Die Münchner Korruptionsjäger: "Wir stechen ins Wespennest"
München - Bei der Staatsanwaltschaft München I wurde 1994 die erste deutsche Schwerpunktabteilung für die Verfolgung von Korruption gegründet. Was genau passiert dort?
Die AZ hat Hildegard Bäumler-Hösl (59), die als Leiterin der Korruptionsabteilung seit 2004 dabei ist, und Staatsanwalt und Ermittler Benedikt Niedermayer (34) gefragt.
AZ: Wie sieht der Alltag eines Korruptionsermittlers aus?
BENEDIKT NIEDERMAYER: Eigentlich lässt sich so ein typischer Arbeitsalltag pauschal gar nicht beschreiben. Es gibt aber zwei Merkmale, die den Alltag prägen. Das eine ist, dass man es mit wesentlich dickeren Akten zu tun hat als in einer Nicht-Spezialabteilung. Das hat natürlich damit zu tun, dass wir bei Durchsuchungen umfangreiche Datenmengen sichern und die Auswertungen der Datenträger dann entsprechende Ordner füllen. Das ist generell typisch für Wirtschaftsstrafsachen.
Keine Zeugen: Korruption ist ein "geheimes Delikt"
Speziell bei Korruptionsstraftaten kommt jedoch hinzu, dass Korruption zunächst ein "geheimes" Delikt ist. Anders als bei Gewaltdelikten gibt es in der Regel nicht den einen Zeugen, der das Tatgeschehen beschreiben kann, da sich bei der Korruption beide Seiten, also Bestecher und Bestochener, strafbar gemacht haben und beiden als Beschuldigten ein Aussageverweigerungsrecht zusteht. Daher ist man bei Korruptionsermittlungen umso mehr auf die Auswertung von Daten angewiesen. Dieser Umgang mit umfangreichen Beweismitteln und das damit einhergehende "Wälzen dicker Akten" prägt den Arbeitsalltag und bereitet mir persönlich sehr viel Freude.
Akten wälzen macht Spaß?
NIEDERMAYER: Ja, gerade wenn man die Dinge im Zusammenhang betrachtet, sich die Einzelerkenntnisse Schritt für Schritt zu einem Bild zusammenfügen und man so auf größere Strukturen und Muster stößt, die den Taten zugrunde liegen. Das sind dann jeweils für sich genommen kleine Erfolgserlebnisse und macht wirklich sehr viel Spaß.
Und das zweite Merkmal?
NIEDERMAYER: Wenn ich sage, dass die Arbeit in der Korruptionsabteilung besonders abwechslungsreich ist, mag das nach dem bisher Gesagten für Außenstehende etwas paradox klingen, ist es aber tatsächlich nicht. Als Staatsanwalt in Korruptionssachen ist man während des gesamten Ermittlungsverfahrens beteiligt. Man bekommt keinen von der Polizei ausermittelten Sachverhalt auf den Tisch, sondern ist zunächst mit den überwiegend direkt bei der Staatsanwaltschaft eingehenden Anzeigen befasst.

Anonym oder persönlich?
HILDEGARD BÄUMLER-HÖSL: Die Anzeigen gehen alle bei mir als Abteilungsleiterin ein. Das ist ein buntes Beet. Da sind anonyme Geschichten dabei, die man durchaus ernst nehmen muss. Und sie kommen von den Behörden, die uns zuarbeiten. Einer unserer Hauptzulieferer ist dabei regelmäßig die Landeshauptstadt München.
Was liefert Ihnen die Stadt?
BÄUMLER-HÖSL: Tatsächlich meldet uns die Stadt bereits den kleinsten Verdacht. Sie hat viel gelernt in den letzten Jahren, auch bedingt durch kleinere und größere Korruptionsfälle. Die Stadt München hat sich inzwischen hervorragend aufgestellt und fährt eine Null-Toleranz-Strategie. Die Antikorruptionsstelle der Landeshauptstadt informiert uns teilweise schon im Vorfeld einer offiziellen Anzeigeerstattung.
