Dirndlmode auf dem Oktoberfest 2022: "Viel Chichi" ist nicht gefragt

Vor 30 Jahren noch waren Dirndl und Lederhosen im Festzelt die Ausnahme, inzwischen gehören sie dazu wie die Maß Bier. Gibt es etwa ein Dirndl-Dogma?
Britta Schultejans, dpa |
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Models oder Prominente präsentieren im Vorfeld des Oktoberfestes beim Dirndlgipfel die aktuelle Trachtenmode - von links Marina Hoeft (in Dirndlpunk by Angelika Zwerenz), Kristina Müller (in Dirndlmacherei), Klarika Koly (in Trachten Angermaier) und Christine Klenner (in Dirndl Liebe).
Felix Hörhager/dpa 10 Models oder Prominente präsentieren im Vorfeld des Oktoberfestes beim Dirndlgipfel die aktuelle Trachtenmode - von links Marina Hoeft (in Dirndlpunk by Angelika Zwerenz), Kristina Müller (in Dirndlmacherei), Klarika Koly (in Trachten Angermaier) und Christine Klenner (in Dirndl Liebe).
29. Gredinger Trachtenmarkt: Frau Appelt trägt eine Tracht aus Wunsiedel und Herr Appelt trägt eine Tracht aus Coburg.
Daniel Vogl/dpa 10 29. Gredinger Trachtenmarkt: Frau Appelt trägt eine Tracht aus Wunsiedel und Herr Appelt trägt eine Tracht aus Coburg.
Dirndlgipfel 2022 - von links: Die Models Suzanna Wassel (in Policarpo Trachten), Meri Pydannah (in Pia Bolte), Marina Hoeft (in Dirndlpunk by Angelika Zwerenz), Kristina Müller (in Dirndlmacherei), Klarika Koly (in Trachten Angermaier), Christine Bein (Insta: carrieforshoes in Astrid Söll), Anja Gräfin von Keyserlingk (in Mamma Bavaria by Anja Jamin), Christine Klenner (in Dirndl Liebe), Alina Ernst und Barbara De Oliviera Schaefer (in Samtherz) sowie Melinda Prade (in Tian van Tastique)
Felix Hörhager/dpa 10 Dirndlgipfel 2022 - von links: Die Models Suzanna Wassel (in Policarpo Trachten), Meri Pydannah (in Pia Bolte), Marina Hoeft (in Dirndlpunk by Angelika Zwerenz), Kristina Müller (in Dirndlmacherei), Klarika Koly (in Trachten Angermaier), Christine Bein (Insta: carrieforshoes in Astrid Söll), Anja Gräfin von Keyserlingk (in Mamma Bavaria by Anja Jamin), Christine Klenner (in Dirndl Liebe), Alina Ernst und Barbara De Oliviera Schaefer (in Samtherz) sowie Melinda Prade (in Tian van Tastique)
Der Gredinger Trachtenmarkt ist nach Angaben des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege der größte Trachtenmarkt Deutschlands.
Daniel Vogl/dpa 10 Der Gredinger Trachtenmarkt ist nach Angaben des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege der größte Trachtenmarkt Deutschlands.
Dirndl-Gipfel 2022: Foto-Shooting am Fuße der Bavaria.
Felix Hörhager/dpa 10 Dirndl-Gipfel 2022: Foto-Shooting am Fuße der Bavaria.
Gredinger Trachtenmarkt: Weber Udo van der Kolk (rechts) informiert zwei Kundinnen über die Preise seiner Stoffe.
Daniel Vogl/dpa 10 Gredinger Trachtenmarkt: Weber Udo van der Kolk (rechts) informiert zwei Kundinnen über die Preise seiner Stoffe.
Gredinger Trachtenmarkt: Der Hut mit Dachsbart ist immer noch im Trend.
Daniel Vogl/dpa 10 Gredinger Trachtenmarkt: Der Hut mit Dachsbart ist immer noch im Trend.
Dirndl-Designerin Astrid Söll bestätigt den Trend weg von zu viel Kürze und sieht eine Entwicklung hin zu mehr Qualität und Dirndln, die eine Wiesn-Saison lange überdauern.
Felix Hörhager/dpa 10 Dirndl-Designerin Astrid Söll bestätigt den Trend weg von zu viel Kürze und sieht eine Entwicklung hin zu mehr Qualität und Dirndln, die eine Wiesn-Saison lange überdauern.
Rainer Wenrich, Kunst- und Modeexperte von der Katholischen Universität Eichstätt, erwartet in diesem Jahr einen "Trend zu klassischen Linien und klassischen Formen", eher gedeckte Farben und Dirndl, die nicht mehr so kurz sind.
Daniel Vogl/dpa 10 Rainer Wenrich, Kunst- und Modeexperte von der Katholischen Universität Eichstätt, erwartet in diesem Jahr einen "Trend zu klassischen Linien und klassischen Formen", eher gedeckte Farben und Dirndl, die nicht mehr so kurz sind.
"Es hat sich ein gewisses Dogma entwickelt: Wiesn und Tracht sind ein Zwillingspärchen", sagt Aexander Wandinger vom Zentrum für Trachtengewand des Bezirks Oberbayern.
Felix Hörhager/dpa 10 "Es hat sich ein gewisses Dogma entwickelt: Wiesn und Tracht sind ein Zwillingspärchen", sagt Aexander Wandinger vom Zentrum für Trachtengewand des Bezirks Oberbayern.

