CSU-Politiker Wolfgang Stefinger: "Afrikanische Staaten können sich ihre Partner aussuchen"

Der Blick der Bundesrepublik Deutschland geht immer mehr nach Afrika – zumindest, wenn es darum geht, Energie-Partnerschaften für die Zukunft zu gewinnen. So reiste eine Bundestags-Delegation jüngst ins nordafrikanische Marokko. Der CSU-Abgeordnete Wolfgang Stefinger war Teil der Gruppe.
Im AZ-Interview berichtet der Politiker von seinen Eindrücken vor Ort, schätzt die Chancen zukünftiger Partnerschaften ein und verrät, warum Deutschland noch immer ein zu langsames Tempo in vielen Bereichen anschlägt.
AZ: Herr Stefinger, Sie sind vor kurzem aus Marokko zurückgekommen – aus einem Land also, das es anders als die Bundesrepublik schafft, die Klimaziele von Paris einzuhalten. Wie gelingt das?
WOLFGANG STEFINGER: Die Marokkaner setzen sehr stark und konsequent auf Erneuerbare Energien. Wir haben das Sonnenwärmekraftwerk Noor in Ouarzazate besichtigt. Es ist das größte der Welt und liefert 400 Gigawattstunden Strom pro Jahr. Es war mega-beeindruckend zu sehen, wie dort mit riesigen Spiegeln das Sonnenlicht auf einen großen, leuchtenden Salzturm reflektiert wird, den man schon von weitem strahlen sieht.
Dadurch wird das Salz im Inneren auf bis zu 540 Grad erhitzt, so dass es auch nachts noch Wärme abgibt und die Turbinen antreibt. Das Kraftwerk ist in Zusammenarbeit mit der Europäischen Union und Deutschland entstanden, das über die KfW 830 Millionen Euro dafür zur Verfügung gestellt hat. Und am Aufbau waren auch bayerische Unternehmen beteiligt, Schott Solar zum Beispiel.

"Wir wollen auch die Zusammenarbeit mit Namibia und Tunesien ausbauen"
Welche Möglichkeiten der Zusammenarbeit im Energiesektor sehen Sie noch?
Die Produktion von Wasserstoff ist natürlich das große Thema. Allerdings ist Wasserstoff sehr energieintensiv in der Herstellung. Aber ich sehe die Zusammenarbeit mit Afrika im gesamten Energiebereich als eine große Chance für Deutschland und Europa – und für die nordafrikanischen Länder eine reale Möglichkeit, die neuen Opec-Staaten für Wasserstoff zu werden.
Besteht dann nicht die Gefahr, nach der "fossilen" Abhängigkeit von Russland in eine "erneuerbare" Abhängigkeit von Afrika zu geraten?
Nein. Wir diversifizieren und setzen nicht nur auf eine Karte: Wir wollen ja nicht nur die Zusammenarbeit mit Marokko ausbauen, sondern auch mit Namibia und Tunesien – trotz aller politischen Schwierigkeiten dort. Auch Algerien kann ein Partner sein.
"Afrika wartet nicht darauf, dass Deutschland irgendwann dahergeschlichen kommt"
Wie weit ist die Kooperation gediegen?
Eine Lehre dieser Reise ist: Afrika wartet nicht darauf, dass Deutschland irgendwann dahergeschlichen kommt. Wenn es um Auslandsinvestitionen geht, liegt die Bundesrepublik weit hinter Frankreich oder Spanien nur auf Platz neun. Afrikanische Staaten wie Marokko haben im Energiebereich einen Bewerbungsstau und können sich ihre Partner mittlerweile aussuchen.
Hat Deutschland bezüglich der Potenziale Afrikas geschlafen?
Wir haben unterwegs gesehen, dass andere europäische Länder dort schon stärker engagiert sind und sich zum Beispiel Rechte bezüglich der Stromleitungen gesichert haben. Wir sind in vielen Bereichen einfach sehr langsam und brauchen viel zu lange. Hinzukommt, dass die Zuständigkeit für wirtschaftliche Zusammenarbeit extrem zersplittert ist. Mal ist das Wirtschaftsministerium zuständig, mal das Entwicklungsministerium und dann wieder das Auswärtige Amt oder das Umweltministerium.
Die afrikanischen Staaten wünschen sich aber einen konkreten Ansprechpartner, der ihnen durch den Dschungel der deutschen Bürokratie hilft – zum Beispiel im Entwicklungsministerium. Ginge es nach mir, würde ich dieses Haus stärken anstatt es zu schwächen und dort alles bündeln, was mit Entwicklungs- und Schwellenländern zu tun hat. Das würde so manches beschleunigen und auch unseren Partnern helfen.
Ist das europäische Engagement in Afrika auch ein Versuch, den russischen und chinesischen Einfluss dort zumindest ein wenig zurückzudrängen?
In einigen Staaten passiert aktuell ein Umdenken, gerade was das Engagement von China betrifft. Die chinesische Politik in Afrika hatte in den einzelnen Staaten eine große Verschuldung zur Folge. Natürlich haben die Chinesen oft die Infrastruktur dieser Länder aufgebaut: Häfen, Straßen und Bahntrassen. Aber sie kommen mit ihren eigenen Firmen und ihren eigenen Arbeitern und lassen die Länder mit Krediten dafür bezahlen, die sie ihnen vorher gegeben haben. Im Land selbst findet keine Wertschöpfung statt. Das ist der große Unterschied dazu, wie Deutschland und Europa die Entwicklungszusammenarbeit verstehen. Wir wollen in einer Partnerschaft gemeinsam mit den Staaten Dinge vorantreiben.
