Investor vor Luxussanierung in München plötzlich abgetaucht: "Wir sind komplett ratlos"
Sendling - Stellen Sie sich vor, Ihr Vermieter teilt Ihnen mit, dass Sie bald ausziehen müssen. Sie suchen nach einer neuen Wohnung und warten auf die schriftliche Kündigung. Die aber kommt nicht und der Vermieter meldet sich nicht mehr. Sie versuchen, ihn anzurufen, mehrmals, aber niemand meldet sich. Ein komisches Gefühl, nicht wahr? So ergeht es Johannes Meyer, dem Wirt vom Café Stenz an der Lindwurmstraße 122.
Vergangenes Jahr bekam der Gastronom die Mitteilung, dass er und sein Team das Café aufgeben müssen – schon im April sollen sie raus. In nicht einmal zwei Monaten. Doch seit der Nachricht hat Meyer nichts mehr vom Vermieter gehört.

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"Wir haben bisher keine Kündigung bekommen und den Vermieter jetzt auch nicht mehr erreicht. Jeder steht da, ohne irgendwas zu wissen. Wir sind komplett ratlos", sagt Meyer (44). Der Gastronom will Sicherheit. "Das nervt, es geht ja auch um die Mitarbeiter und um die Investitionen in den Laden." Wie es weitergeht? "Keine Ahnung."
Die Pläne des Eigentümers hängen seit Jahren wie ein Damoklesschwert über dem gesamten Areal. Der Investor Trivium aus Wien hat das ehemalige Maibräu vor einigen Jahren gekauft – zu einem hohen Preis, wie es heißt. Nun plant er den Abriss.
Die Pläne würden dieses Eck in Sendling völlig verändern: Vorgesehen ist ein Neubau mit 50 Wohnungen im Innenhof; entstehen sollen ein siebenstöckiger Wohnturm und eine Tiefgarage.
Die Sendlinger waren von Anfang an dagegen. Philip Fickel (SPD), Vorsitzender des Ausschusses für Planen, Bauen und Wohnen im Bezirksausschuss (BA), kritisierte das Projekt bei der Vorstellung im September 2021. Man müsse von einer massiven Verdichtung und einer Verunstaltung des Stadtbilds ausgehen, sagte er.

Stadt hat Umbau erlaubt, seither passiert nichts
Schon jetzt hat sich das Areal in eine ausgestorbenen Brache verwandelt. Das ehemalige Trachtenoutlet: leer. Die Büroflächen links: leer. Die Räume am hinteren Ende: leer. Im Eingangsbereich stehen Umzugskisten, altes Laub liegt auf dem Boden. Hier war schon lange niemand mehr.
Leer steht nach Auskunft der Nachbarn auch das alte Kellergewölbe, wo noch im 19. Jahrhundert Fässer gelagert wurden. Später war hier der legendäre Contenance Club, ein Etablissement für wohlhabende Männer. Während der Corona-Pandemie konnte man sich hier auf das Virus testen.
Die Lokalbaukommission (LBK) hatte im November 2022 einen Vorbescheid zum "Teilabbruch, Renovierung und Umbau des Bestandsgebäudes sowie Errichtung eines Wohn- und Geschäftsgebäudes mit Großgarage" erteilt. Es ist auch eine teilweise Nutzungsänderung für Bestandsgebäude "von Gewerbe nach Wohnen" vorgesehen. Ein Bauantrag hat Trivium bislang noch nicht eingereicht.

