Die schillerndste Straße im Univiertel in München verliert ihren Charme: "Vollkommen absurd"

Vertriebene Mieter, Häuser, die über Jahre leer stehen - oder nur im Schneckentempo neu gebaut werden: Wie die schillerndste Straße im Münchner Univiertel langsam ihren Charme verliert.
Irene Kleber |
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Das Eckhaus Schellingstraße 25/27 mit Türkenstraße 66: Vor über zwei Jahren sind die Mieter verdrängt worden. Seither stehen rund 20 Wohnungen leer. Wann neu gebaut wird? Weiß keiner.
Irene Kleber 8 Das Eckhaus Schellingstraße 25/27 mit Türkenstraße 66: Vor über zwei Jahren sind die Mieter verdrängt worden. Seither stehen rund 20 Wohnungen leer. Wann neu gebaut wird? Weiß keiner.
"Dass nach einer Entmietung so ein langer Leerstand möglich ist, ist schon ein Skandal", findet Bernhard Kitzinger, der mit seinem 130 Jahre alten Kult-Antiquariat aus der Schellingstraße 25 in die Amalienstraße 65 umgezogen ist.
Daniel von Loeper 8 "Dass nach einer Entmietung so ein langer Leerstand möglich ist, ist schon ein Skandal", findet Bernhard Kitzinger, der mit seinem 130 Jahre alten Kult-Antiquariat aus der Schellingstraße 25 in die Amalienstraße 65 umgezogen ist.
Svenja Jarchow-Pongratz (Grüne), die Chefin des Bezirksausschusses Maxvorstadt, findet die Entwicklungen in der Türkenstraße "völlig absurd". Auf 500 Metern Türkenstraße seien in wenigen Jahren 160 Wohnungen entmietet und 323 eingesessene Mieter vertrieben worden.
Bernd Wackerbauer 8 Svenja Jarchow-Pongratz (Grüne), die Chefin des Bezirksausschusses Maxvorstadt, findet die Entwicklungen in der Türkenstraße "völlig absurd". Auf 500 Metern Türkenstraße seien in wenigen Jahren 160 Wohnungen entmietet und 323 eingesessene Mieter vertrieben worden.
Februar 2019: Der Abriss des Gründerzeit-Ensembles Türkenstraße 54/52 mit Seiten- und Hinterhäusern (60 Wohnungen) beginnt. Nur das denkmalgeschützte Vorderhaus 54 (ganz links am Bildrand zu sehen) darf stehen bleiben.
Daniel von Loeper 8 Februar 2019: Der Abriss des Gründerzeit-Ensembles Türkenstraße 54/52 mit Seiten- und Hinterhäusern (60 Wohnungen) beginnt. Nur das denkmalgeschützte Vorderhaus 54 (ganz links am Bildrand zu sehen) darf stehen bleiben.
Fünf Jahre nach dem Abriss des alten Ensembles, im Februar 2024, ist der Neubau der Real Treuhand an der Türkenstraße 54/52 noch immer nicht fertig. Ab der Straße ist die Baustelle eingerüstet, neues Leben ist noch nicht eingekehrt.
Irene Kleber 8 Fünf Jahre nach dem Abriss des alten Ensembles, im Februar 2024, ist der Neubau der Real Treuhand an der Türkenstraße 54/52 noch immer nicht fertig. Ab der Straße ist die Baustelle eingerüstet, neues Leben ist noch nicht eingekehrt.
Türkenstraße 50: Hier ist im Sommer 2021 der letzte Mieter mit viel Herzschmerz ausgezogen. Bislang ist nur ein 14 Meter tiefes Bauloch zu sehen - der Luxuswohnungen-Investor Legat Living will bis spätestens Anfang 2026 Eigentumswohnungen bezugsfertig haben.
Irene Kleber 8 Türkenstraße 50: Hier ist im Sommer 2021 der letzte Mieter mit viel Herzschmerz ausgezogen. Bislang ist nur ein 14 Meter tiefes Bauloch zu sehen - der Luxuswohnungen-Investor Legat Living will bis spätestens Anfang 2026 Eigentumswohnungen bezugsfertig haben.
Sein Kult-Antiquariat in der Schellingstraße 25 hat Bernhard Kitzinger vor über zwei Jahren verlassen (jetzt ist er in der Amalienstraße 65). Warum trotzdem noch Bücher in den alten Schaufenstern stehen? Aus Dekozwecken, vermutlich. So fällt der Leerstand nicht gar so auf.
Daniel von Loeper 8 Sein Kult-Antiquariat in der Schellingstraße 25 hat Bernhard Kitzinger vor über zwei Jahren verlassen (jetzt ist er in der Amalienstraße 65). Warum trotzdem noch Bücher in den alten Schaufenstern stehen? Aus Dekozwecken, vermutlich. So fällt der Leerstand nicht gar so auf.
Interim: Die Galerie "Kunzt66" hat keinen dauerhaften Mietvertrag.
Irene Kleber 8 Interim: Die Galerie "Kunzt66" hat keinen dauerhaften Mietvertrag.