Können Sie Beispiele nennen?
NIEDERMAYER: Die Müllmänner zum Beispiel.
BÄUMLER-HÖSL: Die Müllmänner, die an den Wertstoffhöfen gesagt haben, wenn ihr irgendwelche Teile wollt, wir verkaufen euch das.
Wo hört das legitime Geschenk auf, wo fängt Korruption an?
BÄUMLER-HÖSL: Soweit es im öffentlichen Dienst um die Annahme von Vorteilen für die Dienstausübung geht, entscheidet der Dienstherr, ob die Annahme zulässig ist oder nicht. Da gibt es auch keine generellen allgemeingültigen Grenzen nach unten. Zudem gilt immer: Sobald ich etwas dafür bekomme, dass ich mich pflichtwidrig verhalte, ist das Korruption und damit strafbar.
Gibt es besondere Fähigkeiten oder Talente, die ein Staatsanwalt in der Korruptionsabteilung haben muss?
NIEDERMAYER: Die Ausbildung ist für alle im Staatsdienst stehenden Volljuristen zunächst die gleiche. Aber was in einer Wirtschaftsabteilung nicht schadet und mir auch schon geholfen hat, ist, wenn man beispielsweise eine gewisse Erfahrung im Bereich des Gesellschaftsrechts mitbringt. Ich war vorher Rechtsanwalt im Bereich des Wirtschaftsrechts und das hilft dann schon, beispielsweise, um Unternehmensstrukturen schneller zu verstehen. Ich persönlich wurde bei Übernahme meines Referats zunächst durch Frau Bäumler-Hösl und meine Referatsvorgängerin eingearbeitet. An die abteilungsinterne Einarbeitung schloss sich dann eine Vielzahl von praktischen Fortbildungen an.
BÄUMLER-HÖSL: Gute Menschenkenntnis. Vernünftig mit den Menschen sprechen können. Er kann das. Sonst hätte Herr Niedermayer nicht letztens in einem Fall zwei Geständnisse erzielt.
NIEDERMAYER: Und Respekt. Respekt für sämtliche Beteiligten. Das ist für mich ein sehr wichtiger Maßstab.Ein Mitbewerber verliert eine Ausschreibung und schwärzt den Konkurrenten an.
Ein typischer Fall für Sie?
BÄUMLER-HÄUSL: Gutes Beispiel. Allerdings können wir nur eingreifen, wenn ein Anfangsverdacht besteht. Der bloße Verdacht eines Konkurrenten reicht nicht aus für einen Anfangsverdacht. Da müssen genauere Beobachtungen dazu kommen. Dabei ist auch die Besonderheit der Korruptionsdelikte zu berücksichtigen, dass es um die Verbindung zweier Personen geht, die beide Täter sind. Üblicherweise gibt es keine Zeugen. Im Gegenteil, jeder versucht, alles möglichst geheim zu halten. Daher nehmen wir auch anonyme Hinweise sehr ernst. Beispielsweise ist die Siemens-Korruptionsaffäre (Bestechung ausländischer Amtsträger, die Red.) damals aufgrund eines anonymen Hinweises ins Rollen gekommen. Wir wissen bis heute nicht, wer das war.
Wie läuft Ihre Arbeit nach so einer Anzeige ab?
NIEDERMAYER: Wenn wir so eine Anzeige bekommen und wir sagen, das ist so konkret, dass wir tatsächliche Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten haben, dann eröffnen wir ein Ermittlungsverfahren, gegen unbekannt oder eine genannte Person. Bevor es an eine Durchsuchung geht, haben wir in der Regel von den Behörden oder betroffenen Unternehmen bereits Unterlagen zu verdächtigen Aufträgen erhalten. Dann kann man im Vorfeld durch den polizeilichen Sachbearbeiter vorhandene Unterlagen auswerten lassen. Es gibt in München ein spezialisiertes Korruptionskommissariat, das Kommissariat 73, mit dem wir super zusammenarbeiten.
