Insolvenz-Verwalter befürchtet: Signa reißt noch andere Firmen mit
München - AZ-Interview mit Axel W. Bierbach Der Top-Wirtschaftsanwalt hat schon über 1000 Firmeninsolvenzen gemanagt. Gerettet hat er u. a. das Bratwurst Glöckl am Dom.
AZ: Herr Bierbach, René Benkos Signa, Galeria, Sport Scheck, Wormland – alles Firmen, die kürzlich Insolvenz angemeldet haben. Dazu kommen Immobilien-Projektentwickler und Krankenhäuser. Warum erwischt es gerade so viele?
AXEL BIERBACH: Die Ursachen sind sehr unterschiedlich. Signa muss man für sich betrachten, da fällt ein ganzer Konzern in sich zusammen. Das hat möglicherweise seine Gründe auf der Finanzierungs- und Immobilienseite. Bei Wormland kann ich die Ursachen nicht beurteilen; ich vermute, dass es da auch um die aktuelle Konsumzurückhaltung geht. Die Situation im Handel ist schwierig. Bei den Projektentwicklern sind es eindeutig die stark gestiegenen Finanzierungszinsen, die in kürzester Zeit von ein auf etwa vier Prozent gestiegen sind – sowie die stark gestiegenen Baukosten.
Signa, Galeria, SportScheck, Wormland: So geht's den Insolvenz-Firmen in München
Sie sind vorläufiger Insolvenzverwalter für SportScheck und mehrere Tochtergesellschaften von Euroboden. Wie steht's um diese Münchner Firmen?
Zu SportScheck kann ich noch nichts sagen; das ist ein laufender Prozess, in dem wir nach einer guten Lösung für das Unternehmen suchen. Euroboden ist ein großer und bekannter Projektentwickler mit guten Bauprojekten, den leider die Baukrise erwischt hat. Die Mitarbeiter leisten nach wie vor einen tollen Job. Wir stellen zusammen mit dem Team Projekte fertig oder verkaufen die projektierten Grundstücke.

Wann genau muss ein Unternehmen Insolvenz anmelden?
Wenn es zahlungsunfähig ist, das heißt, spätestens, wenn es nicht innerhalb von drei Wochen 90 Prozent seiner fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten bezahlen kann. Oder wenn es überschuldet ist. Das heißt, wenn die Passiva höher sind als das Aktivvermögen und das Unternehmen nicht für die nächsten zwölf Monate durchfinanziert ist. Auch wenn Zahlungsunfähigkeit droht, ist bereits eine Insolvenzanmeldung möglich.
Heißt das, je früher Insolvenz angemeldet wird, desto besser sind die Rettungschancen?
Ja, ich vergleiche das gern mit einem Patienten. Wenn er in einem frühen Krankheitsstadium zum Arzt geht, ist es natürlich besser, als wenn er gleich auf die Intensivstation muss. Wenn ein Betrieb schon zwei Monate keine Löhne mehr bezahlt hat, wird es sehr schwierig. Ein entscheidender Punkt ist, dass in einem frühen Stadium das Vertrauen noch da ist: das Vertrauen der Belegschaft, aber auch der Kunden und Lieferanten.
Sanierungsexperte Axel Bierbach: Warum die Bank besser davon kommt als der Handwerker
Galeria ist im Regelinsolvenzverfahren. Bei den letzten beiden Insolvenzen waren es Verfahren in Eigenverwaltung. Was ist der Unterschied?
Im Eigenverwaltungsverfahren obliegt die Verantwortlichkeit der Geschäftsführung. Sie holt sich in der Regel Fachleute begleitend dazu, die auf Restrukturierung und Insolvenzverwaltung spezialisiert sind. Die Sanierungsmaßnahmen, die ergriffen werden können, sind aber dieselben. In der öffentlichen Wahrnehmung ist die Eigenverwaltung von Vorteil, weil zum Ausdruck gebracht wird, dass noch Liquidität für sechs Monate vorhanden ist und das Unternehmen bis dahin ordentlich geführt wurde. Wenn das nicht der Fall war, ist keine Eigenverwaltung möglich.

Gibt's Voraussetzungen für die Eigenverwaltung?
Die Eingangshürden sind relativ hoch. Es muss eine Unternehmens- und Sanierungsplanung geben und es muss Liquidität für die nächsten sechs Monate nachgewiesen werden.
Wie viel Prozent ihrer Forderungen erhalten Gläubiger im Schnitt im Insolvenzverfahren?
