Interview

Spezialisten an Münchens neuester Windkraftanlage: "Schludrig sein gefährdet Leben"

Wer kümmert sich eigentlich um die riesigen Windräder, die für uns Strom erzeugen? Die AZ traf sich mit Spezialisten an Münchens neuester Windkraftanlage.
Hüseyin Ince
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Michael Klement (40, l.) und Lukas Krenn (27) am nördlichen, neuen Windrad Münchens.
Michael Klement (40, l.) und Lukas Krenn (27) am nördlichen, neuen Windrad Münchens. © Bernd Wackerbauer

AZ-Interview mit Michael Klement (40) und Lukas Krenn (27): Die beiden Männer sind Mitarbeiter von Windkraft-Betreiber Enercon.

Der Ulmer Michael Klement ist gebürtiger Wiener und für seinen Job als Windkraftanlagen-Spezialist nach Deutschland gezogen. Der Augsburger Lukas Krenn ist in diesen Beruf quer eingestiegen. Ein Gespräch im Münchner Norden über den Jakobsweg, Höhenangst, Fachkräftemangel, atemberaubenden Ausblick - und gute Job-Ideen von Müttern.

AZ: Herr Klement, Herr Krenn, hat dieses Windrad einen Namen?
MICHAEL KLEMENT: Für uns heißt sie 138-0346.

Einfach nur eine Zahl?
MK: 138 ist der Typ. Genauer gesagt E-138 EP3. Daran kann man sofort den Durchmesser des Rotors ablesen. 138 Meter.

Wie wurden Sie zum Windkraft-Spezialisten?
MK: Ich bin ein umweltbewusster Mensch. Es war mir wichtig, einen Beruf zu haben, der mit erneuerbaren Energien zu tun hat. Da bin ich auf die Anzeige von Enercon aufmerksam geworden. Ich habe eine österreichische Fachausbildung zum Elektrotechniker. Das passte gut zusammen.

Warum Deutschland?
MK: In Österreich, auch in der Region Wien, gibt es zwar viele Windräder. Aber dort herrscht nicht so ein Techniker-Mangel wie in Deutschland. Auch Enercon stellt weiterhin ein. Es gibt viele Quereinsteiger.

Herr Krenn, wie sind Sie zu dem Job in luftiger Höhe gekommen?
LUKAS KRENN: Früher arbeitete ich als KFZ-Mechatroniker. Und ich merkte, dass ich nicht glücklich bin. Irgendetwas störte mich.

Jakobsweg und Jobwechsel

Dann bei Enercon beworben?
LK: Nicht ganz. Ich habe mir eine fünfwöchige Auszeit genommen und bin den Jakobsweg gegangen.

Interessant.
LK: 800 Kilometer durch Spanien. Nach zwei Wochen war mir klar: Ich schmeiß den Job hin. Meine Mutter hat Panik bekommen. Sie schaute für mich und fand eben diese Stellenausschreibung von Enercon. Sie schrieb mir eine SMS mit dem Link. Ich dachte mir: Stimmt, irgendwer muss ja diese Dinger reparieren und warten. Warum nicht? Ich selbst wäre nie auf die Idee gekommen.

Und es hat gepasst?
LK: Ich stand zum ersten Mal an einem Windrad und dachte mir: Geil! Hier darf ich in Zukunft arbeiten? Da habe ich richtig Lust drauf! Abgesehen davon, dass der Job um Welten besser bezahlt ist.

Wartung von Windkraftanlagen: ein Quereinsteigerjob

Braucht man noch eine Spezialausbildung?
LK: Die gibt es nicht, das ist ein Quereinsteiger-Job. Das Wissen für Windkraftanlagen ist so spezifisch, dass man es während der Arbeit vermittelt bekommt. Eine passende Vorausbildung braucht man, als Mechaniker, Mechatroniker, Elektriker oder Elektrotechniker.
MK: Technisches Grundverständnis ist das Wichtigste.

