Interview

Flughafen-Blockaden, Lkw-Ausraster und Festspiel-Protest: So groß ist die Wut auf die "Letzte Generation"

Daniel Saldivia Gonzatti ist Protest-Experte und forscht zu Klimabewegungen. Was er über die "Letzte Generation" und die explosive Stimmung im Land denkt, verrät er im AZ-Interview.
Maximilian Neumair |
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Die Klimaschutzgruppe "Letzte Generation" blockierte zuletzt mehrere Straßen und Flughäfen in ganz Deutschland.
Die Klimaschutzgruppe "Letzte Generation" blockierte zuletzt mehrere Straßen und Flughäfen in ganz Deutschland. © Andreas Rosar/dpa

Berlin - In den vergangenen Tagen kam es vermehrt zu Protestaktionen der "Letzten Generation". Vor allem die Blockade von Flughäfen stellte für viele Beobachter ein neues Ausmaß des Protestes dar. Erst am vergangenen Wochenende sorgten die Aktivisten mit einer Aktion bei den Schlossfestspielen in Regensburg für Aufsehen. In Stralsund eskalierte die Situation kürzlich, als ein Lkw-Fahrer ein Mitglied der "Letzten Generation" angefahren hatte.

Klimabewegungs-Experte Daniel Saldivia Gonzatti sieht hingegen keine großen Änderungen im Vorgehen der Klimakleber. Im AZ-Interview verrät der Forscher, ob nun eine Eskalation droht, ob es sich bei den Aktionen um Straftaten handelt und wie der Klimaprotest in der Bevölkerung ankommt.

AZ: Herr Saldivia Gonzatti, die Protestaktionen der "Letzten Generation" scheinen immer größer zu werden, siehe die Flughafenblockaden in Hamburg und Düsseldorf am Donnerstag. Droht eine Eskalation?
DANIEL SALDIVIA GONZATTI: Was wir sehen, ist, dass die "Letzte Generation", seit es sie Ende 2021, Anfang 2022 gibt, ihre Protestformen nicht massiv geändert hat. Sie haben schon vorher Flughäfen, etwa Berlin-Brandenburg, blockiert. Manchmal werfen sie Lebensmittel auf Kunstwerke, sehr häufig blockieren sie Straßen. Es gab eine Aktion, bei der sie Farbe auf das Denkmal des Grundgesetzes geworfen haben. Aber keine von diesen Aktionen, auch nicht die Flughafenblockade, wählen Menschen selbst als Ziel. Wir sehen eine Intensivierung, aber nicht eine radikale Eskalation der Protestformen. Die Aktionen finden an deutlich mehr Orten statt, komplett durch die Bundesrepublik. Und sie führen organisierte Kampagnen durch.

Daniel Saldivia Gonzatti ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Zivilgesellschaftsforschung und Experte für Proteste.
Daniel Saldivia Gonzatti ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Zivilgesellschaftsforschung und Experte für Proteste. © WZB

Protest der "Letzten Generation": "Das führt zu Frustration, die in Gewalt ausarten kann"

Könnte diese Intensivierung dann zur Eskalation bei der von Protesten betroffenen Bevölkerung führen?
Es gibt immer mehr Bilder und Videos von Reaktionen von Menschen, die von Straßenblockaden direkt betroffen sind. Wir sehen, dass viele Bürger handgreiflich werden und versuchen, die Protestierenden von der Straße wegzuziehen. Zuletzt hat ein Lkw-Fahrer einen Straßenblockierer fast überfahren. Die erste Reaktion ist: Man ist frustriert, man muss warten. Es handelt sich um kein Unwetter, es ist eine politische Aktion. Das führt zu Frustration, die in Gewalt ausarten kann. Das hängt auch damit zusammen, dass die Straßenblockaden intensiver werden. Vor allem kann es damit zusammenhängen, wie Politik und Medien über Proteste sprechen.

Sowas wie das Anfahren eines Protestierenden durch einen Lkw-Fahrer ist ja schon eine deutliche Aggressionssteigerung. Könnten die Reaktionen der Betroffenen bald tödlich enden?
Ich bin Sozialwissenschaftler, ich kann nicht in die Zukunft schauen. Aber wir sehen, dass Dynamiken immer gewaltförmiger werden. Ich hoffe auf eine Deeskalation, aber im Moment sehe ich eine andere Entwicklung.

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Justizminister Marco Buschmann (FDP) hat im Zusammenhang mit den Flughafenblockaden die Protestierenden als Kriminelle bezeichnet. Fühlen sich von den Protesten Betroffene durch solche Bezeichnungen in ihren aggressiven Reaktionen bestärkt?
Einerseits ist klar, dass viele dieser Aktionen Straftaten sind und so von Gerichten auch bestätigt werden. Wir sprechen nicht davon, dass nichts strafrechtlich relevante Komponenten hat. Etwas anderes ist es aber zu sagen: Das ist nur kriminell. Das ist häufig auch ziviler Ungehorsam. Nur von Kriminalität zu sprechen, verschärft die Debatte. Das beeinflusst auch die Handlung der betroffenen Bevölkerung. Diese nehmen dann im Moment der Straßenblockade die Protestierenden als Kriminelle wahr. Und die Reaktionen darauf sind impulsiv, öfters auch gewalttätig. Das ist zu verurteilen. Das heißt aber nicht, dass die Bevölkerung allgemein so denkt.