München - Wieder so ein Fall: Über zwei Jahre ist es her, dass Bernhard Kitzinger im Univiertel sein 130 Jahre altes Kult-Antiquariat in der Schellingstraße 25 geräumt hat. Mitsamt der bezahlbaren, großen Altbauwohnung im ersten Stock oben drüber, in der er aufgewachsen ist. Das unsanierte Eckhaus (gebaut ab 1830) war verkauft worden. Der neue Eigentümer wollte die drei Gebäudeteile Schellingstraße 25/27 und Türkenstraße 66 abreißen. Und luxuriöse Einzelapartments neu bauen.

"Dass nach einer Entmietung so ein langer Leerstand möglich ist, ist schon ein Skandal", findet Bernhard Kitzinger, der mit seinem 130 Jahre alten Kult-Antiquariat aus der Schellingstraße 25 in die Amalienstraße 65 umgezogen ist.
"Dass nach einer Entmietung so ein langer Leerstand möglich ist, ist schon ein Skandal", findet Bernhard Kitzinger, der mit seinem 130 Jahre alten Kult-Antiquariat aus der Schellingstraße 25 in die Amalienstraße 65 umgezogen ist. © Daniel von Loeper

Jahrelanger Stillstand in der Türkenstraße: "Das ist schon ein Skandal"

Wie man heute sehen kann: In Sachen Neubau ist gar nichts passiert. Das Eckhaus an der beliebtesten Straße in der Maxvorstadt, in der sich nicht nur im Sommer Hunderte Studenten, Anwohner, Künstler und ausgehfreudige Münchner in den Bars und Cafés treffen, steht immer noch. Und zwar leer - mit rund 20 geräumigen Wohnungen, aus denen alteingesessene Mietparteien damals verdrängt worden sind. Kitzinger hat zwar fußläufig an der Amalienstraße 65 einen neuen Laden gefunden. "Aber dass nach einer Entmietung so ein langer Leerstand möglich ist", sagt er, "das ist schon ein Skandal. Zumal im Univiertel, wo so viele Studenten bezahlbare Zimmer suchen."

Sein Kult-Antiquariat in der Schellingstraße 25 hat Bernhard Kitzinger vor über zwei Jahren verlassen (jetzt ist er in der Amalienstraße 65). Warum trotzdem noch Bücher in den alten Schaufenstern stehen? Aus Dekozwecken, vermutlich. So fällt der Leerstand nicht gar so auf.
Sein Kult-Antiquariat in der Schellingstraße 25 hat Bernhard Kitzinger vor über zwei Jahren verlassen (jetzt ist er in der Amalienstraße 65). Warum trotzdem noch Bücher in den alten Schaufenstern stehen? Aus Dekozwecken, vermutlich. So fällt der Leerstand nicht gar so auf. © Daniel von Loeper

Immerhin zwei Läden haben noch Betrieb: das italienische Lokal Che Bordello, das nur abends geöffnet ist. Und die Projekt-Galerie "Kunzt 66" von Johannes Rodach. Sein Mietvertrag laufe nur von Monat zu Monat, sagt Rodach. "Ich bin froh, dass ich hier sein kann, aber Planungssicherheit habe ich keine. Wir hangeln uns nur so durch." Wann der Abriss kommt? "Das weiß hier kein Mensch." Der aktuelle Eigentümer, die Josef Rädlinger Unternehmensgruppe, antwortet auf AZ-Nachfrage, man plane 44 Wohnungen und wolle starten, "wenn ein genehmigter Bauantrag vorliegt". Kurzfristig zu vermieten? Sei "nicht mehr möglich". Und eine Zwischennutzung verbiete sich wegen "Brandschutz- und sicherheitstechnischer Mängel".

