Der abgeschliffene Titan: Wie und woran Oliver Kahn beim FC Bayern scheiterte

Eigentlich schien es wie die perfekte Lösung: Torwart-Legende Oliver Kahn übernimmt als Vorstandsvorsitzender des FC Bayern von Karl-Heinz Rummenigge. Doch bereits nach gut zwei Jahren ist schon wieder Schluss. Wie und woran er scheiterte.
Victor Catalina
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Nach gut zwei Jahren ist seine Zeit als Vorstandsvorsitzender des FC Bayern vorbei: Oliver Kahn.
Nach gut zwei Jahren ist seine Zeit als Vorstandsvorsitzender des FC Bayern vorbei: Oliver Kahn. © imago/ActionPictures

München - Es war der 19. Mai 2001, kurz nach 17.30 Uhr. Im Hamburger Volksparkstadion rannte Oliver Kahn in sein Tor zurück. Auf dem Weg dorthin machte er einen Umweg über die Eckfahne, riss diese aus der Verankerung und fing an, wild zu jubeln. Gerade ist der FC Bayern auf die (bis dahin) wohl dramatischste Art und Weise Meister geworden. In Minute 95 verwandelte Patrik Andersson einen indirekten Freistoß und entriss Schalke mit seinem Treffer die erste Meisterschaft seit 1958. Nur fünf Minuten zuvor entschied HSV-Stürmer Sergej Barbarez vermeintlich das Titelrennen.

Die Last-Minute-Meisterschaft 2001. Kahn: "Weil niemand zum Jubeln in der Nähe war, musste die Eckfahne herhalten."
Die Last-Minute-Meisterschaft 2001. Kahn: "Weil niemand zum Jubeln in der Nähe war, musste die Eckfahne herhalten." © imago

"Etwas Schöneres gibt es nicht": Der Fan-Liebling Oliver Kahn

Vier Tage später jubelte Kahn erneut wild. Im Champions-League-Finale gegen den FC Valencia hielt Bayerns Keeper drei Elfmeter und gewann das Spiel im Alleingang. "KAHN! DIE BAYERN! DIE BAYERN!", brüllte Kommentator Marcel Reif damals ins Mikrofon. Das ist die eine Seite von Oliver Kahn.

Der Anführer, der Leistungsträger, der Fan-Liebling. "Das ganze Stadion wird morgen gegen uns sein. Außer den Bayern-Fans wird ganz Fußball-Deutschland gegen uns sein, etwas Schöneres gibt es nicht", hielt Kahn vor dem Spiel in Hamburg fest und brachte damit das "Mia san mia" bestens auf den Punkt. "Egal, wie sehr ihr uns verlieren sehen wollt, wir werden euch den Gefallen nicht tun."

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Mit der Nagelsmann-Verpflichtung besteht Kahn seine Meisterprüfung beim FC Bayern

Fast auf den Tag genau 20 Jahre später führte Oliver Kahn den FC Bayern erneut an. Diesmal nicht im Tor, sondern als Vorstandsvorsitzender. Ein Jahr lang wurde er von Vorgänger Karl-Heinz Rummenigge eingearbeitet. Seit 2021 war er hauptverantwortlich als Bayern-Boss.

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Mit der kurzfristigen Verpflichtung von Julian Nagelsmann als Nachfolger für Triple-Trainer Hansi Flick habe er, so sagt man in Bayern-Kreisen, seine Meisterprüfung abgelegt und bestanden. Der FC Bayern bekam einen jungen, innovativen Trainer, der die Werte des Vereins lebt. Gemeinsam mit Sportvorstand Hasan Salihamidzic wurde der Klub weiterhin von zwei Bayern-Legenden geführt und schien mit Borussia Dortmund dem größten Konkurrenten ausgerechnet im eigenen Spiel den Rang abzulaufen: Dem frühen Erkennen und Verpflichten von Toptalenten. Die Zukunft hätte kaum besser aussehen können. Eigentlich.