München - Es ist heute kaum zu glauben, aber es soll eine Zeit gegeben haben, in der Dirndl und Lederhosen auf dem Münchner Oktoberfest eher die Ausnahme waren.

Simone Egger: "Dirndl? Das ist kein Hype, der wieder vergeht"

Eine Zeit, in der die Leute dort Jeans trugen oder gar Lederjacken. In den 80er Jahren sei das noch so gewesen, sagt Tobias Appl, Bezirksheimatpfleger in der Oberpfalz. Heute aber sei der Trend zur Tracht ungebrochen, sei "der Gruppenzwang so groß, dass das alle anhaben", auch wenn "schon erste kulturwissenschaftliche Beobachtungen zeigen, dass es nicht mehr 100 Prozent sind".

Der Trend gilt seinen Angaben zufolge längst nicht mehr nur in Bayern: "Weit über Süddeutschland hinaus sind ja inzwischen viele Volksfeste mit vermeintlich bayerischer Tracht bestückt. Ich habe solche Bilder auch schon aus Hamburg gesehen."

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"Das hat sich total etabliert und das ist kein Hype, der wieder vergeht", sagt auch Simone Egger vom Institut für Kulturanalyse an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Und Alexander Wandinger vom Zentrum für Trachtengewand des Bezirks Oberbayern sagt: "Es hat sich ein gewisses Dogma entwickelt: Wiesn und Tracht sind ein Zwillingspärchen."

Und so wird es wohl auch in diesem Jahr - wie in den Jahren vor der Corona-Pandemie auch - auf dem größten Volksfest der Welt nur so wimmeln von Menschen in Dirndl oder Lederhose.

Oktoberfest 2022:  "Züge eines internationalen Faschings im Herbst"?

"Auf der Wiesn sieht man eher nicht die Tracht, die Trachtenvereine auch wirklich als solche bezeichnen würden, sondern Billig-Dirndl vom Hauptbahnhof - oder in den nobleren Boxen dann irgendwelche lachsfarbenen Designer-Dirndl für mehrere Tausend Euro", sagt Appl und spricht von "verkleiden" und "Zügen eines internationalen Faschings im Herbst".

Wandinger führt den ungeschriebenen Dresscode nicht nur auf den Wunsch nach einem bestimmten Zusammengehörigkeitsgefühl zurück, sondern auch auf die Erotik: Die Lederhose sei eine sehr männliche Kleidung, das Dirndl eine sehr weibliche, während die Frauenmode seit dem 20. Jahrhundert zum Teil "sehr androgyn" sei.

Oktoberfest 2022: "Trend zu klassischen Linien und klassischen Formen"

Daraus auszubrechen, das scheine für viele reizvoll zu sein, sagt er. Da kommt es wohl nicht ganz von ungefähr, dass die Firma Angermaier heute Lederhosen mit eingebautem Kondomfach verkauft.

Rainer Wenrich, Kunst- und Modeexperte von der Katholischen Universität Eichstätt, erwartet in diesem Jahr einen "Trend zu klassischen Linien und klassischen Formen", eher gedeckte Farben und Dirndl, die nicht mehr so kurz sind.