Wie gehen die Ermittlungen dann weiter?
NIEDERMAYER: Neben der Auswertung uns zur Verfügung gestellter Unterlagen und Durchsuchungsmaßnahmen führen wir regelmäßig Finanzermittlungen durch. Über die BaFin erhalten wir die Informationen, wer für welche Konten Inhaber oder Verfügungsberechtigter ist. Dann kann man sich die relevanten Konten rausfiltern und bei den Banken entsprechende Bankauskunftsersuchen stellen. Das wird dann auch von der Polizei ausgewertet, zum Beispiel auf verdächtige Überweisungen oder private Geldentnahmen. Es ist oft erstaunlich, was da zutage tritt.
Aktuelle Urteile, die auf Ihrer Arbeit beruhen?
BÄUMLER-HÖSL: Generell ist es so, dass die Korruptionsdelikte stark zurückgehen. Zu Zeiten der Kartelle oder der Siemens-Korruptionsaffäre war das anders. Wir sind laut Transparency auf einem sehr guten Platz zehn weltweit in Sachen Korruption.
Haben wir also kein Problem mehr mit Korruption?
BÄUMLER-HÖSL: Was ich denke, ist, dass die Fälle von früher, Siemens, MAN, BMW, so heute nicht mehr passieren. Die großen Unternehmen haben ein ganz anderes Problembewusstsein entwickelt. Die haben inzwischen alle hervorragende Compliance-Abteilungen. Die wissen, wenn irgendetwas passiert, ist es vielleicht doch sinnvoller, zunächst einmal zur Staatsanwaltschaft zu gehen und das auch von sich aus anzuzeigen. Das haben wir relativ häufig, dass sie zu uns kommen und sagen: "Wir haben einen korrupten Mitarbeiter."
Wo liegen die Probleme bei der täglichen Arbeit? Wo kann es haken?
NIEDERMAYER: Je umfangreicher das digitale Datenmaterial, desto aufwendiger die Ermittlungen. Man muss wirklich sehr fokussiert bei den Durchsuchungen rangehen. Wir kennen es ja, Handys sind ein wahnsinnig ergiebiger Gegenstand für Ermittlungen. Der große Aufwand auf der IT-Seite bei der Aufarbeitung der Daten ist manchmal ein Flaschenhals.
Würden mehr Ermittler dann nicht doch zu mehr Urteilen führen?
BÄUMLER-HÖSL: Nein. Das führt lediglich zu einer zeitlichen Verzögerung. Ein weiteres Problem ist transnationale Korruption. Sobald Grenzen überschritten werden, sind wir auf Rechtshilfe angewiesen. Das hatten wir auch, dass Ermittlungen dann irgendwo auf dem Globus im Nichts enden. Das ist unser tägliches Geschäft. Wir müssen Sachverhalte nachweisen. Wenn das nicht gelingt, können wir es nicht anklagen.
Durchsuchungen und Vernehmungen: "Das ist das Spannende hier"
Quellen des Frusts?
BÄUMLER-HÖSL: Quellen der Freude (beide lachen). Ich finde, es gibt nichts Schöneres. Wir sind bei Durchsuchungen dabei, wir vernehmen selber. Das ist das Spannende hier.
NIEDERMAYER: Und dass wir es in der Regel mit Vorgängen zu tun haben, die bereits länger an- und zum Zeitpunkt der Ermittlungen noch fortdauern, wir dann wie in ein Wespennest stechen und den Überraschungsmoment nutzen können – das ist spannend und ein Quell der Freude. Die Verfahren sind regelmäßig frisch und entstammen einem "lebenden" Sachverhalt.
Manchmal ist Ihre Arbeit wie im Fernsehen?
NIEDERMAYER: Fast, aber nicht ganz.
BÄUMLER-HÖSL: Eine Anekdote: Wir hatten einen Anzeigenerstatter für ein Treffen mit dem Verdächtigen verkabelt. Wir saßen alle hier und haben mitgehört und konnten denjenigen dann in dieser Situation festnehmen lassen.