Leroy-Sané rastet bei DFB-Spiel in Wien aus – warum der Platzverweis Folgen für seine Karriere haben könnte
München - DFB-Sportdirektor Rudi Völler, der die Nationalelf einst in der Rumpelfüßer-Ära völlig überraschend ins WM-Finale 2002 geführt und beim 2:1 gegen Frankreich im September als einmaliger Interims-Coach kurzzeitig reanimiert hatte, sprach nach dem 0:2 in Wien davon, die deutschen Spieler müssten "mehr Dynamik und Emotion reinbringen. Uns haben die fünf oder zehn Prozent an Leidenschaft wieder gefehlt." Völler sehnte wortwörtlich die "deutschen Tugenden" herbei und definierte sie so: "Man muss auch mal im richtigen Moment dem Gegner wehtun."
Nagelsmann über Sané: "Er muss da so clever sein, dass er das nicht macht"
Okay, aber nicht gleich so. Im falsch gepolten Aggressionsmodus war Leroy Sané, seine Tätlichkeit und den daraus resultierenden Platzverweis kurz nach der Pause bezeichnete Völler als "naiv". In der 49. Minute brannten beim Flügelstürmer des FC Bayern die Sicherungen durch. Sané packte den tatsächlich etwas rabiat und von hinten einsteigenden Gegenspieler Phillipp Mwene, der ebenfalls, aber nicht so heftig, handgreiflich geworden war, rüde am Hals, schmiss ihn zu Boden und sah zurecht Rot.
"Man muss auch sehen, was Mwene macht. Er reißt nach dem Foul das Bein hoch und geht dann auf Leroy los", versuchte Nagelsmann mildernde Umstände geltend zu machen, betonte aber auch: "Natürlich muss er da so clever sein, dass er das nicht macht."
Sanés erster Platzverweis im 402. Profispiel war ein Bärendienst für ihn, seine Mannschaft und Trainer Nagelsmann. Reumütig entschuldigte sich Sané in der Kabine vor der Mannschaft, anschließend vor den Medien. "Das Spiel geht auf mich, auf meine Kappe. Da muss ich mich beherrschen, das kann nicht passieren, da habe ich die Mannschaft im Stich gelassen." Ob etwas vorgefallen sei zuvor mit dem Mainzer Mwene? Nein, so Sané, "das war nichts Persönliches gegen Phillipp, das war meine eigene Leistung."
Eine Sperre von zwei bis drei Länderspielen dürfte den bei Bayern teils groß aufspielenden Sané erwarten. Darüber entscheidet der Weltverband Fifa. Deren Regularien sehen für "Tätlichkeiten, einschließlich Ellbogenschlag, Boxen, Treten, Beißen, Spucken oder Schlagen" eine Mindestsperre von drei Spielen, vor. Oder, das kann für Sané Fluch und Segen bedeuten, eine Sperre für "eine angemessene Zeitspanne". Dass er die beiden letzten Test-Spiele vor der Nominierung für den EM-Kader verpassen wird, scheint aber klar. Ob er dann bei der EM dabei sein wird?
Sané im DFB-Team: Bisher keine Erfolgsgeschichte
Mal wieder hat sich der so hochbegabte 27-Jährige also selbst ins Abseits gebracht. Dabei hatte man angesichts der bisher so starken Hinrunde (acht Tore und sieben Assists) unter Sané-Versteher Thomas Tuchel gedacht, der Linksfuß würde sich nun nicht mehr im Wege stehen. Vor der WM 2018 in Russland war Sané zur großen Überraschung vom damaligen Bundestrainer Joachim Löw aus dem Kader gestrichen worden.
Bei der WM 2022 in Katar enttäuschte er wie alle, die Nationalelf flog nach der Vorrunde raus. Bei seinen fünf EM-Einsätzen (2016 und 2021) stand er nur ein einziges Mal in der Startformation, blieb ohne Scorerpunkt. Sein Liefertermin sollte eigentlich die Heim-EM 2024 werden, doch nun wird er zwei oder sogar drei der wohl vier letzten Testspiele verpassen. Total suboptimal.
Nagelsmann und Sané waren sich nicht immer grün
Dass Nagelsmann ankündigte, in Zukunft lieber "ein Top-Talent weniger" aufzustellen, "dafür einen Worker mehr", könnte selbst für Sané negative Folgen haben. Zur Erinnerung: Während der gemeinsamen Zeit beim FC Bayern kamen Nagelsmann und Sané nicht uneingeschränkt gut miteinander aus. Auch konnte der hoch veranlagte Kicker unter dem Coach nur selten sein Können auf den Platz bringen.
Und kurzfristig? Lernt er aus dem Schock seines ersten Platzverweises, könnte es ihm für seine Laufbahn einen Kick geben – oder wird die Aktion zum Karriereknick?
Schon am Freitag, beim Auswärtsspiel der Bayern beim 1. FC Köln (20.30 Uhr, DAZN und im AZ-Liveticker) kann Sané Wiedergutmachung betreiben. Tuchel hat zuletzt bewiesen, dass er einen ganz speziellen, guten Draht zu Ausnahmetalent hat.