Interview

Politikwissenschaftlerin Ursula Münch: "Die Freien Wähler sind für die CSU ein echtes Problem"

Politologin Ursula Münch über Populismus, die Flugblatt-Affäre von Hubert Aiwanger, das Binnen-Verhältnis der bayerischen Koalition und den Erfolg der AfD.
Daniel Staffen-Quandt |
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Regieren den Freistaat seit 2018 in einer Koalition: Ministerpräsident Markus Söder (r., CSU) und Hubert Aiwanger (FW).
Regieren den Freistaat seit 2018 in einer Koalition: Ministerpräsident Markus Söder (r., CSU) und Hubert Aiwanger (FW). © Peter Kneffel/dpa

München - Ursula Münch ist Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Am Mittwoch wird sie bei der Kundgebung "Zammreißen! – Bayern gegen rechts" (18 bis 20.30 Uhr) am Odeonsplatz sprechen. Hier analysiert sie den Erfolg von Freien Wählern und AfD – und das Binnenverhältnis der bayerischen Regierungskoalition.

Frau Münch, die Flugblatt-Affäre hat Hubert Aiwanger und den Freien Wählern offenbar nicht wirklich geschadet – wie erklären Sie sich das? Antisemitismus-Vorwürfe waren bislang immer ein Karriere-Killer.
URSULA MÜNCH: Die Freien Wähler haben schon in den Wochen und Monaten vor der Flugblatt-Affäre in den Umfragen zugelegt – auch und gerade nach der umstrittenen Erdinger Rede von Aiwanger. Indem sich Herr Aiwanger zwar von dem Inhalt des höchst anstößigen Flugblatts distanziert hat und gleichzeitig konsequent bei seiner durch die Aussage des Bruders gestützten Behauptung blieb, selbst nicht der Verfasser gewesen zu sein, hat er die Grundlage dafür gelegt, dass ihm viele Leute zur Seite springen konnten. Aus deren Sicht genügte auch seine – meines Erachtens recht halbherzige – Entschuldigung für das Mitführen des Flugblatts.

"Die Freien Wähler und Hubert Aiwanger unterscheiden sich deutlich von der AfD"

Wie muss man dann aber den wachsenden Zuspruch für die Freien Wähler verstehen? Das sind ja nicht alles Menschen mit antisemitischen Einstellungen. Worum geht es den Aiwanger-Unterstützern wirklich?
Nein, diejenigen, die Aiwanger zur Seite gesprungen sind – also auch alle Freie-Wähler-Abgeordneten und -Kandidaten – sympathisieren sicher nicht mit antisemitischem Gedankengut. Sie sympathisieren mit dem Menschen Hubert Aiwanger, der von sich behauptet, dass ihm Unrecht widerfahren ist. Man kann Aiwangers Kommunikationsstrategie nach den Flugblatt-Berichten als ziemlich "daneben" bezeichnen. Allerdings: Für all diejenigen, die ihn unterstützen, macht es diese Sicht der Dinge natürlich einfacher: Weil er alles abstreitet – ob das nun glaubwürdig ist, oder nicht – kann man an der "Kampagnen-Legende" wunderbar festhalten.

Die Ursula Münch (62) ist Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Am Mittwoch wird sie bei der Kundgebung "Zammreißen! - Bayern gegen rechts" (18 bis 20.30 Uhr) am Odeonsplatz sprechen.
Die Ursula Münch (62) ist Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Am Mittwoch wird sie bei der Kundgebung "Zammreißen! - Bayern gegen rechts" (18 bis 20.30 Uhr) am Odeonsplatz sprechen. © imago