Wie denkt denn die Bevölkerung über die "Letzte Generation"?
Das sieht auch nicht gut aus. Wir haben ein Umfrageexperiment durchgeführt und uns dabei angeschaut, wie verschiedene Protestformen der Klimabewegungen wahrgenommen werden. Dabei haben wir gefragt: Auf einer Skala von 0 bis 100, als wie legitim empfinden sie diese Proteste? Protestformen wie etwa Straßenblockaden sind unbeliebt. Im Durchschnitt haben sie einen Legitimitätswert von 41 von 100. Im Vergleich: Demonstrationen haben einen durchschnittlichen Wert von 52. Die Unterstützung für Straßenblockaden ist sogar noch geringer: 26 Punkte im Durchschnitt. Demonstrationen werden durchschnittlich mit 44 Punkten unterstützt.

Bevölkerung genervt von Klimaaktivisten: "Es führt nicht zu einem positiven Effekt"

Was hält die Bevölkerung von den Forderungen der "Letzten Generation"?
Auch wenn man Straßenblockaden als schlecht empfindet, heißt das nicht, dass man sich vom Klimaschutz distanziert. Nur weil ich eine Straßenblockade mitbekomme, bin ich nicht plötzlich gegen ein Tempolimit. Es führt aber auch nicht zu einem positiven Effekt, muss man sagen. Dass sie der Klimaschutzdebatte einen Bärendienst erweisen, wie oft behauptet wird, können wir aber auch nicht bestätigen. Es ist schlimmstenfalls ein neutraler Effekt. Langfristig kann es aber zwei Konsequenzen haben: Es erhöht die Aufmerksamkeit für das Thema und erhöht die Legitimität von gemäßigteren Gruppierungen wie Fridays for Future. Für die ganze Klimabewegung können sich also positive Effekte entwickeln.

Die "Letzte Generation" appelliert an die Regierung, ihre Protestaktionen richten sich aber gegen die Bevölkerung. Sind Straßenblockaden da die richtige Protestform?
Es gibt verschiedene Aktionen. Dieses und letztes Jahr gab es Aktionen vor dem Verkehrsministerium sowie dem Wirtschaftsministerium. Sie machen also auch Aktionen, die die Regierenden selbst betreffen. Am Freitag hatten sie in Berlin etwa die Straße bei der Siegessäule blockiert und dabei Gesichtsmasken von verschiedenen Ministern und Scholz auf. Sie mischen beide Komponenten: sowohl Regierungs- als auch Bevölkerungsappelle.

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Debatte um Klimaprotest: "Alle haben eine Meinung dazu"

Was braucht es für eine gesellschaftliche Deeskalation?
Wir müssen unsere demokratische Debattenkultur etwas ändern. Die Regierung tut sich immer schwer mit Protest, aber man kann auf unterschiedliche Art und Weise damit umgehen. Die Ampel-Regierung reagiert, obwohl sie Grüne dabei haben, auf diese Proteste sehr abwertend und ablehnend. Diese Antihaltung bringt in der Debatte nichts, denn die Protestierenden werden nicht aufhören, aktiv zu sein. Und das führt dazu, dass die Debatte sich stärker polarisiert. Alle haben eine Meinung dazu, eine sehr klare Meinung. Und so redet man häufig über die Protestformen, aber nicht über den Inhalt. Unabhängig davon, wer Schuld hat: In der Debattenkultur würde es helfen, wenn wir mehr über Inhalte sprechen und versuchen zu verstehen, warum diese Menschen tun, was sie tun. Wenn Sie an die Corona-Proteste denken, gab es viel Berichterstattung, warum die Menschen auf die Straße gehen.

Könnte eine entspanntere Debattenkultur auch dazu beitragen, dass die Protestaktionen weniger werden?
Es würde zumindest dazu führen, dass Menschen die Protestierenden anders wahrnehmen. Etwa, wenn man im Stau steht und sich zwar ärgert, aber begreift, dass die Protestierenden von ihrem demokratischen Recht Gebrauch machen und nicht einfach nur eine Straftat ausüben.

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  • muc_original_nicht_Plagiat! am 19.07.2023 20:21 Uhr / Bewertung:

    NOCHMAL:

    Ein anderer Forist schreibt: "ja Menschen totfahren statt im Stau stehen ist sehr verständlich"

    Werden Sie diesem Foristen jetzt auch, wie Herrn Gamsbichler, schreiben: "Menschenverachtender Zynismus. Sie sollten sich in Grund und Boden schämen. Aber dazu bräuchte es ja Anstand."

    Denn das wäre konsequent.

  • Witwe Bolte am 17.07.2023 19:09 Uhr / Bewertung:

    Wann fliegen unsere Klebeterroristen endlich in den Urlaub? Bali ist wunderschön. Am Geld wirds nicht liegen, den Flug usw. kriegen die von Spendern finanziert, der Spendentopf ist sehr gut gefüllt, auch wenn Bußgelder u. Geldstrafen davon überwiesen werden.

  • Der AndiChrist am 17.07.2023 23:12 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Witwe Bolte

    Hast Du sonst keine Sorgen?

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