Schauspielerin Barbara Sukowa: "Ich hatte nie einen jüngeren Lover"
Barbara Sukowa gehört zu den wenigen deutschen Schauspielerinnen mit weltweiter Karriere. Im Gespräch in München gibt sie sich unprätentiös, charmant und offen. Ein Star, der auf die Minute pünktlich im Bayerischen Hof erscheint. Es war Rainer Werner Fassbinder, der ihr 1980 als Mieze in "Berlin Alexanderplatz" den Durchbruch im Film verschaffte und als "Lola" zu internationalem Ruhm.
Gerne würde sie noch einmal mit ihrer Lieblingsregisseurin Margarethe von Trotta arbeiten. Seit über 30 Jahren lebt sie in New York, wo sie im friedlichen Multi-Kulti-Viertel Brooklyn eine neue Heimat fand. Im Künstlerdrama "Dalíland" spielt sie Gala, Muse, Ehefrau und Managerin des Genies Salvador Dalí. Vom Hang, sich krampfhaft jung zu halten, hält sie wenig.
Schauspielerin Babarba Sukowa: Hinter jedem berühmten Mann steht eine starke Frau
Regisseurin Mary Harron konzentriert sich größtenteils auf die Mitte der 1970er Jahre. Enfant terrible Dalí und Gala überwintern wie gewohnt mit ihrer Entourage im luxuriösen New Yorker St. Regis Hotel. Die größten Erfolge für den 70-jährigen Surrealisten sind vorbei, aber feiern in feinstem Ambiente geht immer noch.
Es zählt nicht das Morgen, sondern nur das glamouröse Heute, das (knappe) Geld wird mit vollen Händen rausgeschmissen, auch wenn Gala versucht, den Exzentriker zu bremsen und zum Arbeiten für die baldige Ausstellung antreibt. Barbara Sukowa und Ben Kingsley drücken dem Film über eine ungestüme Beziehung ihren Stempel auf und lassen ein Leben auf dem Karussell der Exzesse ahnen.
AZ: Frau Sukowa, hinter jedem berühmten Mann steht eine starke Frau. Das trifft hier zu, oder?
BARBARA SUKOWA: In diesem Fall ganz bestimmt. Dalí wäre nicht das geworden, was er ist, ohne Gala. Als sie ihn kennenlernte, war er ein sehr verwirrter und neurotischer junger Mann und sie zehn Jahre älter als er. Seinetwegen hat sie sich aus ihrem sehr bequemen Leben in Paris gelöst, ihren Mann, den Schriftsteller Paul Éluard, und ihr Kind verlassen, um sich ganz in den Dienst von Dalí zu stellen.
Barbara Sukowa spielt die Ehefrau von Salvador Dalí: "Komplexität der Figur haben mich gereizt"
Gala ist eine sehr ambivalente Figur, galt als geld- und machtgeil, aber auch sehr fürsorglich.
Genau diese Diskrepanz und die Komplexität der Figur haben mich gereizt, ihre Verletzbarkeit trotz äußerer Härte. Fast alles, was ich über sie gelesen hatte, auch zwei Biografien, war negativ. Manche Kritik direkt frauenfeindlich. Aber es muss doch irgendwas gewesen sein, warum sie ihn so geliebt und auch so stimuliert hat. Das wollte ich herausfinden. Natürlich sind solche starken Frauen gerade zu der Zeit nicht besonders angenehm aufgefallen.
Aber 1974 war doch die Zeit des Aufbruchs, auch der Frauen.
Da war der Ruhm der beiden schon etwas am Abklingen. Sie hat ein wenig verzweifelt noch versucht, ihr altes Leben zu halten, auch indem sie immer wieder junge Menschen eingeladen hat. Die haben sie nicht gehasst. Aber die Kunstwelt schon, die sie ferngehalten hat von Dalí, die nicht an ihr vorbeikam.
Sich mit schönen jungen Leuten zu umgeben, ist das eine Methode, das Alter zu verdrängen?