Die bayerische AfD hat im Landtagswahlkampf die Freien Wähler auch als Hauptproblem dafür ausgemacht, dass sie in den Umfragen in Bayern deutlich unter dem Bundestrend liegt. Ist da etwas dran?
Die Freien Wähler und auch Hubert Aiwanger unterscheiden sich inhaltlich deutlich von den Positionen der AfD. Aber: Die Art und Weise, wie Aiwanger argumentiert und welche Emotionen er bedient, das ist eben durch und durch populistisch. Er gibt sich als Vertreter der kleinen Leute, die viel arbeiten müssen und nicht viel Geld verdienen. Die Freien Wähler gerieren sich seit ihrem Einstieg in die Landespolitik bis heute als Anti-Establishment-Partei, obwohl sie als Regierungspartei doch dazugehören. Die Freien Wähler hatten diesen Platz in Bayern längst besetzt, bevor die AfD aufkam - und sie sitzen dort noch, obwohl sie inzwischen mitregieren.

"Die Wortwahl von Hubert Aiwanger ist keine, die Markus Söder schätzt"

Dieses "Opposition in der Regierung"-Verhalten ist auch ein Problem für Ministerpräsident Markus Söder und die CSU - weshalb wollen sie trotzdem weiter mit den Freien Wählern zusammenarbeiten?
Die Freien Wähler sind für die CSU schon seit einigen Jahren ein echtes Problem. Und nach der Erdinger Rede und dem Aufwind in den aktuellen Umfragen sind sie es erst recht. Die Wortwahl von Hubert Aiwanger ist keine, die Söder schätzt – und natürlich wird es ihn auch ärgern, dass man sie diesem kaum übelnimmt. Stellen Sie sich vor, Söder oder ein CSU-Vertreter würde sich so öffentlich äußern, das wäre wirklich der Todesstoß für die politische Karriere. Weshalb Söder an seiner "Bayern-Koalition" festhalten will, ist wohl, weil er Aiwanger so besser unter Kontrolle hat, als wenn die Freien Wähler wieder Opposition wären...

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Die demokratischen Parteien beschwören eine "Brandmauer" gegen rechts, die nicht fallen dürfe. Gegen links gab es auch mal eine "Brandmauer", die längst gefallen ist. Also alles eine Frage der Zeit?
Die Linke ist auch heute keine komplett entradikalisierte Partei, das sieht man ja an den heftigen innerparteilichen Kämpfen, die bis heute andauern. Gemäßigt und entradikalisiert ist lediglich der ostdeutsche Teil, der ja auch – wie in Thüringen – Regierungsverantwortung übernimmt. Bei der AfD kann ich so eine Entwicklung nicht erkennen, also dass man sich durch einen "Marsch durch die Institutionen" mäßigt. Im Gegenteil: Ich bin überzeugt, dass die AfD, sollte sie irgendwo Regierungsverantwortung erhalten, ihre extremen und teils extremistischen Vorstellungen umsetzen und das verhasste "System" auch tatsächlich aushebeln will.

Politologin Ursula München: "Bei aller Radikalität gibt sich die AfD einen bürgerlichen Anstrich"

Und das befürworten auch all diejenigen, die bei der AfD ihr Kreuz machen – oder erkennen die Wählerinnen und Wähler das nicht, beziehungsweise ist es ihnen völlig egal?
Da hat sicher jede Wählerin und jeder Wähler der AfD unterschiedliche Motive. Aber man muss auch festhalten, dass wir in Deutschland schon immer – Ost wie West – einen Kernbestand an Extremisten in der Bevölkerung hatten. Den gibt es auch in anderen Staaten, dort liegt er oft sogar deutlich höher, siehe Italien oder auch Frankreich. In Deutschland fanden diese Extremisten aber bis zur Gründung der AfD keine richtige parteipolitische Heimat, denn beispielsweise NPD oder auch DVU waren zu klein und auch zu offen radikal, um diesen ganzen Kernbestand am rechten Rand des politischen Spektrums anzusprechen.

