Vicky Voyage zur Münchner Debatte um Kinderlesung: "Drag ist ab 0 geeignet"
München - Die Debatte um das Für und Wider einer von der Münchner Stadtbibliothek geplanten "Draglesung" für Kinder ab vier Jahren polarisiert weiter. Für Mitveranstalter und Dragqueen Vicky Voyage steht fest, dass sie das Programm auf jeden Fall durchzieht: "Ich bin da total unbeeindruckt – nur, weil da einige röhren?"
Vicky Voyage: "Die Leute können selbst entscheiden, ob sie das sehen wollen"
Sie finde, dass die Stadtbibliothek absolut keinen Fehler mache, wenn sie die Künstlernamen in der Ankündigung nenne: "Die Kritiker machen es sich da leicht, indem sie sich da an der Bezeichnung Eric BigClit (Eric Große Kilitoris, d. Red.) abarbeiten. Die Klitoris ist einfach ein Körperteil", sagt Vicky Voyage im Gespräch mit der AZ.
Der 34-Jährige versteht die ganze Aufregung nicht und betont, dass das Programm absolut altersgerecht sei: "Ich vergleiche das mal mit dem Kino. Am Nachmittag schauen sich die Kinder Filme an, am Abend die Erwachsenen. Dann läuft das eben auf der Schiene 18+ ab. Also mit Sex und mit Gewalt, aber im gleichen Kinosaal."
Vicky Voyage als Schneekönigin: Sie liest aus "Der Junge im Rock"
Überhaupt gelte: "Die Leute können selbst entscheiden, ob sie das sehen wollen. Und Drag ist ab 0 geeignet."
Was genau tut denn Vicky Voyage am Nachmittag des 13. Juni in der Stadtbibliothek Bogenhausen, und in welchem Outfit läuft sie dort auf?
Vicky Voyage über ihre Lesung: "Es geht um Identität und Diversität"
"Die Kinder können auf Erzählungen gespannt sein, die unabhängig vom Geschlecht zeigen, was das Leben für sie bereithält und dass sie alles tun können, wenn sie an ihren Träumen festhalten", sagt die Dragqueen der AZ.
Sie liest beispielsweise aus dem Buch "Der Junge im Rock" von Kerstin Brichzin vor. Vater und Sohn gehen schließlich beide in Röcken in den Kindergarten und plötzlich stört das niemanden mehr. Es ist eine Geschichte über Toleranz, Respekt und Liebe: "Die Lesung hat nichts mit Sexualität zu tun, es geht um Identität und Diversität."
Vicky Voyage: "Mir hätte ein solches Angebot emotional geholfen"
Im Juni komme sie als Schneekönigin, sie sehe dann in etwa so aus wie auf ihren Weihnachten 2022 via Instagram präsentierten Fotos. Mit ihren Bühnen-Outfits im Abendprogramm für Erwachsene habe das alles nichts zu tun.
"Ich habe als Kind immer mit Puppen gespielt, ich war lange allein in meinem Anderssein. Mir hätte ein solches Angebot emotional geholfen", sagt Vicky Voyage.
Theater Drehleier: Lesung aus Kinderbüchern beeindruckt Erwachsene
Gänzlich neu ist das Programm übrigens nicht: Im vergangenen Jahr gab es eine ähnliche Lesung mit Vicky Voyage am Rande des Christopher Street Day, in Kooperation mit dem Regenbogenfamilienzentrum München und dem JFF – Institut für Medienpädagogik.
Und auch bei ihren regelmäßigen Auftritten bei "Cabaret con Carne" im Theater Drehleier habe sie schon aus Kinderbüchern gelesen: "Die Erwachsenen waren beeindruckt, und viele haben gefragt, ob es das Ganze nicht auch als altersgerechtes Format gebe. Ich freue mich sehr, dass die Stadtbibliothek uns da unterstützt."