Ich habe mit meinen Kindern viel Kontakt. Mein jüngster Sohn ist 29. Auch durch meinen Beruf treffe ich immer wieder junge Leute. Bei jedem Film bin ich immer die Älteste, nur sehr selten gibt es einen Schauspieler in meinem Alter. Die Teams sind sowieso jünger. Man muss sich nicht unbedingt jung halten. Wenn jemand sagt, du siehst aber viel jünger, aus als du bist, sollte man sich deshalb keine Kränze flechten. Man ist wie man ist.
Barbara Sukowa in "Dalíland": "Da ist ein Unterschied zwischen gut oder anerkannt sein"
Waren Galas junge Lover ein Versuch, die Jugend zurückzuholen?
Ich hatte noch nie einen jüngeren Lover. Ich glaube, es ist eine Illusion zu glauben, wenn man in ein junges Gesicht schaut, ist man selbst jung. Für einige mag es klappen für andere nicht. Ich weiß es nicht. Viele kritisierten sie und ließen kein gutes Haar an ihr, weil sie sexuelle Beziehungen zu jüngeren Männern pflegte.
Kann man als Künstler "normal" sein, oder muss man eine Spur von Verrücktheit in sich tragen, um Anerkennung zu bekommen?
Da ist ein Unterschied zwischen gut oder anerkannt sein. Als Künstler muss man einen besonderen Blick auf die Welt und eine eigene Sicht der Dinge haben. Flaubert hat mal gesagt, man muss ein langweiliges Leben führen, um verrückte Kunst zu machen.
Als er Gala erstmals gegenüber steht, wirft sich Dalí zu ihren Füßen. War das nur Show?
Er soll sich wirklich auf den Boden geworfen und hysterisch gelacht haben. Er war sehr fragil und Gala hat ihn etwas geerdet. Sie hat das ganze Business übernommen, die kommerzielle Seite seiner Kunst. Dafür fehlte ihm der Sinn. In einer Dalí-Biografie steht etwas von einem Kunstwerk, das Gala erstellt hat. Das klingt interessant. Nach heutigem Standard könnte sie sogar eine Künstlerin gewesen sein. Aber sie hat wohl gemerkt, dass sein Genie größer war.
Barbara Sukowa über die junge Generation: "Wer weiß, was auf Partys der 25-Jährigen los ist?"
Führte das Nicht-Ausleben ihrer Talente vielleicht zu Galas Verbitterung?
Bestimmt. Ihr Talent war, ihn zu managen, ihm zu helfen, ihn zu unterstützen, sein Talent zu fördern und zu pflegen. Heute könnte sie mit ihrer großen Energie CEO einer großen Firma sein. Angesichts seiner wechselnden Musen nahm ihre Verbitterung über die Jahre sicherlich zu.
Sind solche Künstlerpersönlichkeiten wie Dalí oder Gala heute noch möglich oder nur ein Produkt ihrer Zeit?
Sie sind möglich, aber Dalís typischer Schnurrbart, längere Haare oder ein Stock würden heute kein Aufsehen mehr erregen. Ob Rockstars, Rapper, Popstars – die Entertainmentwelt kostümiert sich doch sehr stark.
Anfang der 70er, das war eine wilde Zeit, junge Leute wollten die Welt verändern. Denken Sie da manchmal zurück? Fehlt es heute an Lebensfreude oder an Dekadenz?
Wer weiß, was auf Partys der 25-Jährigen los ist? Die Spannungen sind da, heute wie damals, die Konflikte sind andere. So gehen nach MeToo bestimmte Dinge nicht mehr. In Amerika nimmt die Polarisierung zu, wird der Graben zwischen Republikanern und Demokraten immer größer, entstehen persönliche Feindschaften. Jede Zeit hat ihre Themen. Heute wird viel über Transsexualität gesprochen, über Rassismus oder Diversity. Die Aufbruchstimmung spielt auf einer anderen Ebene. Die Klimakleber, die es in New York nicht gibt, sind auch eine neue Form der Rebellion.