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Aber Sie sagen auch, dass die AfD im Prinzip das politische System umkrempeln will. Manche AfD-Politiker fantasieren schon über "Abrechnungen" mit System-Befürwortern. Ist das nicht offen radikal?
Das ist es. Aber bei aller Radikalität gibt sich die AfD einen bürgerlichen Anstrich. Die AfD tritt nicht durchgehend als extremistische Partei auf. Das sind einzelne Personen, einzelne Gedanken oder auch Verlautbarungen, die extremistisch sind. Und deswegen haben Wählerinnen und Wähler, die mit den anderen Parteien unzufrieden sind, keine Scheu, ihr Kreuz dort zu machen. Die AfD macht es ihren Wählern leicht, diesen "Extremismusvorwurf" für sich selbst zu verneinen, weil sie eben bürgerlicher daherkommt, als es etwa die NPD gemacht hat – und das, obwohl sich die Wahl-Slogans teilweise sehr ähnlich sind.

"Die Geflüchteten stellen keine schnelle Lösung für den Fachkräftebedarf dar"

Was macht die Menschen denn so unzufrieden? Deutschland geht es doch allen weltweiten Krisen zum Trotz nicht so schlecht, die Regierungen machen ja nicht alles nur falsch...
Das stimmt, Deutschland ist vergleichsweise gut durch die Krisen der letzten Jahre gekommen, aber trotzdem bestimmen sowohl die Krisen als auch die enormen Veränderungen unserer Gesellschaft das Leben der Menschen und auch das Handeln der Politik. Und natürlich gibt es auch Krisen, die man nicht einfach mit einem Handstreich lösen kann, auch wenn es einzelne Parteien gibt, die das behaupten. Die Migrationsfrage etwa kann kein Land für sich allein lösen – und schon gar nicht im Hauruckverfahren, indem man alle Grenzen schließen und sich aus internationalen Verträgen oder Verpflichtungen herauslösen will. Aber behaupten kann man das natürlich.

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Und was ist dann die Lösung für dieses Dilemma? Die demokratischen Parteien wissen allesamt, dass sie das Migrationsthema nicht schnell und nicht im nationalen Alleingang lösen können.
Die seriösen, demokratischen Parteien müssten sich bei diesem Thema stärker der Realität vor Ort stellen. Die Grünen zum Beispiel verknüpfen das Migrationsthema oft mit dem Fachkräftemangel. Aber die Geflüchteten stellen keine schnelle Lösung für den Fachkräftebedarf dar. Natürlich soll jeder, der auf der Suche nach Schutz zu uns kommt, auch Schutz finden in Deutschland. Aber das ändert an der Notwendigkeit einer gezielten Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland wenig. Der Bevölkerung vor Ort ist klar, dass das damit einhergehende Ausmaß an Zuwanderung nicht nur die Schulen überfordert. Und das will man offenbar nicht mehr so hinnehmen. Das erklärt den Zulauf zu einer Partei, die das Thema lautstark und polemisch anspricht. Dass deren vermeintliche Lösungen nicht tragfähig sind, stört anscheinend nicht.

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39 Kommentare
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  • lirumlarum am 01.10.2023 08:30 Uhr / Bewertung:

    Merz will Asyl-Treffen nach Wahlen, Faeser reagiert: „Verachte ich wirklich". " Dreyer wirft ihm deswegen Wahlschädigung gegenüber Faeser vor. Aber: Thema Zustrom ist nicht beliebig aus- und einschaltbar. Scholz hätte sie längst austauschen müssen. Er fühlt sich nicht wohl mit ihr: "Wahlkampf-Panne in Hessen. Scholz dreht sich weg, als Faeser ihn küssen will". Scheinbar wollte sie im Wahlkampf demonstrieren wie dicke sie mit dem Kanzler ist. Peinlich!

  • Sarah-Muc am 30.09.2023 21:56 Uhr / Bewertung:

    Gott bewahre Bayern vor den FW und Hubsi!

  • Bongo am 30.09.2023 23:02 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Sarah-Muc

    Gott bewahre Bayern vor den Grünen!

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