dass die Standesbeamten in die JVA gehen. Das sind interessante Erfahrungen.
Welche?
Bis man da die Sicherheitsschleusen überwindet, drin ist im Besuchszimmer, in dem die Trauungen stattfinden, da wird einem erst bewusst, wie unfrei das Leben dort ist. Wenn man dann wieder rauskommt, ist das ein befreiendes Gefühl. Das war vor allem bei meinen ersten Trauungen in der JVA so.
Standesamt-Chef verrät: Warum sich Gefängnis-Insassen in München trauen lassen
Was sind die Motive, sich im Gefängnis noch trauen zu lassen?
Das Hauptmotiv ist und sollte unbedingt Zuneigung sein.
Aber dann könnte man warten, bis man wieder draußen ist.
Wenn Insassen in der Untersuchungshaft sind oder noch nicht verurteilt, hat man als verheirateter Mensch eine bessere Sozialprognose. Das kann Auswirkungen auf das Strafmaß haben, soweit ich das verstanden habe. Und Ehegatten haben natürlich viel bessere, längere Besuchsrechte.
Können sich quasi Ehepaare in Gefängnissen in einen privaten Raum zurückziehen?
Ich denke, das ist ein Mythos aus Fernsehkrimis. Die Paare sind eigentlich ständig unter Aufsicht. Aber da müsste man nochmal beim Justizvollzug nachfragen.
Wie viele Ehen werden jährlich in München geschlossen?
Ich habe die Zahlen von 2023. Beim Standesamt München waren es 3.920 heterosexuelle Ehen, in Pasing 450. Gleichgeschlechtliche Ehen: in München 192, in München-Pasing 21.
Finden in den letzten Jahren mehr Trauungen statt?
Das stagniert auf hohem Niveau. Wir haben seit Jahren etwa 4.500 bis 4.600 Eheschließungen jährlich, in ganz München. Im Corona-Jahr 2022 sind es 4.425 Ehen gewesen. Das war eher wenig.
Hochsaison und größte Fehler: Der Münchner Standesamt-Chef teilt sein Expertenwissen
Also etwa 17,5 Ehen pro Werktag.
Es variiert, je nachdem, an welchem Wochentag Sie heiraten. Der Lieblingstag ist Freitag oder auch der Donnerstag. Da finden die meisten Trauungen statt. Vormittags, nachmittags, Ruppertstraße 11, Mandlstraße 14, Pasing, den ganzen Tag wird geheiratet, alle 15 Minuten.
Wie viele Ehen werden in der Hochsaison geschlossen?
An einem normalen Freitag, wenn die Hauptsaison beginnt ab April und Mai, führen wir 20 Eheschließungen in der Ruppertstraße durch, 18 in der Mandlstraße und acht bis zehn in Pasing. Sie sehen, an einem Freitag ist es unwahrscheinlich, dass man das einzige Hochzeitspaar ist. Aber auch im Dezember haben wir hohen Andrang.
Warum denn im Dezember?
Weil die Paare sich längst für eine Ehe entschieden haben und den steuerlichen Vorteil fürs ganze Jahr bekommen.
Gibt es Kardinalfehler, die man machen kann?
Ach, das nimmt alles seinen Lauf. Jeder hat schon mal einen Hollywood-Film gesehen. Jeder weiß, dass man da irgendwann ja sagen sollte. Da wissen die meisten im Groben Bescheid.
Wie oft wird Nein gesagt?
Ich hatte das Glück, dass bei meinen Trauungen alle ja gesagt haben. Es ist die große Ausnahme. Aber es kommt immer wieder vor, dass jemand Nein sagt. Einer Kollegin passierte es mal. Da sagte der Bräutigam, er könne sich noch nicht binden und verließ den Trausaal. Was aber schon öfters vorkommt, ist, dass der Termin verschoben oder abgesagt wird, wegen Krankheit oder weil sich das Paar entschieden hat, sich doch noch Zeit zu lassen.
"Humor ist nicht angebracht": Was man bei der Trauung vermeiden sollte
Was sollte man nicht tun?
