Der neue, alte Kahn: Ehemaligen FC-Bayern-Titan packt die Angriffslust
München - Washington D.C., das Weiße Haus, Pentagon und Kapitol. Die große Bühne der Weltpolitik. Und ein Abend in der deutschen Botschaft.
Oliver Kahn: Auf der US-Tour macht er eine gute Figur
Oliver Kahn steht auf dem Podest im dunkelblauen Anzug, es hat immer noch 30 Grad um 20 Uhr. Bei vielen der geladenen Gäste sieht man Schweißperlen auf der Stirn, bei Kahn aber nicht. Ganz ruhig und in sehr gutem Englisch spricht er über die US-Reise der Bayern, die Verantwortung, sich als Klub sozial zu engagieren und gegen Rassismus einzutreten, über das anstrengende Training bei diesen Bedingungen und über Sadio Mané, der wenige Minuten zuvor zu Afrikas Fußballer des Jahres gekürt wurde. Es gibt Applaus, Kahn lächelt zufrieden, alle Blicke sind auf ihn gerichtet. Und im Hintergrund geht über Downtown Washington langsam die Sonne unter.
Es ist nicht der einzige Moment, in dem Kahn auf dieser Tour eine sehr gute Figur abgibt. Er absolviert zahlreiche Termine und öffentliche Auftritte – und überzeugt dabei mit Klarheit und Charme.
Überzeugung und Angriffslust sind zurück
Kahn ist gut drauf, er wirkt entspannter als noch vergangene Saison. Klar: Bayern hat auf dem Transfermarkt schon einige Treffer gelandet, das beruhigt. Aber da schwingt noch ein anderes Gefühl mit: Er strahlt plötzlich wieder diese Angriffslust und Überzeugung aus, die er einst schon als Torwart-Titan hatte. Als ob ihm nichts etwas anhaben könnte. Der neue, alte Kahn. Er wurde vermisst.
"Oliver hat ja selbst neulich gesagt, dass er sich vorgenommen hat, in der Öffentlichkeit präsenter zu werden als in seinem ersten Jahr", sagte Bayern-Präsident Herbert Hainer der AZ: "Das setzt er konsequent um. Wer Oliver Kahn kennt, weiß: Er hat als Spieler alles für den FC Bayern gegeben, und das hat sich in seiner neuen Rolle nicht geändert. Er will mit diesem Klub weitere Kapitel der Erfolgsgeschichte schreiben." Klare Worte des Präsidenten.
Die Wahrscheinlichkeit für viele Triumphe wird höher, wenn es mit Kahn einen echten Anführer gibt. Dieser hatte nach den Abschieden von Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge aus der ersten Führungsreihe zuletzt gefehlt. Daher sah sich Trainer Julian Nagelsmann in der Vergangenheit dazu veranlasst, zu sämtlichen Themen öffentlich Stellung zu beziehen. Was oft gelang, aber nicht immer. Auch intern wurde Kahn eine gewisse Zurückhaltung nachgesagt, es hieß, er sei kaum greifbar.
Kahn agiert wie ein echter Chef
"Wir kommen raus der Corona-Zeit und justieren uns alle neu", sagte der Vorstandsboss dazu: "Meine bisherige Zeit beim FC Bayern hat größtenteils aus virtuellen Meetings bestanden, aus Isolation und Home Office. Das hat alles eine Rolle gespielt, was Präsenz angeht. Erst jetzt kann man sich wieder treffen, Gespräche führen, jetzt ändern sich die Dinge."
Zum Positiven offenbar. Kahn agierte in Washington und Green Bay wie ein echter Chef, er war der große Gewinner der Reise. Bei Nagelsmann zeigte er zum Beispiel Führungsstärke, als er den Coach nach dessen Äußerungen zu den Finanzen des FC Barcelona öffentlich zurückpfiff.
"Die finanzielle Situation eines Vereins wie dem FC Barcelona aus der Distanz zu beurteilen, finde ich eher ein bisschen schwierig", sagte Kahn. "Die werden schon wissen, was sie da tun. Die Einzigen, die dieses Zahlenwerk wirklich kennen, sind die Verantwortlichen der FC Barcelona selbst. Deswegen muss man da ein bisschen zurückhaltend sein, wenn man sich mit dem Thema auseinandersetzt." Da blieben keine Fragen offen...
Kahn: "Die Ansprüche sind die höchsten"
Auch bei den Themen Transfers und Kaderstruktur lieferte Kahn klare Einblicke. "Es gibt jetzt einen Konkurrenzkampf auf jeder Position, wir sind sehr, sehr gut besetzt", sagte er zum Bayern-Aufgebot: "Genau dieses Klima haben wir jetzt geschaffen – und nur aus diesem Klima heraus entstehen dann Top-Leistungen. Die Ansprüche in der Meisterschaft, im Pokal und in der Champions League sind die höchsten."
Die Bayern-Mannschaft muss sich nach einer ziemlich mäßigen Leistung beim 0:1 im Test in Green Bay gegen Manchester City noch steigern – Kahn andererseits kann für sich eine positive Reise-Bilanz ziehen.