Respekt ja, Höhenangst nein

Höhenangst sollte man nicht haben oder?
MK: Nein, das wäre nicht hilfreich. Es ist auch einer der ersten Tests sozusagen. Wenn man sich bewirbt und auf eine Anlage geht, schauen die Kollegen schon genauer drauf, wie der Bewerber mit Höhe umgeht - ob die Person schwindelfrei ist. Mit Höhenangst kann man hier nicht arbeiten.

Keine Chance?
MK: Keine Chance.
LK: Bei mir ist es so, ich habe verdammten Respekt vor Höhe. Beim ersten Mal dachte ich mir: Wow, da sollte ich auf keinen Fall hinunterfallen und mich gut konzentrieren. Ich denke, dieser gesunde Respekt vor Höhe schadet nicht.

Absolute Konzentration ist gefragt

Klingt so, als ob man das Handwerker-Bier nach Feierabend aufmachen sollte.
MK: (lacht) Unbedingt! Wir arbeiten natürlich mit 0,0 Promille. Wir brauchen absolute Konzentration. Nicht nur wegen der Höhe. Es herrscht ja Mittel- und Niederspannung.

Keine Hochspannung?
MK: Nein, wir haben in der Anlage Spannungen bis 1000 Volt. Das ist noch Niederspannung. Am Trafo herrscht Mittelspannung. Hier wird die Leistung der Anlage weitergegeben. Da hat man bis zu 20 000 Volt. Hochspannung herrscht erst ab dem Umspannwerk.

Da sprechen wir von?
Etwa 100.000 Volt. Und mehr.

Wie sieht eigentlich ein Arbeitstag von Ihnen aus?
LK: Wir kontrollieren erst einmal den Gurt. Das ist täglich einer der ersten Schritte. Funktioniert der Läufer wie er soll...

Was ist denn der Läufer?
LK: Das ist diese Schiene mit zwei Sicherheitsklinken. Sie schützt uns davor abzustürzen. Wir haken sie an der Steigleiter ein.
MK: Die Schiene ist eines unserer wichtigsten Arbeitsgeräte.

In Zweier-Teams unterwegs und per Funk verbunden

Wie geht es weiter?
LK: Wir sind immer in Zweier-Teams unterwegs und per Funk verbunden. Einer steigt voraus und lässt die Winde hinunter, eine Kettenwinde, die oben eingeschlagen ist. Da können wir unser Werkzeug einhaken und nach oben ziehen.

Gibt es da drin keinen Lift?
LK: Das kommt auf den Typ der Anlage an. Der Turm hier im Münchner Norden wurde relativ schmal gebaut. Der Lift beginnt erst ab dem zweiten Abschnitt des Turms. In manchen Anlagen startet der Lift vom Sockel.
MK: Manche haben auch gar keinen Lift.

Das heißt, da müssen Sie dann komplett die Steigleiter hochklettern?
LK: Ja. Das müssen wir auch dann, wenn mal der Lift ausfällt. Kommt hin und wieder vor. Ich habe mich übrigens darauf spezialisiert, diese Lifts in den Türmen zu reparieren.

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Ausdauer und Fitness sind essentiell

Da bleibt man fit oder?
MK: Auf jeden Fall! Aber es ist schon auch so, dass wir uns für die Arbeit fit halten. Übergewicht kann bei dem Job sehr hinderlich sein.
LK: Auch Ausdauer ist wichtig. Es bringt nichts, wenn man 70 Meter hochsteigt und wie ein Schluck Wasser in der Kurve ankommt. Wir müssen uns im Ernstfall gegenseitig retten.
MK: Die Arbeit im Turm des Windrades muss maximal sicher sein. Wer schludrig ist oder zweifelt, würde im Ernstfall das Leben seines Kollegen gefährden. Es gibt die unheimlichsten Zufälle. Sicherheit steht für uns an erster Stelle.

Sie sind ja heute nicht zufällig an der neuesten Münchner Windkraftanlage. Der Rotor steht still. Was fehlt?
MK: Es gibt ein kleines Problem bei der Windnachführung.

Die Windnachführung?
MK: Die Anlage dreht sich normalerweise nach dem Wind. Gondel und Blätter.