Im Bundesdurchschnitt sind es etwa zehn Prozent. In unserer Kanzlei sind die Quoten oft deutlich höher. Wie hoch sie am Ende sind, hängt von der Sanierbarkeit ab, von der rechtzeitigen Antragstellung und davon, wie hoch die Verbindlichkeiten sind. Die Gläubigerautonomie wird großgeschrieben. Die Gläubiger werden durch Ausschüsse und Versammlungen repräsentiert und können auf diese Weise wesentliche Entscheidungen beeinflussen.
Werden alle Gläubiger gleichbehandelt? Der kleine Handwerksbetrieb genauso wie die Bank, die einen Millionenkredit gegeben hat?
Im Grundsatz werden sie gleichbehandelt. Aber es müssen vertraglich vereinbarte und gesetzliche Sicherheiten berücksichtigt werden, zum Beispiel beim Grundpfandrecht, bei Forderungsabtretungen oder beim Werkunternehmerpfandrecht. Die gesicherten Gläubiger werden zuerst befriedigt. Was dann übrig bleibt, wird an die ungesicherten Gläubiger ausgezahlt. Für Handwerker oder Anleihegläubiger ist das problematisch, da sie oft ungesicherte Forderungen haben.
Das heißt, die Bank kommt deutlich besser davon als der Handwerker.
In der Regel ja. Nehmen Sie eine Immobilieninsolvenz: Da gibt es eine Projektgesellschaft mit einer Immobilie, die in der Regel von einer Bank finanziert ist. Man verkauft die Immobilie, und die Bank bekommt das zurück, was das Grundstück wert ist. Das sind oft 70, 80 oder 90 Prozent. Eine Bank würde sonst keine Kredite vergeben. Es wäre ja auch fahrlässig, wenn man Kredite ohne Absicherung gibt.
Sanierungsplan = Stellenabbau? "Meistens sind die Personalkosten der größte Kostenfaktor"
Lassen Sie uns über Rettungen sprechen. Wann stehen die Überlebenschancen gut?
Wenn es einen tragfähigen Geschäftsgegenstand und tragfähige Unternehmenskonzepte gibt und rechtzeitig Insolvenzantrag gestellt wird. Wenn das Vertrauen verspielt ist, wird's schwierig.
Bedeutet ein Sanierungsplan immer Stellenabbau?
Fast immer. Meistens sind die Personalkosten der größte Kostenfaktor. Die Insolvenz führt oft zu einem gewissen Gesundschrumpfen, zum Beispiel werden nicht mehr profitable Geschäftsbereiche aufgegeben und diesen Mitarbeitern muss dann, möglichst sozialverträglich, gekündigt werden. Die Sanierung durch einen Verkauf führt auch häufig dazu, dass Mitbewerber gewisse Synergieeffekte nutzen. Das heißt, sie können in zentralen Bereichen wie der Buchhaltung oder der Verwaltung Arbeitsplätze einsparen.
Gibt es eine Sanierung, auf die Sie besonders stolz sind?
Uns sind zum Glück schon ganz viele Unternehmenssanierungen gelungen, vor allem auch von vielen Münchner Traditionsbetrieben: im Gesundheitswesen, in der Gastronomie oder in der Produktion. Alle hatten einen guten Kern. Das macht viel Freude.
Setzt Ihnen das manchmal zu, wenn eine Firma ums Überleben kämpft und viele Mitarbeiter ihre Jobs verlieren?
Zusetzen nicht, aber es beschäftigt einen schon. Das nimmt man auch mit nach Hause, keine Frage. Wahrscheinlich ähnlich wie ein Arzt, der die Dinge nüchtern betrachten und angehen muss, aber natürlich auch die persönlichen Schicksale dahinter sieht.
Rechnen Sie damit, dass die Signa noch andere mit in den Abgrund reißt, zum Beispiel Bau- und Handwerksbetriebe?
Das ist zu befürchten. Es passiert immer wieder, dass größere Unternehmen andere mitreißen, wenn sie in die Insolvenz gehen. Das gibt es oft im Baubereich und das gab es auch schon bei den vorherigen Galeria-Insolvenzen. Ich war selbst Insolvenzverwalter einer Firma, die zahlreiche Galeria-Objekte gereinigt hat. Nach deren Insolvenz bekam die Firma für ein oder zwei Monate nichts bezahlt. Dieses Geld hatte die Firma nicht angespart; das verursachte die Zahlungsunfähigkeit. Aber auch dieses Unternehmen konnten wir sanieren.
"Aber bei den meisten Unternehmern kommt die Insolvenz unverschuldet"
Benko soll Milliardär sein, auch der Euroboden-Chef ist reich, zumindest hat er ja wohl seinen Hochbunker an der Ungererstraße für rund elf Millionen verkauft. Warum wird Privatvermögen bei Firmeninsolvenzen nicht angetastet?
