Thomas Tuchel auf einmal der gefeierte Mann beim FC Bayern: "Taktische Meisterleistung"
München - Wenn man mal das Halbfinale erreicht hat, so lautet ein Sportler-Spruch, dann macht es auch keinen Sinn mehr auszuscheiden. Also ab ins Champions-League-Finale mit den Bayern und ihrem Trainer Thomas Tuchel, der so frei ist, bei seiner Abschiedstour durch das ganz große Tor gehen zu wollen.
Wie seine Mannschaft hat auch der 50-Jährige ein Champions-League-Gesicht. Und Teams spielen eben so, wie ihr Trainer ihnen das vorlebt. In der Bundesliga wirkte Tuchel oft genervt, winkte ab, wenn seine Spieler Fehler begingen. Manchmal schien er sich seinem Schicksal zu ergeben und beobachtete das wirre Treiben nur noch im Sitzen.
Der FC Bayern im Halbfinale: Thomas Tuchel zeigt gegen Arsenal sein Champions-League-Gesicht
Am Mittwochabend dagegen war der gebürtige Bayer an der Seitenlinie, wie man neudeutsch sagt: total on fire. Superengagiert, immer auf Ballhöhe, gegenüber dem Vierten Offiziellen und dem Schiedsrichter Haus und Hof verteidigend, als er sei er von Geburt an Bayern-Trainer. "Ich habe mit der Mannschaft gekämpft, gefightet, gelitten", sagte er körperlich erschöpft und mental ausgelaugt.
Die Champions League ist seine Liga. Kein deutscher Trainer hat vor ihm drei Mal das Halbfinale dieses so prestigeträchtigen Wettbewerbs erreicht. Erst 2020 mit Paris Saint-Germain, dann 2021 mit dem FC Chelsea – beide Male übrigens sah er keinen Sinn darin, im Halbfinale auszuscheiden. 2020 besiegte PSG im Final-8-Turnier von Lissabon (ausgetragen am Stück wegen der Corona-Pandemie) RB Leipzig mit 3:0, ein Jahr später kam er durch ein 1:1 und 2:0 gegen Real Madrid (Ausrufezeichen) weiter.
FC-Bayern-Präsident Herbert Hainer schwärmt von Tuchel: "Taktische Meisterleistung"
Die Bayern-Bosse haben Tuchel nach der fatalen Woche im Februar mit den drei Auswärtspleiten bei Meister Bayer Leverkusen (0:3), im Achtelfinal-Hinspiel der Königsklasse bei Lazio Rom (0:1) und schließlich bei Abstiegskandidat VfL Bochum (2:3) gekündigt, den Scheidungstermin der unglücklichen Ehe um ein Jahr auf das aktuelle Saisonende vorgezogen. Nun hat man sich wieder (etwas) lieb, annulliert wird die Vereinbarung zur Trennung dennoch nicht. Trotz des vielen Lobes.
Von einer "taktischen Meisterleistung" sprach Bayern-Präsident Herbert Hainer. Sportvorstand Max Eberl fand den zögerlichen Stil "einfach schlau". Abwartend ließ Tuchel gegen Arsenal agieren, überließ den Gästen weitestgehend die Initiative, um sie wie im Hinspiel nach Umschalt-Momenten zu überraschen.
Zur Absicherung der linken Abwehrseite gegen Arsenals Tempo-Dribbler Bukayo Saka erfand Tuchel den Doppel-Linksverteidiger, mit Rechtsfuß Noussair Mazraoui und Linksfuß Raphael Guerreiro, der etwas offensiver agierte. Das Risiko war groß, der Plan ging auf. Waren die Bayern in der ersten Halbzeit teilweise zu passiv, wurden sie nach der Pause griffiger, giftiger, entschlossener.
Trainer Thomas Tuchel spielt das Hainer-Lob herunter
"In der ersten Halbzeit war es wie ein Schachspiel, keiner wollte irgendeine Figur opfern und eine Lücke aufreißen", erklärte Tuchel, "in der zweiten Hälfte haben wir unsere Mannschaft ermuntert, mehr Risiko einzugehen." Bingo. Funktionierte wie schon zum Ende der Hinrunde gegen furiose Stuttgarter, die allzu furios in die Tuchel-Falle tappten, 3:0 für die Bayern.
Eine taktische Meisterleistung? "Weiß ich nicht", spielte Tuchel das Lob des Präsidenten auf der Pressekonferenz herunter, "das ist alles immer nur ein Gefährt. Die Spieler fahren das Auto, füllen das mit Leben. Das ist gegen Arsenal in beiden Spielen bis zum absoluten Anschlag passiert." Ob er nun späte und tiefe Genugtuung empfinde, da so viel auf ihn eingeprasselt sei? Die Frage sei "ein bisschen scheinheilig", antwortete Tuchel und ergänzte: "Natürlich, aber nicht deswegen. Ich habe vom ersten Tag an alles gegeben und werde bis zum letzten Tag alles geben." Bis zur Bescherung in Wembley?