"Wir können den Menschen nicht einfach für unsere Zwecke das Wasser wegnehmen"
Wie sieht das aus?
In Namibia etwa haben wir eine große Wasseraufbereitungsanlage gemeinsam aufgebaut. Wir bilden dort gemeinsam aus und haben das Projekt inzwischen in namibische Hände übergeben. So werden vor Ort Arbeitsplätze geschaffen.
Vor einigen Jahren träumten Firmen wie Siemens schon einmal von riesigen Solarparks in der Sahara, die 2050 rund 15 Prozent des europäischen Strombedarfs decken sollten. Doch das Projekt Desertec scheiterte – nicht zuletzt an der Akzeptanz vor Ort, weil die Menschen darin eine neue Form der Kolonialisierung sahen. Welchen Ansatz verfolgen Sie?
Wie immer hängt ganz viel am Thema Kommunikation. Ich glaube, man gewinnt die Menschen in Afrika – wobei ich diese Verallgemeinerung eigentlich nicht mag, weil es 54 Staaten mit unterschiedlichen Herausforderungen und Chance sind – sehr, sehr schnell, wenn man den Nutzen erklären kann und was die Bevölkerung vor Ort von einem Projekt hat.
Darum geht es auch beim Wasserstoff aus Marokko: Wenn wir da mit Meerwasser-Entsalzung arbeiten, muss zuerst genug Wasser für die Bevölkerung, die Produktion und die Landwirtschaft da sein. Erst dann können wir uns wirklich über Wasserstoff unterhalten. Wir können den Menschen nicht einfach für unsere Zwecke das Wasser wegnehmen oder vorenthalten. Das wäre der völlig falsche Weg. Wir müssen auf Augenhöhe agieren, die Menschen überzeugen und mitnehmen.
2022 wurde Marokko von der schlimmsten Dürre seit vier Jahrzehnten heimgesucht. Wie ist die Lage aktuell?
Wir haben einen Staudamm besichtigt, dessen Stausee lediglich um die 20 Prozent gefüllt ist. Von den drei größten Stauseen Marokkos ist nur einer noch zu etwa 30 Prozent gefüllt. Der König und die Regierung planen jetzt, diverse Stauseen und Reservoirs miteinander zu verbinden, um die Wasserstände ausgleichen zu können. Wassersparen ist ein riesiges Thema dort. Das Interesse, mit uns auch in diesem Bereich zusammenzuarbeiten, ist groß. Aber es kam immer wieder der Vorwurf, dass in Deutschland vieles zu langsam vorangeht.
"Schwierig, Entwicklungszusammenarbeit an die Aufnahme von Geflüchteten zu knüpfen"
Sie waren vergangenes Jahr auch in Tunesien, das nach dem Arabischen Frühling als Vorzeige-Demokratie des Maghreb galt. Mittlerweile hat Präsident Kais Saied das Parlament entmachtet und regiert zunehmend autokratisch. Macht Entwicklungs- beziehungsweise energiepolitische Zusammenarbeit vor diesem Hintergrund überhaupt Sinn?
Zur Wahrheit in der Entwicklungszusammenarbeit gehört, dass die wenigsten Länder eine Demokratie haben, so wie wir sie kennen. Da muss man ein Stück weit Abstriche machen. Ich will diese Länder aber nicht verurteilen. Viele haben sich auf den Weg gemacht, auch wenn sie Rückschläge erleiden.
Und auch bei uns hat sich so manches erst im Laufe von Jahrzehnten entwickelt. Die Afrikanische Union hat sich 2013 die Agenda 2063 gegeben, ein strategisches Konzept zur sozio-ökonomischen Transformation des afrikanischen Kontinents und zu dessen Demokratisierung. Die Afrikaner haben sich 50 Jahre Zeit gegeben – und sind noch nicht mal bei der Halbzeit.
Saied lässt sich die Rücknahme abgelehnter Asylbewerber von Italien unter anderem mit Entwicklungshilfe-Mitteln vergolden. Läuft Deutschland nicht Gefahr, sich ähnlich erpressbar zu machen?
Ich halte es für schwierig, Entwicklungszusammenarbeit an die Auf- oder Rücknahme von Geflüchteten zu knüpfen. Am Ende sollte die wirtschaftliche Zusammenarbeit eine Win-Win-Situation für alle beteiligten Länder sein – sowie für den Umwelt- und Klimaschutz. Deswegen würden wir uns ins eigene Fleisch schneiden, wenn wir Sanktionsmodelle entwickeln. Zur Wahrheit gehört nämlich auch: Für jeden Euro, den wir über Entwicklungszusammenarbeit investieren, fließen wissenschaftlichen Schätzungen zufolge 1,40 Euro - manchmal sogar 2,33 Euro - nach Deutschland zurück, etwa durch ein besseres Investitionsklima vor Ort oder in Form von Aufträgen an die deutsche Wirtschaft.