Rainer Wenrich: Kaum ein "Hang zu großen Experimenten" 

Er betont die "antizipatorische" Funktion von Mode, die oft vorhersagen könne, wie sich eine gesellschaftliche Stimmung entwickle. "Es hat sich abgezeichnet schon vor geraumer Zeit, dass die Zeiten etwas anstrengender werden und das spiegelt sich auch in der Trachtenmode."

Mit einem "Hang zu großen Experimenten" sei man derzeit wohl eher zurückhaltend: "Ich schätze, dass es nicht mehr die kürzeste Variante vom Dirndl geben muss und nicht die witzigste Variante der Lederhose."

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Angermaier-Chef Axel Munz: Viele Änderungsarbeiten - wegen Corona

Das bestätigt Angermaier-Chef Axel Munz, der Flipflops auf der Wiesn zu den größten Modesünden dort zählt. Dirndl "mit viel Chichi" seien in diesem Jahr nicht sonderlich gefragt. Er sieht ebenfalls einen Trend zum längeren Dirndl, außerdem zu Samt und hochgeschlossenen Spitzenblusen.

Beschäftigt sei sein Team aber auch mit Änderungsarbeiten, sagt er - damit auch die zusätzlichen Corona-Pfunde reinpassen in die vor der Pandemie gekaufte Tracht.

Alexander Wandinger: "Tracht nicht politisch instrumentalisieren"

Dirndl-Designerin Astrid Söll bestätigt den Trend weg von zu viel Kürze und sieht eine Entwicklung hin zu mehr Qualität und Dirndln, die eine Wiesn-Saison lange überdauern. Nachhaltigkeit sei ein großes Thema in der Trachtenmode, sagen auch Munz und Experte Wenrich.

Wichtig sei beim Tragen einer Tracht vor allem, dass es "ein Spiel" bleibe, wie Wandinger sagt, und dass die Tracht nicht politisch instrumentalisiert werde, beispielsweise um andere auszuschließen.

Dass Ministerpräsident Markus Söder (CSU) vor allem aus anderen Teilen der Bundesrepublik dafür kritisiert wurde, US-Präsident Joe Biden beim G7-Gipfel mit einem Trachtenverein begrüßt zu haben, könne er verstehen: "Wenn ich Norddeutscher wäre, würde mich das auch nerven."

Für Egger sind Dirndl und Lederhosen vor allem "Projektionsflächen": "Die einen projizieren ein Bierdimpfel-Image, das sie von Bayern haben - und für die anderen ist es ein Zeichen ihrer Verwurzelung oder Verbundenheit. Die Gesellschaft macht diese Kleidungsstücke zu dem, was sie darin sehen will."

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  • Anne Häberle am 11.09.2022 10:27 Uhr / Bewertung:

    Zum Marketingwunder "schlichtes Dirndl": In Zeiten von Corona kamen die Trachten-Hersteller und Dirndl Designerinnen nicht mehr an günstiges Material für die Fertigung wie z.B. Spitzenschürzen oder Dirndlhaken, diese werden normalerweise aus China oder Indien importiert - bekannterweise war dort die Fertigung nur sehr eingeschränkt möglich. Jetzt soll jetzt der neue Trend sein das schlichte Dirndl! Ein Dirndl ohne Haken - Schnürmieder! ohne Knöpfe! - am besten mit mittigem Reißverschluss - die Fertigung eines solchen schlichten Dirndls macht den Herstellern von Dirndln viel Freude - spart man sich doch die lästigen Näharbeiten wie Knöpfe annnähen, Haken annähen, hohe Materialkosten für Spitzenschürzen. Der Kundin wird eine halbe Arbeit als neuester Trend verkauft und eine billige einfach genähte Baumwoll-Schürze als das non plus Ultra des neuesten Trends! Danke der Abendzeitung für die Verbreitung dieses neuen Trends - das spart richtig Geld in der Fertigung!

  • Chris_1860 am 11.09.2022 09:42 Uhr / Bewertung:

    Wer "Bierdimpfel" so falsch schreibt, sollte sich künftig mit Artikeln zu Bayern und Brauchtum zurückhalten!
    Im übrigen war der G7 da bei uns, da interessiert es keinen, was ein Breiss dazu denkt.

  • der neue tscharlie am 10.09.2022 17:33 Uhr / Bewertung:

    Dirndl, Lederhose: das ist kulturelle Aneignung.

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