In München startete ihre Karriere: "Ich habe gerne am Residenztheater gespielt"
Sie haben acht Filme mit Margarethe von Trotta gedreht, darunter "Rosa Luxemburg", "Hannah Arendt" oder "Vision - Aus dem Leben der Hildegard von Bingen". Können wir mit einem weiteren rechnen?
Ich würde gerne nochmal einen Film mit ihr machen. Sie sagt immer zu mir, bring' mir doch ein Thema oder eine Rolle, die du spielen möchtest. Uns fällt nichts ein, dabei würden wir gerne miteinander arbeiten. Es ist eben nicht so einfach in unserem Alter eine Rolle mit einer bestimmten Dynamik zu finden. Man kann ja nicht jemanden zeigen, der im Café sitzt und Kaffee trinkt. Es muss eine Person aus dem deutschsprachigen Raum sein, die mit siebzig noch interessant ist.
Fehlt Ihnen Deutschland manchmal?
Natürlich, aber ich bin ja oft zum Arbeiten hier. Kurz nach unserer Ankunft in München bin ich mit meinem Sohn in den Augustiner gegangen und wir haben Leberknödel und Obatzten gegessen.
Welche Erinnerungen haben Sie an München?
Sehr gute. Ich habe vier Jahre gerne am Residenztheater gespielt, habe hier meinen allerersten Film gemacht, "Verkaufte Träume" von Gabi Kubach, noch vor "Berlin Alexanderplatz" von Rainer Werner Fassbinder und "Lola". In München hat meine Karriere über das Theater hinaus angefangen.
Jetzt leben Sie in Brooklyn, was lieben Sie an diesem New Yorker Stadtteil?
Der hat sich sehr verändert, seit ich seit ungefähr 20 Jahre dort lebe, vorher war ich in Manhattan. Damals abends einen Taxifahrer zu kriegen, der nach Brooklyn fuhr, war nicht einfach. Inzwischen ziehen alle nach Brooklyn, die irgendwas mit Kunst zu tun haben. Alle ethnischen Gruppen wohnen dort. Über meine Einkaufsstraße um die Ecke sagt man, das ist die "most diverse street in America". Da spricht man 250 verschiedene Sprachen und in meiner kleinen Straße gibt es eine Moschee, eine Kirche und eine Synagoge. Ohne irgendwelche Spannungen.
Ein Rat an junge Schauspielerinnen? "Fokussiere dich auf die Arbeit, nicht auf das Drumherum"
Was würden Sie nach all Ihren Erfahrungen einer jungen Schauspielerin raten?
Ich weiß nicht, ob ich mit meinem Ratschlag richtig liege. Ich kenne die Welt von Instagram und den Social-Media-Kanälen nicht mehr. Selbst beim Casting schauen die Leute auf die Likes. Aus meiner altmodischen Sicht heraus würde ich sagen, fokussiere dich auf die Arbeit, nicht auf das Drumherum, reg' dich nicht über die Promotion auf. Gute Arbeit bringt Arbeit. Mache die Arbeit, die interessant für dich ist.
Was empfinden Sie beim Rückblick auf Ihre Karriere?
Ich bin unglaublich dankbar und kann es manchmal gar nicht fassen, dass es immer irgendwie weiterging. Mein großes Glück oder mein Vorteil waren meine drei Kinder. Die waren für mich immer die Nummer 1, das Allerwichtigste. Da habe ich oft gar nicht gemerkt, dass es Zeiten gab, wo sich vielleicht gar nichts tat. Da war dann meine Familie und ich habe mich gefreut, wenn ein tolles Angebot für einen Film kam. Ich bin sehr froh, auch über die tollen Beziehungen zu meinen Kollegen.
Gab es da nie Eifersüchteleien?
Solche Geschichten habe ich in den 50 Jahren meiner Berufsausübung nie erlebt. Mit vielen meiner Kolleginnen bin ich noch befreundet.
Spüren Sie keine Wehmut oder Nostalgie?
Mich schmerzt, dass so viele meiner Kollegen, mit denen ich gespielt habe, in jüngster Zeit gestorben sind. Zum Beispiel Margit Carstensen oder Peter Simonischek. Ansonsten schaue ich eher nach vorn.
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