Jovana Reisingers "Spitzenreiterinnen" im Münchner Marstall: Überleben im Patriarchat
Die Münchner Autorin Jovana Reisinger dekliniert in ihrem Roman "Spitzenreiterinnen" mit viel Humor die Widerstände durch, mit denen Frauen in verschiedenen Lebenssituationen zu kämpfen haben.
Nun hat die Autorin ihren Roman gemeinsam mit der Regisseurin Yana Eva Thönnes für die Bühne adaptiert, die Premiere ist heute im Marstall. Ein Gespräch über Heimat, das Patriarchat, einen Mangel an Solidarität und die Hoffnung auf eine weiblichere Zukunft.

AZ: Frau Reisinger, Ihr Roman spielt mit Klischees, mit leichthin daher gesagten Floskeln, mit Rollenbildern und auch mit der lokalen Verortung in Bayern. Ist er sowas wie ein neuer weiblicher Heimatroman?
JOVANA REISINGER: Heimat ist auf jeden Fall ein Begriff, mit dem ich mich intensiv und gerne beschäftige. "Spitzenreiterinnen" spielt komplett in Bayern, ständig wird die schöne Aussicht beschrieben, es gibt sehr viel sehr gutes Essen und das Wetter ist immer schön.
Jovana Reisinger: "Ich glaube, Humor ist etwas ganz Wichtiges"
Die Heimat wird verklärt zum Sehnsuchtsort in jeder Hinsicht.
Ganz genau. Es geht im Heimatroman und -film darum, die Idylle aufrecht zu erhalten. Zwar gibt es auch antagonistische Kräfte, aber am Ende wird der Frieden immer wieder hergestellt. Das wollte ich ein bisschen brechen und in diesem Rahmen auch schmerzhafte Geschichten erzählen.
Sie treiben das Genre auf die Spitze, reichern es mit einem feministischen Blick an. In einer Kritik hieß es: "Dieses Buch ist die denkbar lustigste Version des sonst zwingend humorlosen Satzes: Sexismus ist ein strukturelles Problem." Geht das, das Patriarchat und den Sexismus mit Humor bekämpfen?
Humor ist auf jeden Fall eine Bewältigungsstrategie. Das Lachen ermöglicht eine kurze Verschnaufpause. Aber eine Lösung ist es nicht. Klar haben wir uns jetzt alle wochenlang über den neuen Roman von Benjamin von Stuckrad-Barre lustig gemacht, aber ihm ist das ziemlich egal. Er verdient unfassbar viel Geld damit und stärkt seine Machtposition, egal, ob wir aus der feministischen Literaturszene das gut finden oder nicht. Kichern ändert nichts. Ich glaube trotzdem daran, dass Humor ganz wichtig ist.

"Spitzenreiterinnen": Zusammenschluss statt Unterdrückung
Die Frauen im Buch sehen sich in einem Konkurrenzkampf. Gleich am Anfang bekommt Laura einen Heiratsantrag. Sie weint vor Freude, wie es das Klischee von ihr verlangt. Ihre Freundin Verena aber freut sich nicht mit ihr: "Das ist eine Niederlage. Laura gewinnt im Frauengame."
Dass sich marginalisierte Gruppen untereinander beschämen und abwerten, ist ein wirkmächtiges Instrument zur Machterhaltung in einer patriarchalen sexistischen Struktur. Slutshaming ist das Paradebeispiel: Sobald Frauen oder weiblich gelesene Personen gerne Sex haben und dazu stehen, verlieren sie perfiderweise an Schutz.
Wenn etwas passiert, wird gefragt: Was hatte sie an? War sie betrunken? Das spricht jeder Frau das eigene Begehren ab. Das Begehren, sich sexy zu kleiden und zu geben. Keine Frau ist schuld, wenn ihr etwas passiert. Kein Outfit ist eine Einladung. Der Täter oder die Täterin hat Schuld, nicht die Person, der das passiert.
In einem eingeschobenen Text wird im Roman ein Ideal von Solidarität beschrieben - wäre die Lösung im Grunde so einfach?
Es gibt im Buch auch solidarische Freundinnenschaften: Emma und Barbara halten super zusammen und kümmern sich um einander. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass eine übergreifende Solidarität zwischen marginalisierten Gruppen die wirkmächtigste Strategie wäre, um gegen diese Systeme von Unterdrückung vorzugehen. Aber das ist selbst innerhalb der feministischen Diskurse schwierig, weil es so viele Ansätze gibt. Ich bin klar trans-inklusiv. Denn da fängt es ja schon an: Sobald ich einer Trans-Frau abspreche, dass sie eine Frau ist, spreche ich ihr auch eine Schutz-Zugehörigkeit ab.

