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Wirbel um Aiwanger: Flugblatt-Verfasser gibt sich zu erkennen

Ein antisemitisches Flugblatt, verfasst vor 35 Jahren: Sechs Wochen vor der Landtagswahl ist Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger auch nach seinen Erklärungen unter Druck.
rm, aw, dpa |
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Hat er als Schüler ein antisemitisches Flugblatt verfasst? Hubert Aiwanger.
Hat er als Schüler ein antisemitisches Flugblatt verfasst? Hubert Aiwanger. © picture alliance/dpa

Augsburg/München - Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger (52) hat am Samstagabend schriftlich zurückgewiesen, als Minderjähriger zu Schulzeiten in den 1980er Jahren ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) berichtet hatte. "Ich habe das fragliche Papier nicht verfasst und erachte den Inhalt als ekelhaft und menschenverachtend", hieß es in einer Erklärung Aiwangers.

Söder fordert öffentliche Erklärung von Aiwanger

Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien "ein oder wenige Exemplare" in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz nach Aiwangers Erklärung gestand Aiwangers Bruder Helmut, das Pamphlet geschrieben zu haben. Der ist ein Jahr älter als Hubert Aiwanger und war zur fraglichen Zeit in der gleichen Schulklasse wie sein Bruder.

Sechs Wochen vor der Landtagswahl ist Bayerns Vize-Regierungschef auch nach seinen Erklärungen zu einem antisemitischen Flugblatt aus Schulzeiten unter Druck. 

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte seinen Stellvertreter Hubert Aiwanger auf, die Vorwürfe umgehend aufzuklären. "Diese Vorwürfe müssen jetzt einfach geklärt werden. Sie müssen ausgeräumt werden und zwar vollständig", sagte Söder am Samstag am Rande eines Termins in Augsburg. "Es sind schlimme Vorwürfe im Raum. Dieses Flugblatt ist menschenverachtend, geradezu eklig."

Aiwanger sollte ursprünglich auch zu dem Termin auf einem Volksfest in Augsburg kommen. Er war aber nicht erschienen. CSU-Chef Söder sagte an die Adresse seines Koalitionspartners: "Deswegen ist die zentrale Forderung jetzt auch an Hubert Aiwanger, schlichtweg die Dinge einfach zu klären und öffentlich zu erklären."

SZ-Bericht: Das steht in dem besagten Flugblatt

Die "Süddeutsche Zeitung" hatte über das Flugblatt berichtet. In dem Bericht wird erwähnt, dass Aiwanger zum Zeitpunkt des Flugblatts 17 Jahre alt und Schüler der elften Klasse am Burkhart-Gymnasium in Mallersdorf-Pfaffenberg war. Das Flugblatt soll eine Reaktion auf den "Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte um den Preis des Bundespräsidenten" gewesen sein und soll laut "SZ" zur Teilnahme an einem angeblichen Bundeswettbewerb mit dem Titel "Wer ist der größte Vaterlandsverräter?" aufgerufen haben. Der erste Preis soll ein "Freiflug durch den Schornstein in Auschwitz" gewesen sein, als weitere Gewinne soll etwa ein "lebenslänglicher Aufenthalt im Massengrab (Ort nach Belieben)" ausgelobt worden sein, wie die "SZ" aus dem Flugblatt zitiert.

Antisemitisches Flugblatt: Schwere Vorwürfe gegen Hubert Aiwanger 

Wie das Blatt berichtet, soll das Flugblatt an der Schule in Mallersdorf-Pfaffenberg weithin bekannt gewesen sein. Ebenso die Tatsache, dass Aiwanger damals als mutmaßlicher Verfasser dafür vom Disziplinarausschuss der Schule zur Verantwortung gezogen worden sei. Ein Lehrer, der damals im Disziplinarausschuss vertreten war, wird von der "SZ" mit den Worten zitiert, er habe "Aiwanger als überführt betrachtet, da in seiner Schultasche Kopien des Flugblatts entdeckt worden waren". Ein weiterer Zeuge soll zudem ausgesagt haben, dass Aiwanger seine Urheberschaft nicht bestritten hatte.

Freie Wähler stellen sich vor Hubert Aiwanger 

Hubert Aiwanger wehrt sich gegen die Vorwürfe, er habe in seiner Zeit als Gymnasiast und Schülersprecher das Flugblatt verfasst. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Freien Wähler im Bayerischen Landtag, Fabian Mehring, teilte auf Anfrage mit, Aiwanger habe gegenüber der Freie Wähler-Fraktion wie auch den anderen Kabinettsmitgliedern seiner Partei "persönlich und glaubhaft versichert, nicht Urheber der widerlichen Hetzschrift zu sein, die laut Medienberichten vor über 35 Jahren auf der Schultoilette des niederbayerischen Gymnasiums aufgetaucht ist".

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Es sei bemerkenswert, "welche Kampagnen sechs Wochen vor wichtigen Wahlen gegen uns gefahren werden, nachdem wir Freie Wähler auf der politischen Erfolgswelle schwimmen".

Aiwanger erklärt sich und nimmt Stellung zu den Vorwürfen

In einer schriftlichen Erklärung teilte der Freie-Wähler-Chef am Samstagabend mit: "Ich habe das fragliche Papier nicht verfasst und erachte den Inhalt als ekelhaft und menschenverachtend." Er fügte hinzu: "Der Verfasser des Papiers ist mir bekannt, er wird sich selbst erklären." Weder damals noch heute war und und sei es seine Art gewesen, "andere Menschen zu verpfeifen", erklärte Aiwanger.