Um maximal Wind abzugreifen?
MK: Genau. Zwölf elektrische Motoren drehen die Anlage in die richtige Position. Dafür sorgen Sensoren, die die Windrichtung messen. Und das passiert hier gerade nicht.

Haben alle Windkraftanlagen diese Windnachführung?
MK: Alle, ja, auch die ältesten Anlagen, die jetzt etwa 25 Jahre alt sind.

Das Spannende: die Fehlersuche

Und was vermuten Sie, was könnte das Problem sein, hier an der Münchner Anlage?
MK: Kann alles Mögliche sein. Das ist das Spannende an dem Job: die Fehlersuche. Steuerkarten, Leistungselektrik, Sensoren, Mechanik, Transistoren, Motorbremsen...

Aber das ist ja ein großes Rätsel, wo der Fehler liegt.
MK: Das ist Detektivarbeit, ja. Erfahrung hilft natürlich.
LK: Rätsel, nun ja. Das trifft auf viele Branchen mittlerweile zu, die viel Elektronik verbauen. Auch in der Autoindustrie.

Bei Autos ist es doch so, dass man einen Computer anschließt, der den Fehler ausspuckt.
LK: So etwas Ähnliches ist bei unseren Anlagen natürlich integriert. Bei kleineren Fehlern können wir aus der Distanz das Problem beseitigen.

Ein kleiner Turm aufgrund des Flugverkehrs

Ist dieser neue Turm in München ein Standard-Modell?
MK: Der Rotor ist schon Standard, mit 70 Metern Blattlänge. Aber es ist selten, dass der Turm nicht viel größer ist: etwa 80 Meter nämlich.

Warum ist das hier so?
LK: Flugverkehr. Deswegen durfte er nicht höher sein. Aber man brauchte die Rotorgröße, um viel Strom erzeugen zu können. Grundsätzlich gilt: je höher, desto besser. Weiter oben herrscht mehr Wind.
MK: So ein 138er Rotor wie hier steht oft auf 140 Meter hohen Türmen.

Bei optimalen Bedingungen deckt die Anlage den jährlichen Stromverbrauch einer vierköpfigen Familie

Wie viel Energie erzeugt dieser Turm eigentlich?
MK: Vier Megawatt, bei Volllast, bei etwa acht bis neun Metern pro Sekunde Wind.

Wie kann man das einordnen?
LK: In einer Stunde erzeugt die Anlage bei optimalen Windbedingungen den jährlichen Strom eines Vier-Personen-Haushaltes.

Bemerkenswert. Wie viel Spaß macht Ihnen beiden Ihr Job?
(Beide Männer schauen sich kurz an und grinsen).
LK: Es gab keinen einzigen Tag in den letzten dreieinhalb Jahren, an dem ich keine Lust auf meine Arbeit hatte.
MK: Es ist ein selten schöner Beruf. Wir sind in der Natur, in den Wäldern. Und oben hat man einen tollen Ausblick.

Dann werden Sie nachher bestimmt einen Blick auf die Alpen werfen oder?
MK: Aber sicher. Ein kurzer Ausblick ist immer drin.

"Ein Blick von oben auf die Welt, wie auf einem Berggipfel"

Wo oder wann ist er am schönsten?
LK: Wenn Nebel herrscht und wir im Turm über die Wolkengrenze klettern. Das ist wie ein Teppich, auf den wir blicken. Das sieht aus wie im Flugzeug.
MK: Ein Blick von oben auf die Welt, wie wenn man es auf einen Berggipfel geschafft hat.

Der Ausblick, oben am Windrad, in Richtung Alpen.
Der Ausblick, oben am Windrad, in Richtung Alpen. © Michael Klement

Wenn Sturm herrscht, laufen die Anlagen eigentlich weiter?
MK: Problemlos. Bei einem Sturmtief vor zwei Jahren mit mehr als 40 Metern pro Sekunde Wind liefen fast alle Räder weiter.

Was ist die größte Anlage, die Sie kennen?
LK: Die E-126/7,5 MW, mit einem Durchmesser von 126 Metern Rotor also. Die ist 135 Meter hoch. Einige davon stehen in Hamburg und erzeugen 7,5 Megawatt. Die wird aber nicht mehr gebaut, weil es an der Grenze des Machbaren ist, dieses Ding aufzustellen.
MK: Offshore, im Wasser also, gibt es größere Anlagen.