Das Buch von Jovana Reisinger lebt von gleichberechtigten Hauptfiguren
War es Ihnen darum ein Anliegen, der Vielfalt Rechnung zu tragen?
Ja. Mein grundsätzlicher Einfall war, ein Buch zu schreiben mit dem Übertitel "Überleben im Patriarchat". Mir war schnell klar, dass es viele gleichberechtigte Hauptfiguren geben muss: eine, die häusliche Gewalt erfährt; eine, die überausgebildet und unterfordert ist; eine, die keine Kinder kriegen kann; eine, die ungewollt schwanger wird.
Und weil ich mich schon länger mit Frauenzeitschriften beschäftigen wollte, haben die Frauen die Namen von Zeitschriften bekommen. In der nächsten Konsequenz haben darum die Männer keinen Namen. Sonst würden sie ja "Praline", "Playboy", "Beef" oder "Computerbild" heißen. Drum habe ich sie nur alphabetisch mit Anfangsbuchstaben abgekürzt.
Wie nehmen die Männer das auf?
Alle paar Lesungen kommt aus dem männlichen Publikum das Feedback: "Ich kann mich mit denen nicht identifizieren, weil sie keine Namen haben." Das finde ich spektakulär. Seit ich Literatur lesen kann, muss ich mich mit männlichen Hauptfiguren identifizieren. Umgekehrt ist dieses Training anscheinend noch nicht so da.
Buch und Bühnenfassung von "Spitzenreiterinnen" unterscheiden sich stark
Die Buchstaben machen klar: Um euch geht's hier nur am Rande.
Die brauchen nicht noch mehr Raum einnehmen. Sobald man sich mit Frauen beschäftigt, landet man ohnehin bei Männern. Wie wird der weibliche Körper gelesen? Was passiert ihm? Welche Chancen hat er? Da geht es eh immer um den Mann, um Machtstrukturen.
Die Theaterfassung wird von vier Frauen und einem Mann gespielt - wie verändert sich die Erzählstruktur auf der Bühne?
Die Setzung ist komplett anders als im Roman. Die Regisseurin Yana Eva Thönnes und ich haben vier neue weibliche Hauptfiguren erschaffen, die sich in eine Art Einrichtung begeben. Dort ist ein Mann, der Operator: eine dienstleistende Person, die für das Wohl der Frauen sorgt. Das ganze hat so einen Lifestyle-Effekt, es geht darum, in andere Lebensmodelle einzutauchen.
Jovana Reisinger: Mal sehen, was die Zukunft bringen wird
Wie eine Art Gruppentherapie?
So ähnlich kann man es sich vorstellen. Alles spielt in einem geilen, beinahe sterilen Klinik-Setting. Dort tauchen die Frauen in die Leben der Spitzenreiterinnen rein. So wie man das beim Lesen auch macht: Man schlüpft in andere Leben hinein. Wenn das funktioniert, ist das ein total schönes Geschenk.
Das ist ja fast ein Schlüssel zu einer besseren Welt: ein bisschen mehr Empathie zu entwickeln. Das Buch endet mit dem Satz: "Hoffentlich schlägt jetzt die Stunde der Frauen." Wie zuversichtlich sind Sie da?
Das ist wahrscheinlich zyklusabhängig. Manchmal sehe ich Teenager, die so offen mit Gender umgehen, so toll und schlau und angstbefreit sind - in solchen Momenten bin ich ganz hoffnungsvoll. Und dann passiert so etwas wie in Florida, wo ein Gesetz verabschiedet wurde, dass man in der Schule bis zur achten Klasse nicht mehr über Menstruation oder sexuelle Identitäten sprechen darf. Oder in München wird eine Drag-Lesung in der Stadtbibliothek abgesagt.
Dann denke ich: Das kann doch nicht euer Ernst sein! Wenn eine Drag Queen ein Kinderbuch vorliest, ist das doch das harmloseste auf der Welt – im Vergleich zu Frauenhassern wie Andrew Tate, die überall eine Plattform bekommen. Feministische Kolleginnen von mir bekommen Vergewaltigungs- und Morddrohungen. Das macht mir extrem Angst: Wenn Männer sich so bedrängt fühlen in ihrem vermeintlichen Machtverlust, dass sie gewaltbereit werden.
Premiere am 27. Mai, 20 Uhr im Marstall, weitere Vorstellungen am 1., 2., 11., 13. Juni, alle ausverkauft, eventuell Restkarten an der Abendkasse