Interview

CDU-Chef Friedrich Merz im AZ-Interview: Grüne sind "moralisierend und bevormundend"

CDU-Chef Friedrich Merz spricht im AZ-Interview über Fehler der Ampel-Koalition, Migrationspolitik – und erklärt, warum er die AfD-Wählerzahl doch nicht halbiert hat.
Christian Grimm, Rudi Wais |
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CDU-Bundesvorsitzender Friedrich Merz sieht die Bundesregierung in der Verantwortung für die hohe Zustimmung zur AfD.
CDU-Bundesvorsitzender Friedrich Merz sieht die Bundesregierung in der Verantwortung für die hohe Zustimmung zur AfD. © imago

Berlin - Auch nach anderthalb Jahren ist nicht ganz klar, wohin die CDU unter Parteichef Friedrich Merz steuert. Aus dem Versprechen, die Stimmen der AfD zu halbieren, wurde bislang nichts. Schuld daran sei aber nicht die Union, versichert der 67-Jährige, sondern die Ampel-Koalition.

Was er in Sachen Flüchtlingspolitik anders machen würde, welche Erfolge die CDU in der Opposition vorweisen kann und was ihn an den Grünen besonders stört, verrät Friedrich Merz im AZ-Interview.

"Man kann die Menschen nicht umerziehen": Friedrich Merz kritisiert Politik der Grünen

AZ: Herr Merz, zu Ihrem kleinen Parteitag haben Sie den grünen Vordenker Ralf Fücks als Gast eingeladen. Ist die programmatische Not bei der CDU schon so groß?
FRIEDRICH MERZ: Wir laden Menschen ein, die wir interessant finden – insbesondere solche, mit denen wir uns in der Sache hart auseinandersetzen können.

Was heißt es denn heute, konservativ zu sein? Konservativ wird ja gerne mit altmodisch gleichgesetzt.
Mein Eindruck ist, dass die Bevölkerung in einer unsicheren Zeit nach Halt sucht, und das ist doch im besten Sinne des Wortes konservativ – zu erhalten, was dieses Land stark und erfolgreich gemacht hat. Dabei müssen wir trotzdem offen sein für Neues, für Veränderungen, für Fortschritt. Ich würde sagen, "konservativ" ist ein Synonym für Sicherheit im Wandel.

Geht es auch konkreter? Wie sähe, zum Beispiel, eine konservative Klimapolitik aus?
Wir wollen die große Herausforderung des Klimawandels nicht mit Verboten, Regulierung und Bevormundung bewältigen. Wir setzen auf andere Instrumente, die unseren Vorstellungen von der sozialen Marktwirtschaft und unseren Vorstellungen von Freiheit in einem offenen, liberalen Staat entsprechen.

Man kann Menschen nicht umerziehen. Vor allem der grüne Teil dieser Regierung aber glaubt, dass man die Bevölkerung zu ihrem Glück zwingen muss. Das können Sie nicht nur in der Wirtschafts- und Energiepolitik beobachten, sondern auch bei Auslandsreisen grüner Minister: Ein moralisierendes und bevormundendes Auftreten. Selbst bei Reisen nach Südamerika erklären sie ihren Gastgebern noch, was sie zu tun und zu lassen haben.

Friedrich Merz über die Erfolge der CDU: "Das sind alles keine Erfindungen der Koalition"

Die Regierung zu kritisieren ist das eine, das ist die Aufgabe der Opposition. Aber wie sähen Ihre Alternativen aus?
Wir werden zu Recht gefragt, was würdet ihr denn anders machen? Ich weise dann immer darauf hin, dass es bereits ein Gebäudeenergiegesetz und ein Klimaschutzgesetz gibt, das sind ja alles keine Erfindungen dieser Koalition. Beide Gesetze wurden von der Vorgängerregierung aus Union und SPD beschlossen. Aber die Änderungen, die die Ampelparteien daran vornehmen, sind doch sehr willkürlich. Nehmen Sie das Gebäudeenergiegesetz und die Wärmepumpen: Die Koalition will hier mit der Brechstange etwas erzwingen, was die Mehrheit der Bevölkerung so nicht will und sozial häufig genug auch gar nicht kann.

Wir haben den Vorschlag gemacht, zunächst einmal überall eine kommunale Wärmeplanung zu machen, die Fristen zur Umstellung der Heizungen im bestehenden Gebäudeenergiegesetz zu erhalten und mit der Bepreisung von Kohlendioxid ein zusätzliches marktwirtschaftliches Instrument einzuführen, flankiert von einem sozialen Ausgleich zugunsten der finanziell schwachen Haushalte. So aber hat diese Koalition die Mehrheit der Bevölkerung gegen sich aufgebracht. Und am Ende schadet das Vorhaben dem Klimaschutz mehr, als es ihm nutzt.

Mit seinem Plädoyer, im Prinzip so weiterzumachen wie unter Angela Merkel, hat Herr Wüst Ihnen den Fehdehandschuh hingeworfen. Will er Kanzlerkandidat werden?
Ich verstehe, dass Journalisten es spannender finden, über Personalien zu spekulieren als über Textpassagen im Grundsatzprogramm zu schreiben. Aber ich kann nicht erkennen, dass das irgendwo in unseren Führungsgremien eine Rolle spielen würde, weder bei uns noch bei der CSU. Wir fokussieren uns auf Inhalte, nicht auf Personaldebatten.