Humor ist nicht angebracht, wenn etwa jemand halb im Spaß "Nein" sagt, weil er oder sie das besonders witzig findet. Davon rate ich ab. Es soll eine ernstgemeinte Willenserklärung sein.
Wie würden Sie da reagieren?
Ich würde sofort abbrechen, dem Paar kurz Zeit geben und fragen, ob man bereit wäre für eine ernsthafte Willenserklärung. Bei mir bekommt jeder eine zweite Chance.
Spüren Sie die Nervosität?
Selbstverständlich. Viele reden dann sehr schnell.
Seit Oktober 2017 gibt es die gleichgeschlechtliche Ehe. Wie war es für Sie als Standesbeamter, Ihre erste gleichgeschlechtliche Ehe zu schließen?
Sehr interessant, es waren zwei Frauen. Ich war selbst etwas nervös, musste meine Automatismen hinterfragen. Wie spreche ich die Leute an? Ich durfte nicht durcheinanderkommen. Eine große Bereicherung. Mir ist bewusst geworden, wie groß die Diskriminierung zuvor war. Man sieht und spürt dieses Glück. Bemerkenswert fand ich, wie viele Kollegen sich ab Oktober 2017 geoutet haben. Eine Erlösung, sie konnten endlich sein, wie sie sind. Ich war sehr froh darüber.
Gibt es kulturelle Eigenheiten?
Natürlich. Da bringt jeder seinen unmittelbaren Freundeskreis mit. Die vielen unterschiedlichen Kulturen - unheimlich spannend. Bei italienischen und türkischen Hochzeiten ist der Saal immer übervoll, zum Beispiel. Sonst ist meist der engste Kreis der Familie da.
Die kurioseste Trauung des Münchner Standesamt-Chefs
Wenn jetzt im Moment ein Paar im Saal wäre, könnten Sie Ihren Text bestimmt spontan abrufen. Können Sie mal so tun?
Sehr geehrtes Brautpaar, liebe Anwesende. Zur Eheschließung begrüße ich Herrn, Frau... sowie alle Anwesenden. Als Trauzeugen begrüße ich...
Wir haben uns heute zusammengefunden?
Nein. Sie beiden haben sich entschlossen, künftig Ihr Leben gemeinsam zu gestalten... Das sind in etwa die ersten Einleitungssätze.
Wie kleiden sich die Leute bei der Trauung?
Zu über 90 Prozent sehr festlich. Hochwertige Trachten sind im Trend, gerade zur Wiesn-Zeit. Ein Schaulaufen. Spektakulär.
Ausnahmen?
Einmal habe ich ein Burgfräulein und einen Ritter getraut. Er fragte im Vorfeld, ob er einen Säbel mitnehmen dürfte. Ich bin zwar kein Waffenexperte, aber ich habe ihn gebeten, den Säbel zur Sicherheit zu Hause zu lassen. So etwas bleibt natürlich im Gedächtnis. Früher gab es Rockerhochzeiten in Leder. Aber das hat stark abgenommen. Es gibt ja auch deutlich weniger Motorrad-Gangs.
Wie viele Standesbeamte gibt es in München?
55.
Ein Großteil Beamtinnen?
Ja, zu 90 Prozent.
Woher kommt das?
Es ist auch eine Entwicklung im Öffentlichen Dienst. Diese Büroberufe sind weiblich dominiert. Es bewerben sich überwiegend Frauen.
Thema Kirchenaustritte. Nehmen Sie zu, ebben sie wieder ab?
Wird ein Missbrauchsskandal bekannt, steigen die Zahlen sofort. 2010 etwa hatten wir 12.305, im Jahr 2022 hatten wir 26.680 Austritte, 2023 waren es wieder unter 20.000. Wir haben da Sonderschichten am Nachmittag geschoben. Es finden Austritte im Fünf-Minuten-Takt statt. Das ist sehr herausfordernd.
Das sind pro Werktag teils mehr als 100 Austritte.
Schon Wahnsinn, ja.
- Themen: