Pep Guardiola: Mit Ehre und Ersatzbank

Pep Guardiola coacht die Bayern spät zum Sieg – und wendet gegen Juventus Turin sein Scheitern ab. "Eine Minute später, und wir wären weg gewesen."
von  ps
Pep Guardiola: Coaching in der Hitze des Gefechts.
Pep Guardiola: Coaching in der Hitze des Gefechts. © Rauchensteiner/Augenklick

München - Eine falsche Entscheidung, ein verlorener Zweikampf, ein versprungener Ball – ein einziger Moment kann im Fußball die Tür zu Himmel und Hölle öffnen, Ekstase und Ruhm oder Schimpf und Schande hervorrufen.

Nur ein Augenblick. Weiter oder raus. Held oder Depp.

Arturo Vidal gewann diesen einen Zweikampf Sekunden nachdem die reguläre Spielzeit abgelaufen war, diesen Heldenmoment, er gab den Ball weiter auf Rechtsaußen zu Kingsley Coman, dessen Flanke Thomas Müller zum 2:2 einköpfte.

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"Das hat uns wie schon das 1:2 noch einmal Leben eingehaucht", sagte der Torschütze. Ein Sieg des Glaubens, des Willens, des Überlebenstriebes. "Eine Minute vor Schluss waren wir nicht gut, dann sehr gut", sagte Pep Guardiola kurz nach Mitternacht in der Allianz Arena, immer noch ergriffen vom 4:2 seiner Mannschaft nach Verlängerung gegen Juventus Turin.

Ungläubig wanderten seine Augen hin und her. Er sah aus, als würden ihm die Schwielen an der Hand noch schmerzen, an der er über dem Abgrund zappelnd wieder auf den Felsvorsprung gezogen worden war. Rettung in höchster Not. "Eine Minute später – und wir wären weg gewesen."

 

Pep dreht die Mannschaft auf links

 

Bayern hätte sich im Achtelfinale der Champions League verabschiedet. Wie der Mythos Pep Guardiola. Doch seine Mannen hatten das Spiel gedreht. Weil er die Mannschaft auf links gedreht hatte.

Falsch aufzustellen, die Taktik des Gegners nicht exakt vorherzusehen, ist die eine Sache. Sich selbst aber den Fehler einzugestehen, dann die richtigen Entscheidungen mit Einwechslungen und Umstellungen zu treffen ist das, was große Trainer wirklich auszeichnet.

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0:2 gegen Juventus nach dem 2:2 im Hinspiel, eine ohnmächtige, machtlose Bayern-Mannschaft: Am Mittwochabend gegen 22 Uhr stand Guardiola bereits in den Scherben seiner Amtszeit. Und wurde doch ein verdienter Triumphator. Ja, der Mann kann also doch einen Plan B haben.

Sämtliche Wechsel (Juan Bernat für den überforderten Medhi Benatia, Kingsley Coman für den schwachen Xabi Alonso, schließlich der späte Einsatz von Thiago, des Schützen zum 3:2) sowie taktische Veränderungen griffen.

 

Pep beweist Biss

 

Guardiola, ab Sommer bei Manchester City und wegen seiner parallelen Arbeit in München bereits unter kritischer Beobachtung stehend, bewies Biss. Coaching in der Hitze des Gefechts, bei "Herzfrequenzspielen", wie es Vorstands-Chef Karl-Heinz Rummenigge ausdrückte.

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Bayern überlebte auch dank der überragenden Bank, die Guardiola nun zur Verfügung steht.

 

Pep baut auf Reschke
 

Zusammengestellt hat diesen Kader vor allem Michael Reschke (58), der 2014 von Bayer Leverkusen nach München kam. Auftrag des stillen Arbeiters im Hintergrund: Kaderplanung.

Und Reschke verpflichtete Kimmich, Coman, Costa und Vidal. Noch Fragen?

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Was die Bayern in schwierigen Situationen während der Pep-Ära, vor allem in den beiden Champions-League-Halbfinals gegen Real Madrid (2014) und den FC Barcelona (2015) falsch machten, nämlich dass sie nach einem Gegentor die Nerven verloren, war diesmal nicht der Fall.

 

Pep zeigt Eier

 

Philipp Lahm brachte es auf den Punkt: "Wir können das 0:3 kassieren, dann wäre es aus gewesen. Aber wir haben diesmal den Kopf nicht verloren." Am Ende wurde es Sieg der Mentalität, der deutschen Tugenden.

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"Wir waren nicht intensiv genug in unserem Spiel, schienen verängstigt zu sein, die Körpersprache war nicht so gut“, sagte Guardiola, der seine Spieler mit einer emotionalen, gestenreichen Ansprache vor der Verlängerung bei der Ehre packte.

Nur dort? Müller witzelte: "Pep wollte uns die Eier abschneiden."

Die hat Guardiola gezeigt. Well done!

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