"Hatten es in der Hand, die AfD klein zu halten"

Bei Ihrer ersten Bewerbung um den Parteivorsitz haben Sie angekündigt, der AfD die Hälfte ihrer Wähler abjagen zu wollen. Jetzt liegt sie bei knapp 20 Prozent. Was läuft da schief?
Der damalige Kontext war anders. Als ich das gesagt habe, waren wir noch in der Regierung und hatten es in der Hand, Entscheidungen zu treffen, die die AfD klein gehalten hätte. Das gilt vor allem für die Flüchtlingspolitik. Alle Wahlforscher sagen uns, dass die AfD fast nur dieses eine Thema hat. Eine andere Flüchtlingspolitik würde also dazu führen, dass auch die Umfragewerte der AfD wieder sinken. Aber wenn die Bundesregierung das Gegenteil tut, dann kann die Opposition sie nicht halbieren.

Was würde ein Kanzler Merz in der Migrationspolitik denn anders machen?
Wir hätten unter keinen Umständen zugelassen, dass im Aufenthaltsgesetz, das die wesentlichen Statusfragen der Ausländer in Deutschland regelt, das gesetzliche Ziel der Begrenzung des Zuzugs nach Deutschland aufgegeben worden wäre. Aber genau das ist in der letzten Woche geschehen. Wir müssen die Zuwanderung steuern und eben begrenzen, das geht doch gar nicht anders.

Aber vor allem die Grünen sträuben sich schon lange dagegen, und deshalb ist in der Gesetzgebung der Ampelregierung von einer Begrenzung des Zuzugs jetzt nicht mehr die Rede. Die notwendige gesteuerte Zuwanderung in den Arbeitsmarkt wird weiter überholt werden von einer ungesteuerten Einwanderung in unsere Sozialsysteme.

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Andere Länder unterscheiden schärfer zwischen der Asylpolitik und der Einwanderung von Fachkräften. Warum gelingt das in Deutschland nicht?
Wir haben genau deshalb den sehr konkreten Vorschlag gemacht, Einwanderung in den Arbeitsmarkt und die Asylverfahren strikt voneinander zu trennen, auch administrativ. Die Einwanderung, die wir brauchen, soll nach unseren Vorstellungen über eine rein digitale Plattform weltweit organisiert werden für diejenigen, die wirklich nach Deutschland kommen wollen und eine entsprechende Qualifikation vorweisen können.

Wir nennen das Bundesagentur für Einwanderung. Das Asylverfahren dagegen muss im Prinzip nur eine Frage klären: Hat jemand Anspruch auf unseren Schutz, etwa weil er in seinem Heimatland verfolgt wird?

Die Koalition will fehlende Fachkräfte verstärkt durch Asylbewerber ersetzen. Lässt sich die Lücke nicht auch so schließen?
Wir haben Freizügigkeit in der EU, theoretisch könnten heute Millionen Europäer im erwerbsfähigen Alter nach Deutschland kommen und morgen ohne jede Einschränkung anfangen zu arbeiten. Aber Deutschland ist eben nicht das Sehnsuchtsland für gut ausgebildete Menschen auf der Welt. Im Gegenteil, geschätzt 160.000 bis 180.000 gut ausgebildete Menschen verlassen Deutschland im Jahr, manche auf Zeit, viele auf Dauer.

Und warum? Offensichtlich, weil die Arbeitsbedingungen in anderen Ländern attraktiver sind. Und da rede ich jetzt nicht über Kanada, Amerika oder Singapur, sondern über Großbritannien, Österreich oder die Schweiz, die deutsche Ärzte, deutsches Pflegepersonal oder deutsche Ingenieure anziehen.

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  • Bob2 am 01.07.2023 15:04 Uhr / Bewertung:

    Vor allem mit linker Ausrichtung. Für mich keine Klimapartei.

  • muc_original_nicht_Plagiat! am 30.06.2023 19:19 Uhr / Bewertung:

    Politische Brandmauer nach Links, Klare Kante gegen Rechtsextremisten, und nie vergessen: Die Union war vor Merkel die einzige Partei, die Konservativen eine Heimat geboten hat.
    Nach 16 Jahren der Ent-Eierung durch Merkel, gibt es nur noch ein bisschen Heimat bei der CSU. Bundesweit aber entwickelt sich die Union zu einer nicht mehr wählbaren Partei, und das sage ich als jemand, der Zeit seines Lebens jahrzehntelang ausschließlich Union gewählt hat.
    Schon die Verweigerung, sich klar von Liks-Grün abzugrenzen, und die Hofierung/Anbiederung der/an die Grünen durch die Herren Günther, Wüst etc, zeigt die ganze Problematik der Union, und das Dilemma, in dem Merz sich befindet: es wird innerhalb der Union eine Brandmauer gegen konservative Politik gezogen, und Merz ist chancenlos. Wüst steht für Merkel? prima, dann enteiert die Partei doch noch weiter bis zur endgültigen Unkenntlichkeit. Dann werden noch mehr ehemals überzegte Unionswähler eine neue Heimat suchen, bei FW oder AfD

  • Captown am 30.06.2023 17:49 Uhr / Bewertung:

    Dass die AfD immer mehr an Stimmen gewinnt, liegt wohl an erster Stelle bei den Grünen. Die C-Partei hat aber dank 'Merkel 2015' das Fundament gelegt.

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