"Münchner Gschichten": Die Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele 1972

Die Olympiade war für mich persönlich ein so einschneidendes Erlebnis, dass ich davon berichten möchte, soweit ich mich noch erinnern kann. Ich kann mir vorstellen, dass die Münchner Bürger, einschließlich ihres damaligen Oberbürgermeisters Hans-Jochen Vogel samt sonstiger Honoratioren, mit Stolz erfüllt waren, dass die Olympiade 1972 in München stattfinden sollte. Für mich war es auf jeden Fall etwas ganz Besonderes – ich war nämlich bei der Eröffnungsfeier als Akteur mit dabei.
Die Münchner Schulen waren 1971 aufgerufen, Schulkinder ab der achten Klasse für einen Tanz, der bei der Eröffnungsfeier vorgeführt werden sollte, zu trainieren.
Man musste allerdings eine bestimmte Größe haben. Und so konnten natürlich nicht alle mitmachen. Ich hatte das Glück, den vorgegebenen Maßen zu entsprechen, und war in der 9. Klasse. Bei der Eröffnungsfeier im August 1972 war ich 15 Jahre alt.
Unsere damalige Turnlehrerin trainierte uns also für diesen Tanz. Insgesamt waren es zirka 3.500 Schulmädchen und Jungs. Eigentlich wurde mehr marschiert als getanzt. Wir haben das erst als etwas langweilig empfunden.
Und die Musik (von Carl Orff) hat uns auch nicht so gut gefallen, wenn man bedenkt, dass bei uns eher T.Rex, Middle of the Road, Sweet, Abba und auch Elvis Presley (jedenfalls bei den Mädels) und auch noch die Beatles up to date waren.
Trotzdem haben wir eifrig trainiert, denn es war für uns doch ehrenvoll, bei der Eröffnungsfeier der Olympiade mitmachen zu dürfen. Wir waren alt genug, um dies zu schätzen. Bestimmt haben das die meisten von uns getan.

München zeigt sich schuhplattelnd der Welt: Die Schüler sind hautnah dabei. Foto: imago
Münchens neue U-Bahn und die schwarzfahrende Fliege
Es war geplant, für die Olympischen Spiele ein Verkehrsnetz aufzubauen, das in der Lage sein sollte, den erwarteten Besucherandrang zu bewältigen. Bei der Vergabe der XX. Olympischen Spiele 1972 durch das IOC an München im Jahr 1966 wurden daher die U-Bahn-Pläne, die bereits bestanden, weiter verfolgt. Eröffnet wurde die U-Bahn am 19. Oktober 1971.
In unserer Klasse wurde auch im Unterricht über den U-Bahnbau gesprochen und darüber, welche Möglichkeiten dieser bei der praktischen Nutzung für die Bürger eröffnet. Dabei ergab sich folgende Anekdote, die ich bis heute nicht vergessen habe:
Ein Mitschüler von uns, der manchmal ein wenig verwirrt schien (und er sah auch so aus mit seiner Wuschelfrisur) und sich hie und da für unsere Begriffe, etwas merkwürdig verhielt, hatte zur U-Bahn-Nutzung eine besondere Einstellung:
Nach der Eröffnung der U-Bahn gab es leider auch da, wie in anderen öffentlichen Verkehrsmitteln, die Schwarzfahrer. Mitten im Unterricht sprang unser Mitschüler also eines Tages unvermittelt auf, eilte zur Tafel und klatschte mit aller Kraft dagegen, so dass wir alle, einschließlich unser Lehrer, erschrocken zusammenfuhren.
Wir fragten uns, was denn jetzt wohl los sei. Auf die Frage unseres Lehrers sagte unser Mitschüler mit großem Ernst: "Ich habe gerade die Fliege erschlagen, weil sie in der U-Bahn schwarz gefahren ist – und das darf sie nicht."
Wir waren alle total verblüfft und dann mussten wir natürlich sehr lachen, wir konnten einfach nicht anders. Schließlich waren wir ja auch erst zwischen 14 und 15 Jahre alt. Sogar unser Lehrer, der noch recht jung war, musste lachen.
Blacky Fuchsberger und bunte Uniformen
Einige Tage vor der Eröffnungsfeier der Spiele wurden alle Mädchen und Jungs aus den Schulen, die trainiert hatten, drei Tage (Montag bis Mittwoch) hintereinander ins Olympiastadion zur abschließenden Übung gefahren. Schließlich musste alles koordiniert, abgestimmt und noch mal trainiert werden.
Blacky Fuchsberger, der die Eröffnungsfeier kommentierte, war auch mit dabei, um die Ansagen zu proben. Vielen Mädchen von uns hat er sehr gut gefallen.
Zwei von den Mädels und ich haben uns dann mit großem Herzklopfen getraut, in die Sprecherkabine zu gehen und um ein Autogramm zu bitten. Er war sehr nett und hat uns auch gleich je ein Autogramm gegeben. Wir waren natürlich sehr stolz darauf.
Selbstverständlich wurden wir auch eingekleidet für den großen Tag. Die Mädchen trugen einen gelben Rock und ein gelbes Shirt mit dem Olympia-Emblem und die Jungs waren in Hellblau gekleidet, natürlich in Hosen. Die Mädels hatten alle einen Blumenstrauß in der Hand, die Jungs trugen eine Girlande, die zu unserem Auftritt gebraucht wurde.