"Bei mir als damals minderjährigen Schüler wurden ein oder wenige Exemplare in meiner Schultasche gefunden", erklärte Aiwanger nun zu dem Flugblatt. "Daraufhin wurde ich zum Direktor einbestellt. Mir wurde mit der Polizei gedroht, wenn ich den Sachverhalt nicht aufkläre."

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Seine Eltern seien in den Sachverhalt nicht eingebunden gewesen. Als Ausweg sei ihm angeboten worden, ein Referat zu halten. "Dies ging ich unter Druck ein. Damit war die Sache für die Schule erledigt." Aiwanger fügte hinzu: "Ob ich eine Erklärung abgegeben oder einzelne Exemplare weitergegeben habe, ist mir heute nicht mehr erinnerlich. Auch nach 35 Jahren distanziere ich mich vollends von dem Papier."

Aiwangers Bruder stellt sich: "Ich habe das Flugblatt verfasst"

Später räumte dann der Bruder von Hubert Aiwanger ein, zu Schulzeiten vor mehr als 30 Jahren ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben. "Ich bin der Verfasser des in der Presse wiedergegebenen Flugblattes", heißt es in einer persönlichen Erklärung des Bruders, die ein Freie-Wähler-Sprecher am Samstagabend weiterleitete.

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"Ich distanziere mich in jeder Hinsicht von dem unsäglichen Inhalt und bedauere sehr die Folgen dieses Tuns. Ich war damals total wütend, weil ich in der Schule durchgefallen war. Ich war damals noch minderjährig." Zuvor hatte die Mediengruppe Bayern über das Eingeständnis des ein Jahr älteren Bruders berichtet.

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In Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Die CSU hatte stets erklärt, die Koalition mit den Freien Wählern fortsetzen zu wollen.

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Aus der Politik kamen umgehend aus fast allen Richtungen Forderungen nach Konsequenzen. Die SPD-Fraktion beantragte eine Sondersitzung des Bayerischen Landtags, der in der Sommerpause ist. SPD-Fraktionschef Florian von Brunn sagte laut einer Mitteilung: "Das Flugblatt ist Rechtsextremismus der untersten Schublade, dass die Millionen Opfer des Holocausts und der Nazi-Diktatur auf das Übelste verunglimpft."

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Die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Katharina Schulze und Ludwig Hartmann sagten einer Mitteilung zufolge: "Wenn die Vorwürfe sich bewahrheiten, dann muss Markus Söder Hubert Aiwanger entlassen." Für die FDP forderte Fraktionsvorsitzender Martin Hagen: "Hubert Aiwanger muss sich persönlich erklären und die Vorwürfe ausräumen."

Antisemitismus-Beauftragter reagiert auf Vorwürfe gegen Aiwanger

Auch der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hat sich angesichts von Vorwürfen gegen Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger (Freie Wähler) wegen eines antisemitischen Flugblatts in die Diskussion eingeschaltet. "Sollten die Vorwürfe zutreffen, ist Herr Aiwanger aus meiner Sicht als stellvertretender Ministerpräsident von Bayern und anderer Ämter untragbar", sagte Klein der "Bild am Sonntag".

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"Derartige menschenverachtende Äußerungen über Opfer des Holocaust dürfen von niemandem - auch nicht Jugendlichen - geäußert werden", sagte Klein demnach. "Dies muss Konsens aller demokratischen Parteien sein."

Auch der bayerische Antisemitismus-Beaufragte Ludwig Spaenle äußerte sich deutlich: "Die Inhalte des Flugblattes oder dieses Pamphlets sind nicht anders als Hardcore-Antisemitismus zu bezeichnen. Deshalb ist eine umfängliche und zeitnahe Klärung zwingend und konsequent."

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  • Löwenstark am 28.08.2023 07:27 Uhr / Bewertung:

    Ich glaube besser kann man es nicht ausdrücken. Gut, dass es auch noch vernünftige Menschen gibt.

    https://www.bild.de/politik/inland/politik-ausland/politische-vernichtung-wolffsohn-verteidigt-aiwanger-85194990.bild.html

  • ClimateEmergency am 29.08.2023 02:15 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Löwenstark

    ernsthaft Bildzeitung?
    sagt viel übers Niveau aus

  • muc_original_nicht_Plagiat! am 28.08.2023 06:16 Uhr / Bewertung:

    Hier ein Auszug aus einem sehr starken Kommentar von Prof. Dr. Michael Wolffsohn (Quelle: Bild)

    er schreibt :
    "(...) Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt mehrheitlich gegen die jetzige Koalition aus CSU und Freien Wählern in Bayern. Das ist ihr gutes demokratisches Recht. Aber weder Aktivismus noch Verdachtsjournalismus sind Qualitätsjournalismus.
    (...) Gerade, wer auf dem moralisch hohen Ross sitzt, sollte den Gegner nicht mit unsauberen Mitteln politisch vernichten wollen. Denunziantentum ist inakzeptabel – auch wenn man, wie ich, nicht die Partei Aiwangers wählt. Und, liebe deutsche Mitbürger, hört mit den unsäglichen Judenspielen auf, wenn ihr eure persönlichen oder politischen Süppchen kocht."

    Autor: *Prof. Dr. Michael Wolffsohn , geboren 1947 in Tel Aviv als Sohn und Enkel von Holocaust-Überlebenden. Historiker. Autor der Bücher „Eine andere Jüdische Weltgeschichte“ (2022) und „Ewige Schuld? 75 Jahre deutsch-jüdisch-israelische Beziehungen“ (2023)

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