Eigentlich begann die Amtszeit von Oliver Kahn vielversprechend, mit einem jungen Trainer Julian Nagelsmann (l.) und Toptalenten wie Jamal Musiala.
Eigentlich begann die Amtszeit von Oliver Kahn vielversprechend, mit einem jungen Trainer Julian Nagelsmann (l.) und Toptalenten wie Jamal Musiala. © imago/Sven Simon

Aber gut eineinhalb Jahre nach Beginn der Ära Kahn/Salihamidzic/Nagelsmann liegt diese bereits in Trümmern. Einen Titel gab es für das Trio, die Meisterschaft 2021. Ansonsten präsentierte sich der FC Bayern, vor allem in den Pokalwettbewerben, zu leichtgewichtig. 0:5 in der 2. Runde des DFB-Pokals in Mönchengladbach, 0:1 und 1:1 im Champions-League-Viertelfinale gegen Villarreal, 1:2 zuhause im Pokalviertelfinale gegen Freiburg, 0:3 und 1:1 in den letzten Acht der Königsklasse dieser Saison (hier aber schon unter Nachfolger Thomas Tuchel).

Herzschlag-Finale des FC Bayern endet für Kahn unversöhnlich

Zu allem Übel drohte der FC Bayern, nach dem 1:3 gegen RB Leipzig, auch noch die Meisterschaft zu verspielen. Doch es kam zum Herzschlag-Finale, das zumindest für den Verein versöhnlich endete. Weil Borussia Dortmund nicht über ein Unentschieden gegen Mainz hinauskam und Jamal Musiala die Bayern gegen Köln kurz vor Schluss in Führung schoss, bleibt die Meister-Serie der Bayern am Laufen. Elf Schalen in Folge hat der deutsche Rekordmeister nun geholt. Ein Titel, mit dem wohl nur die wenigsten noch gerechnet hätten – entsprechend groß war der Jubel bei Spielern, Verantwortlichen und Fans.

Doch bereits während des wichtigen Spiels sickert die Nachricht durch, dass sich der Bayern von Kahn und Salihamidzic trennen werde. Doppel-Knall beim FC Bayern! Wenig später, als die Spiele gerade gelöst die Meisterschaft feiern, folgt auch die offizielle Mitteilung der Münchner. Sowohl der Vorstandsboss als auch der Sportvorstand werden von ihren Aufgaben entbunden.

Während Salihamidzic in Köln auf der Tribüne zu sehen war und mitfeierte (auch am Sonntag auf dem Rathausbalkon bei der Meisterfeier), blieb Kahn sowohl Spiel als auch Feierlichkeiten fern. Ein Erscheinen wurde ihm vom Verein untersagt, wie er auf Twitter klarstellte. Laut Präsident Herbert Hainer habe Kahn die Entscheidung des Aufsichtsrates "emotional" aufgefasst, eine einvernehmliche Trennung sei nicht möglich gewesen. Auch deshalb durfte Kahn nicht mit nach Köln. Der ehemalige Bayern-Boss kündigte Gespräche mit den Bossen an. Ob sich die Wogen nochmal glätten werden? Noch unklar.

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Ein doch sehr unversöhnliches Ende für den einstigen Weltklasse-Keeper. Am meisten überrascht die Diskrepanz zwischen dem Spieler Kahn und dem Verantwortlichen Kahn.

Der Verantwortliche Kahn präsentierte sich blass, zurückhaltend, und glatt, bisweilen gar etwas überfordert. Die Ecken und Kanten des "Titans", die aus ihm den Fan-Liebling machten, schienen inzwischen komplett abgeschliffen.

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Nagelsmann muss einspringen: Kahns Amtszeit beim FC Bayern fängt früh an zu bröckeln

Bereits nach wenigen Monaten kamen die ersten großen Aufgaben auf Kahn zu. Nach einem guten Start in die Ära Nagelsmann, wurde dieser positiv auf Covid-19 getestet. Ohne ihren Trainer unterlag der Rekordmeister 0:5 im DFB-Pokal in Mönchengladbach.