In Hellblau und Kanariengelb: Gleich werden die Münchner Schüler ihre Blumen an die Sportler überreichen – das Ende der Eröffnungsfeier.
Jeder hatte dann auch noch ein grünes Sitzkissen und wir durften, bis wir auftreten mussten, direkt an der Laufbahn rings um das Stadion sitzen, waren also hautnah am Geschehen dran. Nicht weit von meinem Sitzplatz entfernt ging die Treppe rauf, wo dann das olympische Feuer entzündet werden sollte.
An unserem großen Tag am 26. August 1972 – es war ein schöner, sonniger Tag, Gott sei Dank – fuhren im Bus eine Mitschülerin und ich in unserem gelben Dress zur Schule, wo wir dann mit einem speziellen Bus ins Stadion gefahren wurden. Klar, dass wir da von den Leuten angestarrt und auch angesprochen wurden.
Uns war schon ganz mulmig zumute bei der Vorstellung, wie viele Menschen weltweit zuschauen würden, mal ganz abgesehen von denen, die im Stadion saßen.
Auf einer großen Wiese vor dem Eingang ins Stadion waren schon viele Menschen versammelt: die Mitwirkenden, die ganzen Sportler der Nationen und natürlich auch die israelische Mannschaft.
"Münchner Mädchen und Buben entbieten den Gruß der Jugend"
Niemand hätte sich an diesem wunderschönen Tag vorstellen können, dass am 5. September 1972 dieser furchtbare Terroranschlag auf die olympische Mannschaft der Israelis passieren würde. Wir waren fassungslos.
Es wurde damals darüber diskutiert, ob man die Spiele abbrechen sollte. Aber Avery Brundage – er war der fünfte Präsident des Internationalen Olympischen Komitees – wollte, dass die Spiele weitergehen: "The show must go on." Es war bestimmt auch besser so.
Diese tragischen Ereignisse berühren mich bis heute. Es ist sehr traurig, dass die Sommerspiele 1972 in München, die doch so fröhlich angefangen haben und als die "heiteren Spiele" in die Geschichte eingehen sollten, nun leider auch mit dem schrecklichen Geschehen verbunden sind.
Aber noch waren wir unbeschwert. Als es an der Zeit war, marschierten wir erst mal ins Stadion ein – bevor die Übertragung der Eröffnung begann – und nahmen unsere Plätze auf unseren Sitzkissen ein. Nach den Ansprachen erfolgte dann der Einmarsch der 122 Nationen. Das war schon sehr schön, alles hautnah mit ansehen zu dürfen.
Nachdem die deutsche Mannschaft am Schluss einmarschiert war, begann unser Auftritt. Nach der Musik von Carl Orff marschierten wir dann los und tanzten. Viele Jahre später erst konnte ich mir diesen Tanz mal auf DVD ansehen. Es war schön, verfolgen zu können, wie alles gewirkt hat.
Blacky Fuchsberger kündigte uns ungefähr folgendermaßen an: "Münchner Mädchen und Buben entbieten den Gruß der Jugend." Die Aufregung legte sich, als wir anfingen. Es klappte alles ganz wunderbar. Danach gab es natürlich auch noch Vorführungen. Es wurde ganz besonders feierlich, als der Fackelträger Günter Zahn, ein deutscher Langstreckenläufer, ins Stadion einlief und gleich in meiner Nähe dann die Treppe hinauflief und das Olympische Feuer entzündete.
Ich merkte, wie ich eine Gänsehaut bekam, so feierlich war mir zumute. Die Olympischen Spiele waren eröffnet und später dann, als alles vorbei war und die Übertragung endete, haben eine Mitschülerin und ich unsere Blumensträuße je einem Sportler geschenkt.
Bei der Eröffnungsfeier 1972 mitmachen zu dürfen, betrachte ich auch heute noch als eine große Ehre – das gehört zu meinen schönsten Erinnerungen.
Und was haben Sie erlebt? Schreiben Sie an die AZ!
Die AZ wird Sie in diesen Sommertagen unterhalten mit Geschichten aus den Zeiten, in denen München doch noch münchnerischer war als heute. Als Stenze durch die Stadt strawanzten – und Striezis und Schandis aneinandergeraten sind.
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Kennwort: Gschichten
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Die AZ wird ausgewählte Gschichten veröffentlichen.
Lesen Sie hier Teil 4 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "An Zwickl-Fünfer mit de kurzn Kartn"
Lesen Sie hier Teil 6 der AZ-Serie "Münchner Gschichten": "Ich war nie ein Striezi oder ein Stenz"