"Wintergarten" am Elisabethmarkt: Zu Besuch in Schwabings letztem Idyll

In Schwabing gibt's bloß noch Schickimicki? So ein Schmarrn. Ein Besuch im Augustiner-Mini-Wirtshaus "Wintergarten" am Elisabethmarkt, wo im Biergarten die Gäste hocken, die immer da hocken.
Irene Kleber, Bernd Wackerbauer |
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Auch wurschtlos glücklich: Walter (78), Jochen (82) und Ferdinand (67) gehören zum Stammtisch, der sich fast täglich zum Vormittags-Augustiner im Schwabinger "Wintergarten" trifft.
Auch wurschtlos glücklich: Walter (78), Jochen (82) und Ferdinand (67) gehören zum Stammtisch, der sich fast täglich zum Vormittags-Augustiner im Schwabinger "Wintergarten" trifft. © Bernd Wackerbauer

Schwabing - Jetzt haben sie auch noch diesen gelben Bauzaun hingeschraubt. Mannshoch, sodass man von der Nordendstraße her gar nicht mehr hereinschauen und sehen kann, dass das winzige Augustiner-Wirtshaus "Wintergarten" am Elisabethplatz geöffnet ist.

Als wenn das Hämmern und Stauben von der Baustelle nebenan, wo ein Neubau entsteht und die Marktstandl vom Elisabethmarkt neu gebaut werden, nicht lästig genug wäre für die Biergartengäste.

Augustiner-Wirtshaus am Elisabethplatz: Es kommen vor allem Leute ohne Balkon

Andererseits ist das so schlimm jetzt auch wieder nicht, findet Wirt Ignaz Schmid (49), der als Wiesnwirt (Heimer Entenbraterei) Langmut quasi in den Genen hat. "Wenn's staubt", sagt er, "dann legen die Stammgäste ihre Bierfuizl einfach oben auf ihr Helles drauf, bis sich die Staubwolke verzogen hat."

Das Mini-Wirtshaus am Elisabethplatz führt Ignaz Schmid (49), der seit 30 Jahren Wiesnwirt ist mit seiner Heimer Enten- und Hühnerbraterei.
Das Mini-Wirtshaus am Elisabethplatz führt Ignaz Schmid (49), der seit 30 Jahren Wiesnwirt ist mit seiner Heimer Enten- und Hühnerbraterei. © Bernd Wackerbauer

50 Leute sind das jeden Tag, die eigentlich immer da sitzen. Nachbarinnen, alleinstehende Akademiker, Rentner, Künstler, Vor-Mittagspäusler. Leute ohne Balkon vor allem, von denen gibt es ja viele in Schwabing.

Weißwurst kostet im "Wintergarten" seit 15 Jahren nur einen Euro

Was viele herlockt, ist der schöne Umstand, dass die Weißwurstpreise im "Wintergarten" die gnädigsten in ganz München sind. Exakt nur einen Euro kostet das Stück Weißwurst seit 15 Jahren, wenn man vor 12 Uhr schon da ist (danach 2,80 Euro).

Die Weißwürscht vom Metzger Magnus Bauch gibt's seit 15 Jahren für 1 Euro das Stück, wenn man vor 12 Uhr da ist. Und der Preis bleibt so.
Die Weißwürscht vom Metzger Magnus Bauch gibt's seit 15 Jahren für 1 Euro das Stück, wenn man vor 12 Uhr da ist. Und der Preis bleibt so. © Bernd Wackerbauer

Vom Traditionsmetzger Magnus Bauch, wohlgemerkt, kein Billigschmarrn aus dem Supermarkt. Drei Herren an einem Gartentisch haben gerade 15 Stück bestellt.

Wirtshaus "Wintergarten": Ein Ort, an dem sich Gemeinschaften finden

Aber die Weißwurst allein ist es nicht. Das kann man an den Stammtischen schön ablesen. Es ist erst kurz nach 11 Uhr an diesem Donnerstagvormittag, an der Hauswand unterm Fenster hocken sie schon, ganz ohne Würscht: der Walter (78), der mal Unternehmer war, Jochen (73), Elektrotechniker in Rente, und Ferdinand (67), der immer noch Anwalt ist drüben in der Clemensstraße, und der nur kurz vor Mittag herüberschaut.

Am Stammtisch vom Tennisclub Grün-Weiß Luitpoldpark (reserviert!):Hans Czeschka (86), George Wohlfromm (86) und Sigi Dinsel (89).
Am Stammtisch vom Tennisclub Grün-Weiß Luitpoldpark (reserviert!):Hans Czeschka (86), George Wohlfromm (86) und Sigi Dinsel (89). © Bernd Wackerbauer

Jeder hat sein Augustiner Hell auf dem Biertisch, und während die Sonne durch die alten Ahornbäume scheint, von draußen die 28er Tram herbimmelt und die Baustelle wummert, schaut man freundlich und ist schweigsam miteinander.

Zwei, drei Jahrzehnte treffen sich die Herren schon auf dieser Bank, man habe sich halt mal angesprochen, als noch ein jeder ganz allein mit seinem Augustiner dagesessen ist. Irgendwann, erzählt der Jochen, hat dann einer dieses "Stammtisch"-Holzbrettl auf den Tisch gestellt.