Zu beiden Fällen kann ich überhaupt nichts sagen. Im Grundsatz schützt eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung das Privatvermögen. Dafür ist die Abgrenzung ja da. Durchbrochen wird das nur, wenn es um Haftungsfragen geht. Wie das in diesen konkreten Fällen ist, vermag ich nicht zu sagen. Man sollte aber auch sehen, dass Finanzierer oft auch Sicherheiten im Privatbereich verlangen.
Ein Beispiel?
Nehmen wir einen Handwerker, der eine GmbH hat: Wenn der zur Bank geht und sagt, er braucht einen Kredit von 500.000 Euro, was gibt er dann als Sicherheit? Sein Häuschen. Das kann also bis unter den Schornstein belastet sein. Ich habe schon viele gesehen, von denen man von außen dachte, die hätten noch ganz viel. Aber am Ende haben auch sie durch die Insolvenz viel Geld verloren.
Nach einer Privatinsolvenz geht alles, was jemand über einen gewissen Betrag hinaus verdient, gleich weg, um damit seine Schulden zu tilgen...
Es bleibt nur der Pfändungsfreibetrag.
Wie ist das bei einem Unternehmer? Wann darf er eine neue GmbH gründen und damit wieder Geld verdienen?
Im Grundsatz sofort, es hindert ihn niemand daran. Wir in Deutschland sind sehr wertkonservativ. In anderen Ländern ist das Scheitern nicht ganz so verpönt und das Privatvermögen wird noch mehr geschützt.
Wo zum Beispiel?
In den USA können Sie in der Regel nicht das Privathaus des Unternehmers pfänden. Bei uns muss er erst bis auf die Unterwäsche gepfändet werden. Man muss es mal so sehen: Unternehmer sind Leute, die sich was trauen. Es gibt zwar auch wenige, die es darauf anlegen, dass alles krachend zusammenfällt. Aber bei den meisten kommt die Insolvenz unverschuldet – weil sie krank werden, weil sich die Märkte ändern, weil die Zinsen innerhalb weniger Monate stark steigen. Das sind dann äußere Gründe. Ich persönlich fände es gut, wenn es für die Idee der zweiten Chance, also dass man wieder aufsteht und etwas Neues anfängt oder das Alte saniert wird, mehr Akzeptanz gäbe. Bei uns wird so wenig gegründet wie seit langem nicht mehr. Wir brauchen Menschen, die gründen!
Liegt die Zurückhaltung auch an der Angst vorm Scheitern?
Das hat verschiedene Gründe, auch die Bürokratie spielt dabei eine Rolle. Aber ich stelle fest, dass die jüngere Generation eine etwas andere Einstellung hat: Junge Unternehmer stellen öfter rechtzeitig einen Insolvenzantrag und haben oft auch einen anderen Bezug zum Unternehmen: Es muss nicht immer gleich ein Lebenswerk sein, das über drei Generationen geht. Es kann auch etwas sein, das mal eine Zeit lang funktioniert. Märkte ändern sich schneller, die Lebenszyklen der Unternehmen auch.
Ihre Prognose für Galeria?
Ich habe keine Insiderkenntnisse. Ich hoffe, dass es den Kollegen gelingen wird, im Interesse der Innenstädte, der Kunden und vor allem der Belegschaft einen Großteil der Häuser zu halten. Das muss diesmal ohne die Hilfe der Signa gelingen, was vielleicht auch eine Chance ist.
Nach Euroboden-Insolvenz: Prestigeprojekt findet neuen Investor
Im August 2023 musste der Münchner Projektentwickler Euroboden von Stefan Höglmaier Insolvenz anmelden. Die Verwandlung von einem Kriegs- in einen Luxuswohnbunker in der Ungererstraße und die Sanierung und Erweiterung vom Derzbachhof (Münchens ältestem Bauerhof) gehören zu seinen bekanntesten Projekten.

Zuletzt hatte Höglmaier noch 20 Projekte am Laufen, darunter am Starnberger See, wo 24 Luxus-Reihenhäuser geplant waren. In der Insolvenz wurden alle Arbeiten gestoppt, sämtliche Projekte werden verkauft. Für das Prestigeobjekt in Berg ist nun ein neuer Investor gefunden: die pro-invest-Gruppe aus Ulm. Chef Rainer Staiger will bald nach den bisherigen Plänen weiterbauen. Etwa ein Jahr später soll alles fertig sein.
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