München: Wie die Stadt im Nordosten durch "Ungleichgewicht" einen sozialen Brennpunkt erzeugte
München - Die Sonne scheint und ein Brathendlduft hängt in der Luft an diesem Donnerstag, als die AZ das Künstlerduo Simone Egger und Christian Weiß an der U-Bahnstation Hasenbergl trifft. Es ist Markt, Menschen gehen einkaufen, treffen sich auf einen Ratsch – alles nichts Ungewöhnliches.
Auch für die beiden, die hier den leer stehenden U-Bahn-Kiosk im Rahmen eines Kunstprojekts bespielt und so das Viertel näher kennengelernt haben. Das Hasenbergl, das schon lange einen schlechten Ruf hat in der Stadt, das als "Ghetto" und als "sozialer Brennpunkt" verschrien wird.

"Dafür interessiert sich keiner mehr": Warum das Hasenbergl einst die Stadt der Zukunft war
Nicht wie bei anderen U-Bahn-Kiosken, wo für das Zwischennutzungsprojekt eher klassische Kunstausstellungen zu sehen waren, haben Egger und Weiß sich dafür entschieden, hier ohne fertigen Plan zu starten. "Wir wollten selber andere Perspektiven kennenlernen und durch die Gespräche Denkanstöße bekommen", sagt Christian Weiß. Aber: "Es sollte keine Draufsicht sein, sondern wir wollten uns auf Augenhöhe den Menschen nähern."
"Das Hasenbergl wurde in den Sechziger Jahren als Stadt der Zukunft gebaut", sagt Simone Egger, die sich als Künstlerin und als Kulturwissenschaftlerin auch mit kritischer Stadtforschung befasst. "Dafür interessiert sich aber heute keiner mehr."

Wunschkiosk am Hasenbergl: "München ist im Ungleichgewicht"
München ist nach Egger und Weiß "im Ungleichgewicht", was Diskussionen über Stadtentwicklung und auch über Kunst betrifft. Im Hasenbergl zum Beispiel finde "im Verhältnis zum Zentrum kaum etwas statt", es gehe "maximal um den Bereich innerhalb des mittleren Rings".
Der mittägliche Spaziergang durchs Hasenbergl führt über den Dülferanger, eine kaum bespielte grüne Freifläche, gesäumt von Wohnblöcken, ostwärts in Richtung Einkaufszentrum Mira – ein riesiger Quader mit bunter Fassade, der sich als weiterer Vierteltreffpunkt etabliert hat.
"Stadt hat Brennpunkt selber erzeugt": Künstlerprojekt im Hasenbergl
Aber für das Einkaufszentrum wie auch für das neue Kulturzentrum "2411" gilt: "Wesentliche Infrastrukturteile, die das Viertel aufwerten, kamen sehr spät", sagt Egger. Den U-Bahn-Anschluss zum Beispiel gibt es erst seit 1996. Die letzte Tramlinie wurde 1993 eingestellt.

Und: "Man hat Wohnungen mit Sozialbindung alle in ein Gebäude gepackt", sagt Egger. "Damit hat die Stadt den Brennpunkt mitunter auch selber erzeugt." Es fehlt im Hasenbergl an Angeboten. Das finden die Künstler, aber auch Anwohner, mit denen sie in ihrem Wunschkiosk ins Gespräch gekommen sind. Ein Café und mehr Orte zum Verweilen, aber auch zum Beispiel Orte, wo Familien mit ihren Kindern für ein paar Stunden hingehen könnten.
"Als ob es hier keine Kinder geben würde": So wird das Hasenbergl vernachlässigt
Ein Beispiel, das Egger anführt: Der "Sommer in der Stadt", wo die Stadt während der Corona-Pandemie im Sommer 2021 der Bevölkerung ein Freizeitangebot machen wollte. Auf dem Königsplatz habe man "gar nicht mehr gewusst, welches Karussell man da noch auf den Platz kriegt," sagt Egger. "Aber hier gab es kein einziges Angebot. Als ob es hier keine Kinder geben würde."

Dieser Mangel wurde auch in ihrer Zeit im Wunschkiosk im Zwischengeschoss der U-Bahn-Haltestelle deutlich, der jetzt wieder leer steht. "Kann ich mit den Kindern zum Malen hierherkommen?", hat eine Frau gefragt, als Egger und Weiß einmal ihr Kind im Kiosk dabei hatten, das sich dann am Tisch beschäftigt und gemalt hatte. Warum also nicht ein kleines Kinderkunsthaus im Zwischengeschoss, fragen sich die beiden.
U-Bahn-Kioske in München: Darum stehen so viele leer
Die Künstler haben während der drei Monate im Kiosk auch die Erfahrung gemacht, dass ein solcher auch in seiner ursprünglichen Funktion auf große Nachfrage stoßen würde. Ob Fahrkarten, Auskünfte zum Weg oder andere Fragen: Das Bedürfnis nach persönlichem Austausch, und sei es nur, um ein Ticket zu kaufen, war da.

Aufwendige Sanierungen und höhere Anforderungen an den Brandschutz sind laut der Stadtwerke Gründe, warum so viele Kioske an U-Bahn-Stationen mittlerweile leer stehen. Gründe, die aus Betreiberkreisen zu hören sind, widersprechen dem zumindest teilweise: Eine zu hohe Umsatzpacht werde verlangt, die einen wirtschaftlichen Betrieb unmöglich mache. Immerhin werten die Stadtwerke das Kunstprojekt von vergangenem Jahr als Erfolg und prüfen weitere Zwischennutzungen.

Hasenbergl ist "Arrival City" in München
Zurück an der Oberfläche kommt das Künstlerduo auf die wichtige Funktion zu sprechen, die das Hasenbergl als Viertel in München hat. "Das ist das Viertel, das die Stadt als 'Arrival City' (Ankunftsstadt, d. Red.) repräsentiert", sagt Egger. "Hier ist die Stadt noch etwas durchlässiger, hier habe ich die Möglichkeit anzukommen. Auch wenn natürlich selbst hier die Mieten steigen."
Wenn man aber den schlechten Ruf des Viertels mal ignoriert, findet man sehr viele Gründe, die für das Hasenbergl sprechen: Es gibt ziemlich viel Grün, die naturgeschützte Panzerwiese im Osten zum Beispiel. Beeindruckend ist auch die Frischluftschneise, die die Schleißheimer Straße bis in die Altstadt darstellt. Und: "Hier habe ich super Beispiele, wie man das mit der 15-Minuten-Stadt machen könnte", sagt Egger. Das Hasenbergl habe wie Neuperlach auch große Grünzüge. "Sicher auch mit viel Platz für den Individualverkehr, aber nicht nur."
Das Ende des Spaziergangs mit den beiden Künstlern ist dann im Erdgeschoss des Einkaufszentrums Mira. Hier gibt es sehr guten Kaffee – und (noch) bezahlbar. Der Kiosk im U-Bahnhof ist wieder verbarrikadiert – und wird es wohl erstmal auch bleiben.
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