"Das eigentlich Bittere daran ist, dass das Ganze auch in der LGBTIQ*-Community gar nicht gut ankommt, weil die Problematik auch in deren Augen so nicht richtig platziert ist", hatte CSU-Stadtrat Hans Theiss gegenüber der AZ von entsprechenden Reaktionen aus seinem Umfeld berichtet. Dem widerspricht Vicky Voyage: "Aus der Community bekommen wir positives Feedback."
Vicky Voyage wartet offizielles Statement von OB Reiter ab
Dass Dieter Reiter das Vorhaben kritisch sehe, lässt die Dragqueen erst einmal im Raum stehen: "Aus der Community haben wir eine offizielle Stellungnahme des Oberbürgermeisters angefordert, die warten wir ab."
"Ich habe für diese Art Programm kein Verständnis und glaube nicht, dass das für Vierjährige geeignet ist", er selbst würde mit seinen Enkeln nicht zur Lesung gehen, hatte die "Bild"-Zeitung das Münchner Stadtoberhaupt zitiert.
Münchner Dragqueen Medi Ocre: "Drag als Kunstform ist nicht unbedingt sexuell"
Auch die Münchner Dragqueen Medi Ocre schaltete sich in die Diskussion ein und meldete sich angesichts der aktuellen Berichterstattung bei der AZ.
Das in diesem Kontext oft verwendete Wort Transsexuelle sei "nicht "mehr zeitgemäß und abwertend", sagt sie – und betont: "Entweder Sie meinen eine Trans\ *person, oder was hier der Fall ist, eine Dragqueen (Künstler*in unbestimmten Geschlechts). Drag als Kunstform ist nicht unbedingt sexuell."
Medi Ocre: "Niemand möchte hier Vierjährigen Sexualkunde geben"
Medi Ocre nimmt auch noch einmal ganz konkret auf den kritischen Tweet von CSU-Stadtrat Hans Theiss Bezug, der die Frage in den Raum gestellt hatte, ob Sexualkunde durch Dragqueens für vierjährige Kinder bei der Lesung altersgerecht platziert sei.
"Niemand möchte hier Vierjährigen Sexualkunde geben", meint Medi Ocre. "Es geht bei den Vorlesungen lediglich darum, Kindern zu zeigen, dass es okay ist, nicht wie alle anderen zu sein. Wir sind erwachsene Menschen, die wissen, was angemessen für Kinder ist und was nicht. Ich kenne Vicky Voyage persönlich und weiß, dass sie keinerlei zwielichtige Motive hat."
Medi Ocre zeigt sich zudem "verwirrt", was genau Hans Theiss meine, wenn er in der AZ sagt: "Wenn mich meine siebenjährige Tochter fragt, warum die 'Drei Fragezeichen' alles Jungs sind, dann spielt sich das auf der richtigen Ebene ab – aber so?"
"Ich bin ein großer Fan der 'Drei Fragezeichen', daher weiß ich, dass dort das Thema Trans* Identitäten altersgerecht behandelt wird. In der Folge 'Hexenhandy' (2001) wird die wiederkehrende Figur Monique Carrera eingeführt, die eine Transfrau ist und in einem positiven Licht dargestellt wird", so Medi Ocre.
Medi Ocre: "Wir probieren verschiedene Geschlechtsidentitäten aus"
Die Dragqueen berichtet außerdem von ihren "wenigen Interaktionen mit Kindern auf dem Christopher Street Day in München. Kinder seien von den Kostümen und dem bunten Make-Up begeistert: "Sie stellen auch keine Fragen über unsere Genitalien, welche wir auch nicht erwähnen."
In den Augen eines Kindes, welches selbst gerne verkleiden spielt, sei eine Dragqueen nichts Seltsames: "Wir spielen halt nicht die Rollen 'Vater, Mutter, Kind', sondern probieren verschiedene Geschlechtsidentitäten aus."
Medi Ocre: "Dragqueens sind keine Gefahr für Kinder"
Dragqueens seien "keine Gefahr für Kinder". Die meisten wollten mit Kindern überhaupt nichts zu tun haben, und der Rest verhalte sich angemessen: "Drag ist eine Kunstform und nicht dazu da, Kinder sexuellen Themen auszusetzen."
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