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Bauantrag abgelehnt, jetzt klagt der Investor

Dass sich hier angestammtes Viertel-Leben auflöst, hatte sich schon 2017 angebahnt. Da verkauften die letzten Erbinnen den Eckhaus-Altbau an eine Tochtergesellschaft der inzwischen insolventen Münchner Omega AG. Die ließ fix die historischen Treppengeländer und anderes wegreißen, ehe das Denkmalamt zur Begutachtung kam. Man beschleunigte den Auszug der Mieter mit Abfindungen. Und verkaufte Ende 2020 das im Wert nun deutlich gestiegene Eckhaus weiter an die Josef Rädlinger Gruppe. Dann passierte erst mal lange nichts: Zweieineinhalb Jahre später, im August 2023, reichte Rädlinger einen Bauantrag ein. Weil die LBK den aber im vergangenen Dezember ablehnte, liegt die Sache nun vor Gericht. Heißt: Es wird sich weitere Monate nichts ändern am Leerstand.

Februar 2019: Der Abriss des Gründerzeit-Ensembles Türkenstraße 54/52 mit Seiten- und Hinterhäusern (60 Wohnungen) beginnt. Nur das denkmalgeschützte Vorderhaus 54 (ganz links am Bildrand zu sehen) darf stehen bleiben.
Februar 2019: Der Abriss des Gründerzeit-Ensembles Türkenstraße 54/52 mit Seiten- und Hinterhäusern (60 Wohnungen) beginnt. Nur das denkmalgeschützte Vorderhaus 54 (ganz links am Bildrand zu sehen) darf stehen bleiben. © Daniel von Loeper

Die Stadt (die mehr als drei Monate Leerstand eigentlich nicht dulden will) wird trotzdem nichts dagegen unternehmen. Weil der Voreigentümer Omega, der den Gebäudekomplex entmietet hat, im Stadtteil Hadern "entsprechenden Ersatzwohnraum" geschaffen hatte. Aus "zweckentfremdungsrechtlicher Sicht" gebe es also "nichts zu beanstanden", teilt das Sozialreferat auf Nachfrage mit. Die Wohnraumbilanz sei "entsprechend ausgeglichen" worden.

"Die bunte Gruppe der Alteingesessenen fehlt"

"Vollkommen absurd" findet die Entwicklungen Svenja Jarchow-Pongratz (Grüne), die dem Bezirksausschuss Maxvorstadt vorsitzt, der sich immer wieder mit dem Thema Entmietung beschäftigt. Kürzlich habe man Zahlen zusammengezählt: "Auf 500 Metern Türkenstraße sind in wenigen Jahren 160 Wohnungen entmietet und 323 alte Mieter vertrieben worden", sagt sie, und weist auf den nächsten Problemfall hin: das Eckhaus an der Türkenstraße 96, wo seit 2015 ein Abriss und Neubau im Raum steht, nach Mieterverdrängung, natürlich. Das alles könne man spüren in der Straße. "Diese bunte Gruppe der Alteingesessenen fehlt - in den Cafés, in den Läden, im Straßenbild. Wenn das so weitergeht, wird die Türkenstraße zum Trauerspiel mit Baulücken, Baustellen und Leerstand."