Trivium aus Österreich: Spezialisiert auf "überdurchschnittlichen Ertrag"
Trivium hat sich nach eigenen Angaben auf die "Restrukturierung und Entwicklung" von Wohn- und Gewerbeimmobilien spezialisiert. Kunden der Investmentgruppe seien "vermögende" Privatpersonen, Unternehmen und Privatstiftungen; über 100 Projekte wurden laut Unternehmensangaben initiiert, aktuell etwa Luxuswohnungen in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana oder im italienischen Triest.
Ihr selbstgestecktes Ziel: "Bei überschaubarem Risiko einen überdurchschnittlichen Ertrag" für die Investoren erzielen. Es geht also ums große Geld. Mehrmalige Anfragen der AZ wurden von Trivium nicht beantwortet.
Etwas mehr sagt der BA-Vorsitzende Markus Lutz (SPD): "Die Pläne sind wegen der hohen Bauzinsen auf Eis gelegt." Wenn sich die Zinssituation wieder entspanne, so denkt er, gehe die Planung weiter. Wann das der Fall sein wird, weiß er nicht.
Zunächst muss der Investor einen Bauantrag bei der LBK stellen. Der Bezirksausschuss kann dann nur noch eine Stellungnahme an die Kommission abgeben; die LBK muss dann nach geltendem Baurecht entscheiden. Ablehnen darf sie den Bauantrag nur, wenn baurechtliche Gründe dagegen vorliegen.
Diese scheint es im Fall des ehemaligen Maibräus nicht zu geben. Die Erteilung des Bauantrags dauert ungefähr drei Monate, heißt es aus dem Referat für Stadtplanung und Bauordnung, bei komplizierten Projekten auch länger. Mit dem Baubeginn an der Lindwurmstraße könnte es also schnell gehen.
Nachbarn hoffen noch auf Rettung des Areals
Dass das Areal noch gerettet werden kann, denkt BA-Chef Lutz nicht: "Der Investor hat Baurecht. Ich glaube nicht, dass sie davon abweichen werden."
Genau darauf hoffen die Nachbarn. Es wird gemunkelt, dass der Investor das Areal möglicherweise nun doch nicht bebauen möchte, sondern an einem Verkauf interessiert ist. Der Hausmeister sei mit Kaufinteressenten gesehen worden. "Das wäre mir am liebsten", sagt Stenz-Wirt Meyer, "der Laden ist sehr gut eingelaufen". Tatsächlich ist das Café an diesem Donnerstagvormittag gut besucht.
Seit zehn Jahren gibt es das Stenz an der Lindwurmstraße. Die Gäste kämen aus ganz München, sagt Meyer. An den Wochenenden würden auch viele Touristen hier frühstücken. Meyer blickt bedrückt zum Eingang seines Cafés. "Dort soll die Einfahrt der Tiefgarage hinkommen. Es wäre schon verdammt schade", sagt er. Rund 400.000 Euro hat er über die Jahre in den Laden investiert; unzählige Stunden hat er damit verbracht, die Inneneinrichtung auszubauen.
Nur noch Jahresverträge: Auch Nachbarn besorgt
Noch einer, der das Projekt von Anfang an kritisiert, ist Tobias Schalkhaußer. Er ist Geschäftsführer von Schalk&Friends, einer Digitalagentur vis-à-vis vom Café Stenz. Sein Büro ist wohl nicht vom Abriss betroffen, dennoch würde er mit seinen 60 Angestellten vor dem Baubeginn wegziehen.
"Wenn hier fünf Jahre lang Baulärm ist, können wir nicht arbeiten", so Schalkhaußer. Das Gebäude, in dem seine Agentur liegt, gehört zwar auch zum alten Bräuareal, der Eigentümer ist aber ein anderer. Auch Schalkhaußer bekomme nur noch Jahresverträge.
Für ihn ist es ein Skandal, dass das eigentlich funktionierende Ensemble im Herzen Sendlings mit Unternehmern und Gastronomen zerstört werde. "Das war früher eine richtig coole Nachbarschaft. Hier waren viele Agenturen und Künstler, wir haben Open Air Kinos und Events mit Food Trucks veranstaltet. Es ist echt traurig." Jetzt steht der Altbau leer. "Die Mieter sind fast alle ausgezogen und haben eine Abfindung kassiert - und jetzt steht seit einem Jahr fast alles leer."
Schulterzucken und ratlose Gesichter: Wie weiter in der Lindwurmstraße?
Wie geht es nun weiter in Sendling? Schalkhaußer glaubt, dass Trivium das Gelände wegen der hohen Bauzinsen nicht bebauen werde und auch nicht zum Kaufpreis verkaufen könne. Meyer und das Stenz-Team haben sich längst mit dem Gedanken abgefunden, das Quartier verlassen zu müssen. "Wir haben nebenher geschaut, was wir machen können", so Meyer. Seit einigen Jahren betreibt er wieder gemeinsam mit seinem Bruder eine weitere Filiale an der Waldfriedhofstraße in Großhadern. Wird es bald die einzige sein?
Schulterzucken und ratlose Gesichter: Die Menschen in der Lindwurmstraße wissen nicht weiter. Meyer will weitermachen, so lange es geht. Einzig der Investor Trivium könnte Klarheit bringen. Doch der ist abgetaucht.