Egal, ob man Sechzger oder Bayern-Fan ist: Im "Wintergarten" ist jeder willkommen

Seitdem sitzen alle da, die immer kommen, fünf, zehn, 15 Leute, ihre Nachnamen kennen sie bis heute nicht, heißt's. Mal sagt keiner was, weil der Tag auch so schön ist, wenn man beieinander hockt. Mal geht's um Freunde, um Radlrambos oder um Fußball. Wobei es egal sei, ob man ein Roter oder ein Blauer ist an diesem Stammtisch. Hauptsach, ein Münchner Verein gewinnt, oder?

Drei Meter weiter am Nebentisch rechts, der auch noch zum Stammtisch gehört, sitzt ein ehemaliger Schuldirektor tief über seine Zeitung gebeugt. Die Stirn ist gerunzelt, die Mundwinkel hängen unten, aufschauen mag er nicht, und wenn man noch so freundlich hinlächelt.

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"Dem gefällt heut das Blau vom Himmel nicht", erklärt Walter, und er komme schon noch herüber zu ihnen, wenn er fertig sei mit seinem Zeitunglesen. "Heut wird aber fei nur über positive Sachen geredet, gell", kommt da ein Einwurf vom Nebentisch links, dem anderen Ende des Stammtischs.

Dort lässt sich die Gabi (71) mit ihren heute lilafunkelnden Haaren von der Sonne bescheinen, die Fingernägel hat sie zweifarbig lackiert, pink und violett. Bis zur Rente sei sie veterinärmedizinische Assistentin in der Tierklinik gewesen, erzählt sie, danach war's ihr langweilig, sodass sie Kellnerin geworden ist im Schwabinger Nachtleben.

Gabi (71) kommt auch fast jeden Tag in den Wintergarten. Erinnert sich noch wer an Schampus, den Partylöwen? Er war ihre letzte Liebe.
Gabi (71) kommt auch fast jeden Tag in den Wintergarten. Erinnert sich noch wer an Schampus, den Partylöwen? Er war ihre letzte Liebe. © Bernd Wackerbauer

Ob man sich noch an den Schampus erinnere, na den Jean Baptiste Doerr, den Partylöwen und Koks-König? Der letzte aller Männer, die ihr weggestorben sind, elf Jahre ist das auch schon wieder her.

Am Elisabethmarkt, ist immer noch Baustelle

Trotzdem kein Grund, jetzt Trübsal zu blasen. Sie stimmt ein Lied an, Konstantin Weckers Sommerhymne "Wenn der Sommer nicht mehr weit ist..." Schön singt sie, während eine Taube über den Biergartenkies trippelt. Und wer genau hinhört, kann Gäste mitsummen hören, links, rechts und ganz hinten auch.

Nur ganz vorne am Eingang neben dem Zigarettenautomaten, wo die Tennissenioren vom Luitpoldpark sitzen, geht der Gesang ein bisserl unter. Hier kommt seit den 70er Jahren der Hans (86) mit dem George (86; sprich: Tschortsch) und dem Sigi Dinsel (89) zusammen, der als ehemaliger Tennisfunktionär sogar prominent ist. Zwei Mal die Woche spielen die Herren immer noch Tennis zusammen, und alles, was auf dem Platz nicht ausgeratscht wird, kommt hier, am Stammtisch, auf den Tisch.

Im Augustiner-Wirtshaus "Wintergarten" wird sich einiges ändern

Man ist sich einig im "Wintergarten", dass das bestimmt einmal schön wird, wenn die staubige Baustelle nebenan fertig ist, im Herbst 2024, was man so hört. Wenn die Schwabinger an den neuen Ladenarkaden flanieren und die alten Markthändler, die Käse, Brot und Gemüse noch aus Interims-Containern heraus verkaufen, in die nagelneuen Standl eingezogen sind.

Der Wintergarten war mal das Milchhäusl vom Elisabethmarkt, dann gab's da Kaffee und Kuchen, heute ist es der urigste Biergarten in Schwabing.
Der Wintergarten war mal das Milchhäusl vom Elisabethmarkt, dann gab's da Kaffee und Kuchen, heute ist es der urigste Biergarten in Schwabing. © Bernd Wackerbauer

Schon möglich, dass dann alles ein bisserl geschniegelter und geschleckter wird am neuen Elisabethmarkt, und sich ein ganz neues Publikum in den "Wintergarten" verirrt. Man möchte fast ein bisserl froh sein, dass der gelbe Bauzaun noch eine Weile stehen bleibt.

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  • Gelegenheitsleserin am 26.06.2023 10:35 Uhr / Bewertung:

    Das ist doch mal ein Artikel mit einem erfreulichen Inhalt! Wir sollten den Gästen ihr Vergnügen gönnen - und vielleicht auch selber mal im Wintergarten einkehren. Da sitzt man nämlich wirklich schön (wenn nicht gerade die Baustelle stört ...).

  • Knoedel am 26.06.2023 10:28 Uhr / Bewertung:

    Da sitzen ältere Herren am Tisch und genießen in ihrem hohen Alter das (restliche) Leben mit einem Bierchen. Was gibt's denn da noch schöneres? Obendrein sehen die auch ihrem Alter entsprechend auch noch gut aus. Und was macht der deutsche Durchschnittsbürger wieder mal. Meckern, vergellt Lebensfreude. Da ließt man was von Alkoholiker, Nervengift und weiteren Krampf. Echt furchtbar. Was müssen diese Menschen gelangweilt und unglücklich sein, um diesen Senioren nicht mal mehr das zu gönnen. Da liegt für mich das Problem und nicht an den Herren!

  • Wendeltreppe am 27.06.2023 08:22 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Knoedel

    Danke, Sie haben es auf den Punkt gebracht..

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