Wenige Wochen später kam heraus, dass Joshua Kimmich Bedenken bezüglich der Impfung hat. "Wir können nicht mehr tun, als zu kommunizieren um die Spieler davon zu überzeugen, sich helfen zu lassen. Aber es gibt in Deutschland keine Impfpflicht", positionierte sich Kahn zwar. Wirklich Ruhe in die Thematik bringen konnte er damit allerdings nicht.

Kimmichs Impfung blieb auch noch über Wochen hinaus ein Thema und überschnitt sich mit der Jahreshauptversammlung, auf der der Vorstand von den eigenen Fans bezüglich einer fehlenden, klaren Haltung zum Sponsoring mit Qatar Airways angegangen wurde. "Wir sind Bayern – und ihr nicht!" oder "Wir sind die Fans, die ihr nicht wollt", hallte es durch den Audi Dome.

Oliver Kahn hatte gleich bei seiner ersten Jahreshauptversammlung mit einem handfesten Eklat zu kämpfen
Oliver Kahn hatte gleich bei seiner ersten Jahreshauptversammlung mit einem handfesten Eklat zu kämpfen © imago/MIS

Dabei hatte die JHV für Kahn eigentlich gut begonnen. In seiner ersten Rede analysierte er die Stellung des FC Bayern im internationalen Fußball, setzte sich für ein "Salary Cap" ein, betonte, dass Investoren nicht unbegrenzt Geld ausgeben dürften und bekam dafür viel Applaus.

Als es jedoch um die Katar-Frage ging, kam Kahn zu keinem Entschluss. Es lief darauf hinaus, dass der kommunikationsstarke Nagelsmann anhaltende Fragen zu Themen beantworten musste, die weit jenseits seines Tätigkeitbereichs als Trainer liegen.

Spieler stören sich an anhaltender öffentlicher Kritik: Kahns riskanter Weg über die Medien

Auch bei sportlichen Themen zeigte Kahn selten das Feingefühl und Gespür seines Vorgängers Karl-Heinz Rummenigge, um die Mannschaft in schwierigen Situationen nicht nur in die Pflicht zu nehmen, sondern auch eine geschlossene Atmosphäre zu erzeugen, aus welcher heraus das Team Stärke ziehen kann.

Stattdessen soll es die Spieler zuletzt vermehrt gestört haben, ständig in der Öffentlichkeit kritisiert zu werden. Intern haben sie das Gefühl, für die schwachen Entscheidungen des Vorstands instrumentalisiert zu werden, was unter Rummenigge und Uli Hoeneß nicht der Fall gewesen sei. Die Spieler könnten mit Kritik des Vorstands leben. Der konstante Weg über die Medien würde sie allerdings stören.

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"Oliver, ich mach hier keinen Privatkrieg gegen dich": Lothar Matthäus musste Kahn gleich doppelt einfangen

Bei der 1:3-Niederlage gegen RB Leipzig am vorletzten Spieltag betonte Kahn, die Mannschaft hätte sich "nicht intelligent" angestellt. Es war nicht das erste Mal, dass er sich medial in Kleinigkeiten verzettelte. Vor dem 4:2 über Borussia Dortmund war Kahn im Sky-Interview mit Sebastian Hellmann, Julia Simic und Ex-Teamkollege Lothar Matthäus zu Gast. Thema war die Entlassung von Julian Nagelsmann und ob die Art und Weise, ihn davon nicht persönlich informiert zu haben, richtig gewesen sei. Kahn beharrte darauf, niemandem am Telefon seine Entlassung mitzuteilen. 

Auseinandersetzung vor dem Topspiel: Oliver Kahn mit Sky-Moderator Sebastian Hellmann (l.) und Experte Lothar Matthäus (r.)
Auseinandersetzung vor dem Topspiel: Oliver Kahn mit Sky-Moderator Sebastian Hellmann (l.) und Experte Lothar Matthäus (r.) © imago/kolbert-press

Daraufhin kam es zu einem verbalen Schlagabtausch der beiden Bayern-Legenden. Aus dem Thema Nagelsmann wurde das Thema "Was ist Mia san mia?". Matthäus reichte ein einziger Satz "Oliver, ich mach hier keinen Privatkrieg gegen dich. Du kannst mich jederzeit anrufen", um Kahn in die Schranken zu weisen. Später musste der Sky-Experte ein weiteres Mal eingreifen, weil Kahn erneut vom Thema abwich.

