Flugblatt von Hubert Aiwangers Bruder: Jetzt will Markus Söder Klartext reden
München - Sollte der stellvertretende bayerische Ministerpräsident und Freie Wähler-Vorsitzende Hubert Aiwanger geglaubt haben, mit den am Sonntag abgegebenen Erklärungen wäre die Affäre um ein antisemitisches Flugblatt im Wesentlichen ausgestanden, so hat er sich getäuscht.
Die Wogen der Entrüstung schlugen auch am Montag hoch und erreichten zudem den Koalitionspartner CSU und die Bundesregierung. Über das Schicksal Aiwangers wird mit großer Wahrscheinlichkeit am Dienstag entschieden, wenn auf Einladung von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) eine Sondersitzung des Koalitionsausschusses zusammentritt.
Antisemitisches Flugblatt: Hubert Aiwanger muss im Koalitionsausschuss Rede und Antwort stehen
Vor den Partei- und Fraktionsvorsitzenden wird Aiwanger, der als Freie-Wähler-Chef qua Amt dem Gremium angehört, um klarere Auskünfte nicht herum kommen. Staatskanzleiminister Florian Herrmann (CSU) hatte die Sitzung am Montagmorgen mit einem nicht zu überhörenden drohenden Unterton angekündigt.

Die Vorwürfe gegen Aiwanger seien "zu ernst, als dass sich ein stellvertretender Ministerpräsident nur schriftlich äußert und entscheidende Fragen unbeantwortet lässt", so die rechte Hand von Regierungschef Söder. Aiwanger müsse sich über die schriftliche Stellungnahme hinaus "persönlich und umfassend erklären". Es gehe "um das Ansehen Bayerns".
Aiwangers Bruder wollte sich gegen "linksradikale Lehrer" wehren
Indes nimmt Helmut Aiwanger (53) seinen Bruder Hubert (52) abermals in Schutz – und teilt richtig aus. Seine Schulzeit war offenbar für ihn so entsetzlich, dass sie in jenem unsäglichen Flugblatt mündete. "Ich wollte mich irgendwie wehren und meine Lehrer so richtig auf die Palme bringen", sagt er der Mediengruppe Bayern am Montag.
Der Grund dafür ist bemerkenswert: Es sei ein Kulturschock für ihn gewesen, als er auf das Gymnasium übergetreten sei. Während in seiner Heimat jeder die CSU gewählt habe, sei er am Burkhart-Gymnasium in Mallersdorf-Pfaffenberg im Landkreis Straubing-Bogen auf "offen linksradikale Lehrer getroffen".

Helmut Aiwanger: Problematische Schulzeit sei in Flugblatt gemündet
Diese hätten immer wieder Aussagen wie "Bauern sind blöd" oder "Tierhaltung ist Tierquälerei" getroffen. Helmut Aiwanger sagt, das habe an seinem Weltbild gerüttelt. Aber auch der Aufruf seiner Lehrer, an den Demos gegen die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf teilzunehmen. Helmut Aiwanger wird auch so zitiert, dass erklärt worden sei, "Polizisten knüppeln friedliche Demonstranten – während RAF-Morde nicht verurteilt wurden."
Dass er sitzengeblieben sei – bei Helmut Aiwanger klingt es fast, als ob eine linke Verschwörung dahinter steckt. Und eben nicht schlechte Noten. "Ich hatte ständig Meinungsverschiedenheiten mit Lehrern und wurde wegen Kleinigkeiten zum Schuldirektor geschickt, um mich zu erklären", sagt er der Mediengruppe Bayern. Das sei dann eben in jenem Flugblatt gemündet – laut Helmut Aiwanger eine "stark überspitzen Form der Satire", um noch mehr zu provozieren - anscheinend hatte das Sitzenbleiben noch nicht ausgereicht.
Helmut Aiwanger beteuert, sich vom "unsäglichen Inhalt" des Flugblatts zu distanzieren
Es sei ihm nicht darum gegangen, "Nazis zu verherrlichen, den Holocaust zu leugnen oder Hass und Gewalt zu schüren." Er distanziere sich "damals wie heute" von diesem "unsäglichen Inhalt".
Dass er über die Nazizeit Bescheid gewusst habe, räumt er, der heute Waffenhändler im niederbayerischen Rottenburg (Landkreis Landshut) ist, ein: "Bei der Aufarbeitung des Dritten Reichs und des Holocausts spielten im Unterricht natürlich immer wieder die grausamen Hinrichtungsmethoden der Nazis eine wichtige Rolle." Er habe gewusst, dass es ein menschenverachtendes Verbrechen war, über das man keine Witze macht.
Hubert Aiwanger und die antisemitischen Flugblätter: Es bleiben Fragen offen
Doch noch bleiben Fragen offen: Auf Nachfrage der Mediengruppe Bayern, warum Hubert Aiwanger Flugblätter in seiner Schultasche gehabt habe, sagt Helmut, er sei sich nicht ganz sicher. "Aber ich glaube, dass Hubert sie wieder eingesammelt hat, um zu deeskalieren." Gefragt scheint er ihn nicht zu haben.
Auffällig außerdem: Helmut sagt nicht explizit, dass sein Bruder das Flugblatt nicht geschrieben habe, obwohl es mit "wir" unterzeichnet ist. Mit keinem Wort spricht Helmut Aiwanger davon, wie unangenehm es war, dass sein Bruder Hubert die Strafe für ihn übernommen hat und wie und ob die beiden das damals geklärt hatten.
Kritik an "Verdachtsberichterstattung" der "Süddeutschen Zeitung"
Stattdessen holt Helmut Aiwanger zum Gegenschlag aus und kritisiert die "sträfliche Art und Weise der Verdachtsberichterstattung, um meinem Bruder politisch und menschlich zu schaden". Er spricht von "Stasi-Methoden" und einer "Schmutzkampagne". Aber Helmut Aiwanger geht noch weiter und greift die Medien insgesamt an: "Mir stellt sich jetzt natürlich die Frage, ob auch Medienberichte zu anderen Themen manipulativ und erlogen sind."
Die "SZ" beruft sich auf mehrere Personen, laut denen Hubert Aiwanger der Autor gewesen sein soll. Allerdings wollten diese sich aus Sorge vor dienstrechtlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen nicht namentlich zitieren lassen. Zudem haben weitere Personen der "SZ" laut Bericht geschildert, Hubert Aiwanger sei für seine rechte Gesinnung bekannt gewesen. Außerdem soll er damit angegeben haben, dass er Hitler-Reden einstudiert und "Mein Kampf" gelesen habe. Berlin mischt sich inzwischen in die Causa Aiwanger ein: Sowohl Vize-Regierungssprecher Wolfgang Büchner als auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann forderten am Montag Aufklärung.