Verdis "Aida" im Nationaltheater München: Triumphmarsch mit Invaliden
München - Theben gibt es nicht zu sehen, die Tempel und Paläste von Memphis fehlen, der Nil, Palmen oder Elefanten ebenso. Damiano Michielettos Inszenierung verlegt Giuseppe Verdis "Aida" in ein Bürgerkriegsgebiet irgendwo auf der Welt. Der Pharao ist allenfalls ein zweitrangiger Gouverneur, die Armeen der Ägypter und Äthiopier bessere Milizen. Zwischen den Menschen regiert allerdings der gleiche, zerstörerische Hass, der auch schon bei Verdi die Liebe zwischen Aida und Radamès vergiftet.
"Aida" in der Bayerischen Staatsoper: Dirigent Rustioni meidet dröhnendes Fortissimo
Dieser Verzicht auf alles konventionell Monumentale in der neuen "Aida" der Bayerischen Staatsoper harmoniert mit dem kammermusikalischen Ansatz des Dirigenten Daniele Rustioni. Er meidet das dröhnende Fortissimo, verliebt sich in leise Passagen, die langsam, aber nicht schleppend genommen werden. Ein Klarinettensolo in Aidas erster Arie wirkt fast gehaucht, die hohen Violinen im Finale waren wohl noch nie so ätherisch, seifenfrei und jenseitsnah zu hören.
Ein Verdi für Kenner und Liebhaber
Das ist ein durchaus faszinierender, vom Bayerischen Staatsorchester nach der gestörten Homogenität im Vorspiel bestens umgesetzter Ansatz. Der Triumph-Akt wirkt allerdings flau und heruntergedimmt, ohne dass die Zurückhaltung in eine Interpretation umschlagen würde. Wenn im Eingangschor die Priester einsetzen, ist sehr deutlich zu hören, dass die Hälfte der Herren noch hinter der Bühne auf ihren Auftritt als Kriegsgefangene wartet (Chöre: Johannes Knecht).
Das alles dürfte sich in der zweiten oder dritten Vorstellung runden. Aber Rustioni ist es sehr überzeugend gelungen, die Kammermusik in "Aida", von der viele Dirigenten nur reden, auch hörbar zu machen. Aber es ist auch ein Verdi für Kenner und Liebhaber, nicht für Besucher, die Klischees von Italianitá und den Stil der Arena di Verona erwarten.
Elena Stikhinas Aida: Lyrismus und Drama als Einheit
Elena Stikhinas Aida engagiert sich anfangs in einer heruntergekommenen Turnhalle bei der Versorgung von Bürgerkriegsflüchtlingen mit Decken und Suppe. Das spielt sie schlicht wie anrührend, und so singt sie auch. Lyrismus und Drama bilden bei dieser Künstlerin eine Einheit, das berühmt-berüchtigte C in der Nil-Arie lässt die russische Sopranistin so sanft, zwanglos und natürlich fluten, wie es nur ganz selten gelingt. Das ist eine außerordentliche Leistung.
Um den anderen heiklen Spitzenton ist es weniger gut bestellt. Brian Jagde schmettert das hohe B am Ende von "Celeste Aria" in einem geradezu unverschämten Fortissimo, ohne den geringsten Willen, die diesbezüglichen Wünsche des Komponisten nach reduzierter Lautstärke zu respektieren. Das ändert sich auch im weiteren Verlauf des Abends nicht und verbreitet dann doch einen Hauch von Arena di Verona. Trotz einer anfechtbaren Diktion ist der amerikanische Tenor ein solider heroischer Radamès, der sein mittelschönes Stimm-Material wirkungsvoll einzusetzen weiß.

Amneris und Amonasro bleiben wenig überzeugend
Anita Rachvelishvili singt die Amneris mit 99 verschiedenen Stimmen, von denen vielleicht zwei schön sind. Die Mezzosopranistin flüchtet sich vor allem im vierten Akt in grobe veristische Affekt-Gesten und Sprechgesang. Ihr Stilgefühl und ihre Registerbrüche bleiben, um es vorsichtig zu sagen, Geschmackssache. Was im Amonasro steckt, kann George Petean kaum herausholen: Er singt mit eher kleiner Stimme laut und grob, eine Charakterisierung mit stimmlichen Mitteln findet nicht statt, und auch der Regisseur scheint sich für die Figur eher wenig interessiert zu haben.
Ballette sind geschickt in Handlung integriert
Ramfis ist der Bösewicht der Oper: Alexander Köpeczi gibt ihn im schwarzen Mantel mit schwarzem Bass. Wenn er Amonasro erschießt, pufft es hinter der Bühne: Das mag aus Sicherheitsgründen notwendig sein, wirkt aber als Widerspruch zum szenischen Realismus albern.

Daneben tendiert die Inszenierung nicht ganz bruchlos zur symbolischen Überhöhung. Aidas Erinnerung an eine glückliche Kindheit wird auf die Bühne gebracht, obwohl weder das Vorspiel noch ihre Arien einer Bebilderung bedürfen. Die Ballette sind dagegen geschickt in die Handlung integriert: als kriegerisches Ritual und als Belustigung geflüchteter Kinder.
Das Finale überzeugt durch seine Eindringlichkeit
Beim Triumphmarsch werden einbeinige und im Rollstuhl sitzende Veteranen geehrt. Dann kippt Radamès um, auf einen Schleier werden seine Kriegstraumata andeutend projiziert (Video: rocafilm). Das kommt halbwegs überraschend, während man bereits in der Tempelszene gewettet hätte, dass der Ascheregen im zweiten Finale zurückkehren würde. Und so erwartbar geschah es auch.

Der Rest spielt in einem oft gesehenen Katastrophenraum vor einer schwarzen Aschepyramide (Bühne: Paolo Fantin). Sie wird ungeschickt mit Verfolgern beleuchtet, was zum Aktentaschen-Realismus der Inszenierung wenig passt. Das Finale mit der halb geträumten, halb erzwungenen Doppelhochzeit gelingt Michieletto dagegen eindringlich. Weil die Figuren dieser Oper aber vergleichsweise einfach gestrickt sind, wirken die Psychologien dieser Inszenierung streckenweise sehr eindimensional.
Publikum zeigt sich in Teilen nicht überzeugt
Zum Thema (Bürger-)Krieg hatte Dmitri Tcherniakovs Inszenierung von "Krieg und Frieden" im März mehr zu sagen – auch durch Widersprüche. Teile des Publikums lehnten den Triumphakt und die Inszenierung im Ganzen überraschend heftig ab: Bei der vielfach mit persönlichem Sentiment behafteten "Aida" ist es erfahrungsgemäß schwer, es allen recht zu machen.
Am 18., 21., 24., 28. Mai, 1. und 7. Juni sowie bei den Opernfestspielen im Nationaltheater. Karten unter: staatsoper.de