Svenja Jarchow-Pongratz (Grüne), die Chefin des Bezirksausschusses Maxvorstadt, findet die Entwicklungen in der Türkenstraße "völlig absurd". Auf 500 Metern Türkenstraße seien in wenigen Jahren 160 Wohnungen entmietet und 323 eingesessene Mieter vertrieben worden.
Svenja Jarchow-Pongratz (Grüne), die Chefin des Bezirksausschusses Maxvorstadt, findet die Entwicklungen in der Türkenstraße "völlig absurd". Auf 500 Metern Türkenstraße seien in wenigen Jahren 160 Wohnungen entmietet und 323 eingesessene Mieter vertrieben worden. © Bernd Wackerbauer

Das beste Beispiel liegt nur drei Häuser weiter, an der Türkenstraße 52/54. Vor fünf Jahren ist hier ein Gründerzeitensemble mit Vorder-, Seiten- und Hinterhäusern abgerissen worden (nur das Vorderhaus 54 blieb stehen). 60 Mietparteien, die zuvor bezahlbar gewohnt hatten, mussten raus. Neues Leben ist auf dem Areal noch immer nicht eingekehrt. Der Investor Real Treuhand zieht 64 Luxus-Eigentumswohnungen hoch, an der Straße steht immer noch ein Kran, die Fassade ist eingerüstet. Als Bezugstermin sei "Jahresende" geplant, erklärt eine Mitarbeiterin.

Türkenstraße 50: Hier ist im Sommer 2021 der letzte Mieter mit viel Herzschmerz ausgezogen. Bislang ist nur ein 14 Meter tiefes Bauloch zu sehen - der Luxuswohnungen-Investor Legat Living will bis spätestens Anfang 2026 Eigentumswohnungen bezugsfertig haben.
Türkenstraße 50: Hier ist im Sommer 2021 der letzte Mieter mit viel Herzschmerz ausgezogen. Bislang ist nur ein 14 Meter tiefes Bauloch zu sehen - der Luxuswohnungen-Investor Legat Living will bis spätestens Anfang 2026 Eigentumswohnungen bezugsfertig haben. © Irene Kleber

Türkenstraße 50: Bis jetzt nur ein Bauloch

Wenig Sichtbares tut sich auch in der Baulücke direkt daneben, an der Türkenstraße 50. Dort ist im Juni 2021 der letzte Mieter mit einigem Herzschmerz ausgezogen. Alle 62 bezahlbaren Wohnungen des alten Wohnhauses sind abgerissen. Nachgekommen ist auch hier noch niemand: Der Luxuswohnungen-Investor Legat Living ist über ein 14-Meter-Loch für die Tiefgarage seines Neubaus "Max-Höfe" mit 59 Wohnungen noch nicht hinausgekommen. Kommende Woche, immerhin, soll der Grundstein gelegt werden, erklärt das Unternehmen auf Nachfrage. 20 Wohnungen seien verkauft - wegen der sinkenden Preise bis zu zehn Prozent günstiger als geplant. Was immer noch heißt, dass 50 Quadratmeter ohne Balkon 1,02 Millionen Euro kosten. Und eine Vier-Zimmer-Wohnung (171 Quadratmeter) knapp 3,7 Millionen. Das dürfte zu viel sein für die meisten Maxvorstädter. Wer sich übrigens wundert, warum im ehemaligen Kitzinger-Antiquariat noch Bücher im Schaufenster stehen: Nein, der Laden ist wirklich zu, über zwei Jahre schon. Der Antiquar hatte vor dem Auszug nur viele Bücher zurückgelassen. "Untaugliches, was sich sowieso nicht mehr verkaufen lässt." Der neue Hauseigentümer hat vieles davon verschenkt. Und die Reste dekorativ ins Fenster gestellt. So fällt halt ein Leerstand gleich gar nicht mehr so auf.

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52 Kommentare
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  • Normalist am 21.02.2024 13:20 Uhr / Bewertung:

    Und gerade jetzt eröffnet der Giesinger dort einen Stehbierausschank ! Was stimmt da nicht ODER was weiß der ?

  • Nobbse2710 am 20.02.2024 22:33 Uhr / Bewertung:

    Dieser einst schillernde Artikel in der Abendzeitung verliert den Charme, wenn man diesen 3 Tage alten Artikel mehrmals täglich wiederholt
    "20. Februar 2024 - 21:17 Uhr | Irene Kleber"

  • eule75 am 20.02.2024 18:40 Uhr / Bewertung:

    Touristen verreisen oft, um sich in anderen Ländern/Städten schöne Häuser/Denkmale etc. anzusehen. Der fortschreitende Einheitsbrei wird uninteressant. Wenn man zu viele Menschen in Städte quetscht, sprießen die Batteriebauten.

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