Bekommt man in Ihrem Job ein besseres Gefühl für Wind?
MK: Ich denke schon.

Wie stark weht er gerade?
MK: Etwa zwei Meter pro Sekunde.
LK: Weiter oben wahrscheinlich um die drei.

Ist der Job bei großen Windstärken gefährlicher?
MK: Nein. Da gibt es klare Vorschriften. Ab 23 Metern pro Sekunde dürfen wir nicht mehr in die Anlage hinaufklettern.
LK: Dieser Job ist nur gefährlich, wenn man sich nicht an Sicherheitsvorschriften hält.

Anwohner wehren sich oft gegen Windräder: dabei sind sie extrem leise

Ein Planungsausschuss hat errechnet, dass die Region München bis zu 400 Windkraftanlagen vertragen könnte.
LK: Dafür müssten so einige Regeln gelockert werden. Oft wehren sich ja Anwohner. Manchmal sogar Leute, die nicht weit von einer Autobahn wohnen. Das ist dann schon absurd. Moderne Windkraftanlagen hört man kaum.
MK: Wir arbeiten täglich an den Anlagen. Sie sind extrem leise.

Von Infraschall ist die Rede.
LK: Die Autobahn oder auch eine große Mülldeponie erzeugen deutlich mehr Infraschall.

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Beteiligung der Anwohner an Windparks als Lösung

Was denken Sie, wie lässt sich der Widerstand aufweichen?
LK: Ich habe eine Doku gesehen im Ersten. Da ging es um Beteiligungen an Windparks. Viele Anwohner haben bereits investiert und erhalten je nach Standort bis zu fünf Prozent Rendite jährlich. Da wehrt sich kaum jemand.

Fünf Prozent? Nicht schlecht.
MK: Windkraft kann sich für alle lohnen.

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6 Kommentare
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  • MadridistaMUC am 27.11.2022 10:19 Uhr / Bewertung:

    Wow, und wie oft genau hat man die idealen Windbedingungen? Wieviel Windräder hat München. 1 oder 2 🤣🤣Das ist doch nur ein Prestigeobjekt und so ne Art "Willkommen in München",wenn man da auf der Autobahn dran vorbeifährt. Bin seit Beginn der Windkraft mit Thema vertraut, kenn Enercon von Kindesachuhen, hab selber in Ostfriesland gelebt und wollten einen Windpark hochziehen. Steuerberater hat grundlegende abgeraten, da das nur ein Subventionsgeschäft ist und nur solange betriebswirtschaftlich betrieben werden kann, solange staatliche Hilfen fließen.
    Also Projekt verworfen.
    Enercon ist aber auch kein astreines Unternehmen. Wobben und sein Union Busting, Stellenabbau ab 2019 aber 500 Millionen Stütze vom Staat.
    Selber aber mal Opfer der NSA geworden und von Echolon ausspioniert worden. Nicht aufgepasst, was uns unser "grosser Bruder" an Kerntechnolgien klaut. General Electric hat sich gefreut.

  • Steirerbluat am 27.11.2022 13:11 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von MadridistaMUC

    In der Tat, in eine subventionierte Technologie zu investieren is völliger Unsinn.

  • Der wahre tscharlie am 27.11.2022 15:03 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Steirerbluat

    Quatsch! Zitat:
    "Mit Subventionen an Unternehmen soll ein wirtschaftliches Verhalten gefördert (z. B. Hilfen zur Existenzgründung oder für Umweltschutzinvestitionen), die Anpassung an eine veränderte Wirtschaftslage erleichtert (z. B. Hilfen für den Kapazitätsabbau in der Stahlindustrie) oder auch bestimmte Wirtschaftsbereiche erhalten werden (z. B. Hilfen für Landwirtschaft und Bergbau). Subventionen werden in einer Marktwirtschaft kritisch betrachtet, da sie das Marktgeschehen verfälschen."

    Subventionen dienen erstmal bei Neugründung eines Unternehmens der Förderung.

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