Brennpunkt Türkenstraße: Erst Leerstand, dann Luxus

Gentrifizierung lässt sich nirgendwo besser beobachten als mitten in der Maxvorstadt. OB Dieter Reiter und SPD-Chef Florian von Brunn kamen am Montag zu Besuch - mit Forderungen an die CSU.
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Stefan Sasse (l.) war der letzte Mieter, der hier wohnte. Marianne Ott-Meimberg und ihr Mann leben inzwischen fast alleine in ihrem Haus. An der Türkenstraße hören sich SPD-Chef Florian von Brunn (zweiter von links) und OB Dieter Reiter Geschichten über Gentrifizierung an.
Stefan Sasse (l.) war der letzte Mieter, der hier wohnte. Marianne Ott-Meimberg und ihr Mann leben inzwischen fast alleine in ihrem Haus. An der Türkenstraße hören sich SPD-Chef Florian von Brunn (zweiter von links) und OB Dieter Reiter Geschichten über Gentrifizierung an. © Bernd Wackerbauer

Maxvorstadt - Einen kleinen grünen Punkt hat Marianne Ott-Meimberg neben drei Namen auf dem Klingelschild an ihrem Haus an der Türkenstraße 52 geklebt. Es sind die einzigen drei Wohnungen, bei denen jemand öffnen könnte. Denn die neun anderen Wohnungen in dem Gebäude stehen leer.

Marianne Ott-Meimberg und ihr Mann Norbert Ott haben fast keine Nachbarn mehr, weil vor Jahren ein Investor das Haus kaufte, der es am liebsten ganz leer haben will. Um zu sanieren. Um zu verkaufen. Um mehr Geld herauszuholen.

Preise in der Türkenstraße steigen exponentiell

Mit den drei Punkten will das Paar zeigen, wie sehr sich das Haus, in dem sie seit 50 Jahren leben, veränderte. Anlass war prominenter Besuch: Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und der Chef der SPD in Bayern Florian von Brunn schauten vorbei, um zu erklären, wo der Freistaat (also die Konkurrenz von der CSU) versagt.

Tatsächlich lässt sich die Misere des Münchner Wohnungsmarkts wohl nirgends so eindeutig beobachten wie an der Türkenstraße zwischen den Hausnummern 50 und 54: Schon 2007 hat ein Investor eines der Mietshäuser erworben und später teurer weiter verkauft. 2019 folgte der Abriss.

Dann klaffte dort lange eine Baulücke. Es passierte nichts, trotzdem steigerte sich der Wert des Grundstücks. Laut Reiter um 370 Prozent.

Erst jahrelanger Leerstand, dann der Abriss

Später wurde auch das Nebenhaus abgerissen. Davor herrschte in vielen Wohnungen jahrelang Leerstand, bis der letzte ausgezogen war. Inzwischen rollen die Bagger umher. Der Rohbau steht zum Teil. Im Internet bietet das Unternehmen "Legat Living" die Wohnungen zum Kauf an: zwei Zimmer, 50 Quadratmeter, fast 1,2 Millionen Euro.

Marianne Ott-Meimberg und ihr Ehemann wohnen im Mietshaus gleich neben dieser Baustelle. Es darf nicht abgerissen werden, weil es unter Denkmalschutz steht.

Doch manchmal fragen sie sich, wie lange noch, erzählt die Rentnerin und führt in den Hauseingang. Dort bröckelt der Putz von der Decke, die weiße Farbe hat sich gelblich gefärbt.

Trotz Denkmalschutz wurde ein Gebäude abgerissen

Ott-Meimberg kennt die Geschichte aus der Nachbarschaft: Eigentlich war das Haus auch denkmalgeschützt, doch plötzlich war eine alte Holztreppe mit schmiede-eisernem Geländer herausgerissen und durch einen Behelf aus Spanplatten ersetzt worden, angeblich aus Brandschutzgründen.

Der Denkmalschutz griff nicht mehr. Das Gebäude konnte abgerissen werden. Droht ihrem Haus das gleiche, wenn es nach und nach verfällt? Das frage sie sich oft, sagt die Dame. Und es ist nicht die einzige Frage, die sie umtreibt.

Wie ist es in einer Stadt wie München, wo Wohnraum so dringend gebraucht wird, möglich, das ganze Häuser in bester Lage jahrelang leerstehen? Warum warum können dort, wo günstige Mietwohnungen standen, plötzlich teure Eigentumswohnungen gebaut werden?

Bayern kann Bundesgesetze nicht umsetzen

Für die SPDler Dieter Reiter und Florian von Brunn ist die Sache klar: Der Freistaat hätte das verhindern können. Zum Beispiel, wenn in Bayern das Baulandmobilisierungsgesetz angewendet würde. Als Horst Seehofer (CSU) noch Bundesinnenminister war, hatte er das Gesetz erlassen.

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Doch ausgerechnet im CSU-regierten Freistaat fehlen Verordnungen zur Umsetzung. Das Gesetz hätte an der Türkenstraße geholfen, weil es ein Umwandlungsverbot von Miet- in Eigentumswohnungen enthält. Auch bessere Gesetze, mit denen die Stadt gegen Leerstand vorgehen könnte, bräuchte es aus Sicht von Reiter und von Brunn.

Wenn der Freistaat nicht handelt, muss halt die Stadt ran

Momentan sei es nur möglich, dass Bürger Leerstand bei der Stadt anzeigen. Auch das Ehepaar Ott meldete den Leerstand in ihrem Haus. Alles sei rechtens, hieß es danach. Denn der Eigentümer hatte eine Begründung: Er könne neuen Mietern den Baustellenlärm von nebenan nicht zumuten. Auch Stefan Sasse, der letzte Mieter in der Türkenstraße 50, meldete - insgesamt 23 Mal - Leerstand. Eine Strafe habe die Stadt jedoch nie erlassen. Dass in solchen Fällen das Münchner Rathaus wirklich nichts besser machen kann, fällt Sasse schwer zu glauben.

Auch die Chefin des Bezirksausschusses in der Maxvorstadt Svenja Jarchow-Pongratz (Grüne) findet: "Die Stadt muss einen Beitrag leisten" - zum Beispiel, in dem sie Leerstand konsequent verfolgt und Erhaltungssatzungsgebiete ausweist. Für die Türkenstraße hatte das der Bezirksausschuss mehrfach gefordert, sagt sie. Ohne Erfolg.

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46 Kommentare
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  • DaMamaIhrBua am 25.08.2022 19:42 Uhr / Bewertung:

    Bei 1,2 Millionen für 50qm wird die Miete sehr hoch sein müssen, damit sich das irgendwann rentiert. Und das geht immer weiter so.

  • Münchner Müllmann am 24.08.2022 14:23 Uhr / Bewertung:

    Wer genau bestimmen will, wie eine Immobilie genutzt wird, der soll sie kaufen!

  • mausundkatz am 24.08.2022 12:10 Uhr / Bewertung:

    OB Reiter und seine Kollaborateure sind eindeutig die Hauptschuldigen an der Problematik. Eine Frechheit, sich jetzt da hinzustellen und auf andere zu zeigen.

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