"FC Bayern AHEAD" – und was davon bleibt

Seit diesem Wochenende ist Kahn Geschichte beim FC Bayern, für ihn übernimmt der langjährige Finanzchef Jan-Christian Dreesen. Eigentlich war Kahns Vision, den Rekordmeister mit dem Projekt "FC Bayern AHEAD" die familiäre Identität, die den Klub über Jahrzehnte auszeichnete, auch im modernen Fußball beizubehalten und "Wege zu finden, um konkurrenzfähig zu bleiben. Dafür benötigen wir neue Wachstumsimpulse". Beides ist eher bedingt geglückt. 

Goalplay? ZDF-Experte? Was aus Oliver Kahn wird

Was aus Kahn wird, ist noch nicht bekannt. "Ich brauche Distanz. Ich bin ja nicht auf die Welt gekommen, um auf ewig Fußballer, um Torhüter zu sein. Ich möchte mich nicht darauf festlegen lassen, ewig Sportler zu sein", sagte er vor seinem Karriereende 2008 im Gespräch mit der AZ. 2016 gründete Kahn das Unternehmen "Goalplay", mit dem Ziel, Torhüter online zu schulen.

Der doppelte Oli: Kahn (r.) als ZDF-Experte an der Seite von Oliver Welke
Der doppelte Oli: Kahn (r.) als ZDF-Experte an der Seite von Oliver Welke © imago/Eventpress

Zudem war er viele Jahre als ZDF-Experte an der Seite von Johannes B. Kerner, Katrin Müller-Hohenstein, Oliver Welke oder Jochen Breyer tätig. Dass er dorthin zurückkehrt, ist momentan eher fraglich. Erst kürzlich verpflichtete das ZDF Sandro Wagner als Experten von DAZN fest.

Wahrscheinlich ist, dass sich Kahn nach der nervenaufreibenden Zeit vorerst zurückzieht, um bei den Fans irgendwann wieder so in Erinnerung zu bleiben, wie am 19. Mai 2001: als der wild jubelnde Oliver Kahn, der "Titan" Oliver Kahn und der Fan-Liebling Oliver Kahn.

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  • Haan am 30.05.2023 12:04 Uhr / Bewertung:

    Als Kahn vor einigen Wochen vom Stuhl rutschte und später wie wild auf der Tribüne rumbrüllte, dachte ich mir, der Typ ist völlig fehl am Platz. So kann sich evtl ein Trainer aufführen, aber kein Vorstandsvorsitzender.

  • FredC2 am 30.05.2023 14:32 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Haan

    Das war doch genau seine Art , wenn er hinten im Tor stand, und damals hatte er damit sogar Erfolg.

  • Rosinerl am 30.05.2023 08:39 Uhr / Bewertung:

    Aha, also die Mannschaft kann super mit Kritik umgehen - solange es keine gibt. Wenn sich die Spieler nicht den Hintern aufreißen, ist das Management schuld. Unter Hoeneß und Rummenigge gab es keine Fehlentscheidungen und keine Fehleinkäufe? Wo kommt eigentlich der Deal mit Qatar her? Und warum hält man eine Verlängerung mit Qatar immer noch am Köcheln, obwohl man genau weiß, daß das der mediale Supergau ist? Wenn an jemanden ein ganzes Jahr einarbeitet, kann man innerhalb eines ganzen Jahres nicht erkennen, ob derjenige was taugt? Und wie immer stiehlt sich Hainer aus der Verantwortung und schiebt alles den anderen zu. Dabei wurden alle wichtigen Entscheidungen vom Aufsichtsrat abgesegnet. Und wer steht eigentlich auf dem Platz? Olli und Brazzo oder die rund 25 bestbezahlten Fußballspieler?

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