Die schillerndste Straße im Univiertel in München verliert ihren Charme: "Vollkommen absurd"
München - Wieder so ein Fall: Über zwei Jahre ist es her, dass Bernhard Kitzinger im Univiertel sein 130 Jahre altes Kult-Antiquariat in der Schellingstraße 25 geräumt hat. Mitsamt der bezahlbaren, großen Altbauwohnung im ersten Stock oben drüber, in der er aufgewachsen ist. Das unsanierte Eckhaus (gebaut ab 1830) war verkauft worden. Der neue Eigentümer wollte die drei Gebäudeteile Schellingstraße 25/27 und Türkenstraße 66 abreißen. Und luxuriöse Einzelapartments neu bauen.

Jahrelanger Stillstand in der Türkenstraße: "Das ist schon ein Skandal"
Wie man heute sehen kann: In Sachen Neubau ist gar nichts passiert. Das Eckhaus an der beliebtesten Straße in der Maxvorstadt, in der sich nicht nur im Sommer Hunderte Studenten, Anwohner, Künstler und ausgehfreudige Münchner in den Bars und Cafés treffen, steht immer noch. Und zwar leer - mit rund 20 geräumigen Wohnungen, aus denen alteingesessene Mietparteien damals verdrängt worden sind. Kitzinger hat zwar fußläufig an der Amalienstraße 65 einen neuen Laden gefunden. "Aber dass nach einer Entmietung so ein langer Leerstand möglich ist", sagt er, "das ist schon ein Skandal. Zumal im Univiertel, wo so viele Studenten bezahlbare Zimmer suchen."

Immerhin zwei Läden haben noch Betrieb: das italienische Lokal Che Bordello, das nur abends geöffnet ist. Und die Projekt-Galerie "Kunzt 66" von Johannes Rodach. Sein Mietvertrag laufe nur von Monat zu Monat, sagt Rodach. "Ich bin froh, dass ich hier sein kann, aber Planungssicherheit habe ich keine. Wir hangeln uns nur so durch." Wann der Abriss kommt? "Das weiß hier kein Mensch." Der aktuelle Eigentümer, die Josef Rädlinger Unternehmensgruppe, antwortet auf AZ-Nachfrage, man plane 44 Wohnungen und wolle starten, "wenn ein genehmigter Bauantrag vorliegt". Kurzfristig zu vermieten? Sei "nicht mehr möglich". Und eine Zwischennutzung verbiete sich wegen "Brandschutz- und sicherheitstechnischer Mängel".
Bauantrag abgelehnt, jetzt klagt der Investor
Dass sich hier angestammtes Viertel-Leben auflöst, hatte sich schon 2017 angebahnt. Da verkauften die letzten Erbinnen den Eckhaus-Altbau an eine Tochtergesellschaft der inzwischen insolventen Münchner Omega AG. Die ließ fix die historischen Treppengeländer und anderes wegreißen, ehe das Denkmalamt zur Begutachtung kam. Man beschleunigte den Auszug der Mieter mit Abfindungen. Und verkaufte Ende 2020 das im Wert nun deutlich gestiegene Eckhaus weiter an die Josef Rädlinger Gruppe. Dann passierte erst mal lange nichts: Zweieineinhalb Jahre später, im August 2023, reichte Rädlinger einen Bauantrag ein. Weil die LBK den aber im vergangenen Dezember ablehnte, liegt die Sache nun vor Gericht. Heißt: Es wird sich weitere Monate nichts ändern am Leerstand.

Die Stadt (die mehr als drei Monate Leerstand eigentlich nicht dulden will) wird trotzdem nichts dagegen unternehmen. Weil der Voreigentümer Omega, der den Gebäudekomplex entmietet hat, im Stadtteil Hadern "entsprechenden Ersatzwohnraum" geschaffen hatte. Aus "zweckentfremdungsrechtlicher Sicht" gebe es also "nichts zu beanstanden", teilt das Sozialreferat auf Nachfrage mit. Die Wohnraumbilanz sei "entsprechend ausgeglichen" worden.
"Die bunte Gruppe der Alteingesessenen fehlt"
"Vollkommen absurd" findet die Entwicklungen Svenja Jarchow-Pongratz (Grüne), die dem Bezirksausschuss Maxvorstadt vorsitzt, der sich immer wieder mit dem Thema Entmietung beschäftigt. Kürzlich habe man Zahlen zusammengezählt: "Auf 500 Metern Türkenstraße sind in wenigen Jahren 160 Wohnungen entmietet und 323 alte Mieter vertrieben worden", sagt sie, und weist auf den nächsten Problemfall hin: das Eckhaus an der Türkenstraße 96, wo seit 2015 ein Abriss und Neubau im Raum steht, nach Mieterverdrängung, natürlich. Das alles könne man spüren in der Straße. "Diese bunte Gruppe der Alteingesessenen fehlt - in den Cafés, in den Läden, im Straßenbild. Wenn das so weitergeht, wird die Türkenstraße zum Trauerspiel mit Baulücken, Baustellen und Leerstand."

Das beste Beispiel liegt nur drei Häuser weiter, an der Türkenstraße 52/54. Vor fünf Jahren ist hier ein Gründerzeitensemble mit Vorder-, Seiten- und Hinterhäusern abgerissen worden (nur das Vorderhaus 54 blieb stehen). 60 Mietparteien, die zuvor bezahlbar gewohnt hatten, mussten raus. Neues Leben ist auf dem Areal noch immer nicht eingekehrt. Der Investor Real Treuhand zieht 64 Luxus-Eigentumswohnungen hoch, an der Straße steht immer noch ein Kran, die Fassade ist eingerüstet. Als Bezugstermin sei "Jahresende" geplant, erklärt eine Mitarbeiterin.

Türkenstraße 50: Bis jetzt nur ein Bauloch
Wenig Sichtbares tut sich auch in der Baulücke direkt daneben, an der Türkenstraße 50. Dort ist im Juni 2021 der letzte Mieter mit einigem Herzschmerz ausgezogen. Alle 62 bezahlbaren Wohnungen des alten Wohnhauses sind abgerissen. Nachgekommen ist auch hier noch niemand: Der Luxuswohnungen-Investor Legat Living ist über ein 14-Meter-Loch für die Tiefgarage seines Neubaus "Max-Höfe" mit 59 Wohnungen noch nicht hinausgekommen. Kommende Woche, immerhin, soll der Grundstein gelegt werden, erklärt das Unternehmen auf Nachfrage. 20 Wohnungen seien verkauft - wegen der sinkenden Preise bis zu zehn Prozent günstiger als geplant. Was immer noch heißt, dass 50 Quadratmeter ohne Balkon 1,02 Millionen Euro kosten. Und eine Vier-Zimmer-Wohnung (171 Quadratmeter) knapp 3,7 Millionen. Das dürfte zu viel sein für die meisten Maxvorstädter. Wer sich übrigens wundert, warum im ehemaligen Kitzinger-Antiquariat noch Bücher im Schaufenster stehen: Nein, der Laden ist wirklich zu, über zwei Jahre schon. Der Antiquar hatte vor dem Auszug nur viele Bücher zurückgelassen. "Untaugliches, was sich sowieso nicht mehr verkaufen lässt." Der neue Hauseigentümer hat vieles davon verschenkt. Und die Reste dekorativ ins Fenster gestellt. So fällt halt ein Leerstand gleich gar nicht mehr so auf.
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